Diamond Open Access organisieren und finanzieren: Wie kann das gemeinschaftlich gelingen?
Was kann schiefgehen und was erleichtert Bibliotheken die Teilnahme an gemeinschaftlichen Finanzierungsmodellen für Diamond Open Access? Lösungsvorschläge für diese und weitere Fragen wurden bei einem Workshop auf den Open-Access-Tagen 2024 mit der Brainwriting-Methode erarbeitet und diskutiert.
von Dr. Martina Benz, Dr. Juliane Finger, Lena Marie Henkes, Karin Silvia Stork und Dr. Marcel Wrzesinski
Bei den Open-Access-Tagen 2024 in Köln fand am 11.09.2024 ein Workshop statt, der sich folgender Frage widmete: Wie kann gemeinschaftlich organisiertes und finanziertes Diamond Open Access gelingen? Diese Frage bildete den kleinsten gemeinsamen Nenner für drei laufende BMBF-Projekte, die seit Beginn ihrer Förderung in engem inhaltlichen Austausch miteinander stehen und den Workshop gemeinsam organisierten: KOALA-AV (KIM, Universität Konstanz / TIB), OLEKonsort (ZBW – Leibniz-Informationszentrum Wirtschaft) und ELADOAH (Alexander von Humboldt Institut für Internet und Gesellschaft).
Diamond Open Access – wider des Kommerzes?
Diamond Open Access als Teil der Open-Access-Farbenlehre setzt auf allseitig gebührenfreie Publikationen und faire, wissenschaftsgeleitete Governance. Hierfür bedarf es einer gemeinschaftlichen Anstrengung aller Beteiligten im Publikationssystem sowie neuer Modelle des Finanzierens und Verwaltens.
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Der Workshop sollte einerseits über zentrale Projektergebnisse informieren; andererseits wurde der enge Dialog mit der Community von Open-Access-Expert:innen gesucht. Nach drei kurzen Impulsvorträgen zum Thema Diamond Open Access wurden die Teilnehmenden selbst aktiv: In methodisch strukturierten Kleingruppen wurden gemeinsam Ideen gesammelt und Lösungsansätze entwickelt.
Ergebnisse
Für den Workshop wurde die Methode des Brainwriting gewählt. Sie ist eine Kreativitäts- und Ideenfindungsmethode, die im Gegensatz zum Brainstorming schriftlich statt mündlich abläuft. Dabei werden die Teilnehmenden angeregt, ihre Ideen auf Papier zu notieren, ohne dabei direkt von den Ideen anderer beeinflusst zu werden. Dies ermöglicht eine strukturierte, effiziente und kollaborative Ideensammlung, da die Teilnehmenden einerseits gleichzeitig und unabhängig voneinander arbeiten; zugleich bauen sie durch das rundenweise Vorgehen auf den Ideen der vorherigen Person auf.
Entscheidend für eine produktive Ideenfindung sind klar konturierte Fragen und Sachverhalte. Auf Grundlage der Zwischenergebnisse in den drei BMBF-Projekten wurden die Teilnehmenden gebeten, zu insgesamt vier Themenbereichen zu arbeiten: (1) Welche Hürden gibt es für gemeinschaftliches, wissenschaftsgeleitetes Publizieren? (2) Wie kann die Konsortialteilnahme für Bibliotheken erleichtert werden? (3) Wie können trotz begrenzter Mittel eine diverse Anzahl von Initiativen und Projekten gefördert werden? (4) Wollen sich Bibliotheken in einer Finanzierungs-Community engagieren?
Herausforderungen für Diamond OA
Die Teilnehmenden an Tisch 1 diskutierten die Frage “Was kann schiefgehen, wenn man gemeinschaftlich, community-driven, non-profit publiziert?”. Dabei erörterten sie die größten Herausforderungen bei gemeinschaftlich organisierten Open-Access-Publikationsmodellen. Hier wurde Nachhaltigkeit als zentrales Problem identifiziert – sowohl finanziell, personell als auch rechtlich. Ein großes Hindernis ist die “Freiwilligkeit” der Finanzierung. So sind bei Budgetkürzungen Diamond-Open-Access-Angebote häufig zuerst betroffen. Auch die mangelnde personelle Nachhaltigkeit, hervorgerufen durch eine unzureichende Finanzierung von Redaktionen oder die Realität ehrenamtlicher Arbeit, wurde kritisch diskutiert. Es blieb offen, ob gemeinschaftliche Modelle aufgrund ihrer Flexibilität besser auf Personalausfälle reagieren können. Darüber hinaus überlegten die Teilnehmenden, wie Wissen und Infrastrukturen besser gemeinsam genutzt werden könnten. Gleichzeitig wurde betont, dass eine zu starke Vereinheitlichung („one size fits all“) zu vermeiden ist, um die Bibliodiversität – also die Vielfalt unterschiedlicher Finanzierungs- und Organisationsmodelle – zu bewahren.
Die Teilnehmenden waren sich einig, dass ein Umdenken erforderlich sei, um ein langfristiges, verbindliches Bekenntnis zu gemeinschaftlichem und fairem Open Access zu erreichen. Dabei wurde auch eine stärkere Rolle der Fachgesellschaften diskutiert und die Wichtigkeit betont, den Wert von Redaktionen anzuerkennen und bestehende gemeinschaftliche Finanzierungsmodelle transparent zu gestalten. Auch politische Entscheidungen seien notwendig, um finanzielle Mittel neu oder anders zu verteilen.
Entscheidungen für Konsortien
Tisch 2 thematisierte die Frage, was Bibliotheken hilft, sich für die Mitfinanzierung konsortialer Open-Access-Angebote entscheiden zu können. Es kristallisierten sich dabei vier thematische Schwerpunkte beziehungsweise Entscheidungskriterien heraus: Erstens muss es einen fachspezifischen und/oder strategischen Bedarf einer solchen Mitfinanzierung in der jeweiligen Einrichtung geben. Aber auch strategische Überlegungen, wie die generelle Unterstützung von Diamond-Open-Access-Modellen, spielen eine Rolle. Zweitens bedarf es eines finanziellen Mehrwerts, damit sich Bibliotheken für eine Mitfinanzierung entscheiden. Wenn die Teilnahme am Konsortium als kostenneutral oder sogar günstiger als die herkömmlichen Optionen (APCs, Subskriptionen) erscheint, wird das Konsortium bevorzugt. Drittens sollten Qualitätsstandards deutlich werden. Und viertens spielt auch die Flexibilität bei der Zusammenstellung von Zeitschriftenportfolios eine Rolle.
Finanzielle Entscheidungen und Wege
An Tisch 3 haben die Teilnehmenden Strategien entwickelt und diskutiert, mit deren Hilfe trotz begrenzter finanzieller Mittel Initiativen für Diamond Open Access gefördert werden können. Favorisierter Vorschlag war die Schaffung fester Budgets, die im Bibliotheksetat für die Finanzierung von Diamond Open Access reserviert werden. Die im Rahmen der Open-Access-Transformation freiwerdenden Mittel sollen in einen Diamant-Open-Access-Fonds fließen. Grundsätzlich plädierten die Teilnehmenden dafür, dass Bibliotheken kritisch überprüfen, welche Kosten eingespart werden können, um Mittel für Diamond Open Access bereitzustellen. Für die Förderung von Diamond Open Access müssten dabei Kriterien festgelegt werden, die gleichzeitig aber auch nicht zu eng definiert sein dürften, um Raum für Innovationen zu lassen.
Außerdem wurde die Möglichkeit diskutiert, für die Finanzierung von Diamond Open Access auf Stakeholder zuzugehen, die bislang kaum in die Finanzierung von Open Access mit einbezogen werden konnten. So profitieren auch Unternehmen von Open Access, beteiligen sich bislang aber nicht an der Finanzierung.
Rollen von Bibliotheken
Wollen Bibliotheken Teil einer Finanzierungs-Community sein? Diese Frage stand im Mittelpunkt der Diskussion an Tisch 4 unseres Workshops. Die Frage war für die Teilnehmenden durchaus schwierig zu beantworten. Spontan wurde die Frage umformuliert in “Was muss passieren, damit Bibliotheken Teil einer Community sein wollen?” Die Antwort wurde kontrovers diskutiert, aber am Ende einigten sich alle auf zwei Dinge: Erstens ist für Bibliotheken beim Thema Open-Access-Finanzierung vor allem eine Community-of-practice interessant, beispielsweise eine Plattform, um sich zu den praktischen Fragen des “Wie machen wir das mit dem Geldgeben für Diamant OA?” auszutauschen. Zweitens sei auf Seiten der Forschung der Community-Zusammenhalt vor allem innerhalb von Fachdisziplinen vorhanden. Die Fachgesellschaften wurden als wichtige Entitäten identifiziert, die für den fachlichen Zusammenhalt stehen und sich stärker für Diamant Open Access engagieren könnten. Die fachlichen Zusammenhänge seien für Forschende wichtiger als beispielsweise der regionale Zusammenhang in Länderinitiativen zu Open Access. Für eine wissenschaftliche Fachcommunity könnte der Austausch mit Bibliotheken hilfreich sein, wenn diese nicht mehr nur Geld für Fachpublikationen geben, sondern in den Austausch einbezogen werden würden. So würde auch die Rolle der wissenschaftlichen Bibliotheken als Möglichmacher wieder deutlicher werden.
Wie geht es weiter?
Das Ergebnis des Workshops waren nicht zuletzt viele gute Lösungsideen. Auffällig ist, dass trotz unterschiedlicher Leitfragen bestimmte Kernthemen bei allen Tischen zur Sprache kamen: die zentrale Rolle von Fachgesellschaften, die Bedeutung wissenschaftspolitischer (verbindlicher!) Entscheidungen und die Frage nach der Verteilung von Mitteln.
Insgesamt war der Workshop für alle Beteiligten eine Bereicherung. Der Workshop bot eine wertvolle Plattform für einen etwas anders gestalteten Austausch in der Open-Access-Community. Wir vom Organisationsteam nehmen für unsere Projekte viele hilfreiche Kommentare und Lösungsideen mit, um uns in den nächsten Jahren weiter unserem zentralen Problem zu stellen: Wie kann faires Open Access gelingen?
Wir danken den Teilnehmenden des Workshops für ihren Input und freuen uns schon auf eine nächste Brainwriting-Runde – vielleicht bei den nächsten OA-Tagen?
Dr. Martina Benz ist Referentin für Open Access am KIM der Universität Konstanz und leitet das Projekt open-access.network 2.
ORCID: https://orcid.org/0000-0001-6018-3724
Dr. Juliane Finger ist Open-Access-Referentin an der ZBW – Leibniz-Informationszentrum Wirtschaft. Sie ist Produktmanagerin der Open Library Economics und leitet ein BMBF-Projekt zum Aufbau eines Finanzierungskonsortiums für Diamant Open Access. https://orcid.org/0000-0001-6754-6807
Lena Marie Henkes ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Alexander von Humboldt Institut für Internet und Gesellschaft (HIIG). Sie koordiniert das BMBF-Projekt “Erwerbungslogik als Diamond Open Access Hindernis (ELADOAH)” und hat einen Hintergrund in Politikwissenschaft sowie Kommunikations- und Medienwissenschaft.
ORCID-ID: https://orcid.org/0009-0009-8351-9150
Karin Silvia Stork ist Mitarbeiterin in den BMBF-geförderten Projekten KOALA-AV und open-access.network sowie Mitglied im Team Open Science am Kommunikations-, Informations- und Medienzentrum (KIM) der Universität Konstanz.
ORCID-ID: https://orcid.org/0009-0009-1098-5337
Dr. Marcel Wrzesinski ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Alexander von Humboldt Institut für Internet und Gesellschaft sowie am Institut für Bibliotheks- und Informationswissenschaft der Humboldt Universität zu Berlin. In seiner Forschung beschäftigt er sich mit der Governance und den Infrastrukturen wissenschaftlicher Kommunikation und Distribution.
ORCID-ID: https://orcid.org/0000-0002-2343-7905
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