Open Science in den Wirtschaftswissenschaften: Ausgewählte Ergebnisse der ZBW-Bekanntheitsanalyse 2022
In Bibliothekskreisen herrscht gemeinhin große Begeisterung für Open Science und offene Praktiken. Wie sieht es aber tatsächlich an den deutschen Hochschulen aus? Nach einer Befragung 2019 hat sich die ZBW 2022 erneut auf die Suche nach Antworten unter Wirtschaftswissenschaftler:innen gemacht.
von Doreen Siegfried
Vom 1. März bis zum 10. Mai 2022 führte die ZBW – Leibniz-Informationszentrum Wirtschaft eine breit angelegte Bekanntheitsanalyse unter Wirtschaftsforschenden durch. 401 Wirtschaftsforschende wurden mit einer geschichteten Stichprobe mit zehn definierten Subgruppen online gezielt befragt. Ziel war es, ein repräsentatives Abbild der Grundgesamtheit wissenschaftlich arbeitender Personen im Bereich Wirtschaftswissenschaften zu erhalten – sowohl hinsichtlich der Statusgruppen als auch hinsichtlich der Fachdisziplin. Befragt wurden wissenschaftliche Mitarbeiter:innen und Professor:innen aus VWL und BWL an Universitäten, Fachhochschulen und außeruniversitären Forschungseinrichtungen in Deutschland.
Ein Teil der repräsentativen Studie beschäftigte sich mit dem Thema Open Science. Wir haben hier ausgewählte Ergebnisse, die nicht ZBW-spezifisch sind, zusammengestellt.
Open Science: generelle Relevanz in der Wirtschaftsforschung
Frage: Immer eindringlicher fordern Forschungsförderer (z.B. die DFG, das BMBF oder die EU) den freien Zugang zu wissenschaftlichen Publikationen und Forschungsdaten aus geförderten Projekten (Stichwort: Open Science). Open Science beinhaltet z.B. Open-Access-Publikationen, Open Research Data oder auch die Offenlegung des ganzen Forschungsprozesses. Hat diese Wissenschaftspolitik bereits Auswirkungen auf Ihre Arbeit?
Von allen Befragten sagen 47 Prozent, dass Open Science bereits aktuell eine wichtige Rolle für ihre Arbeit spielt. 77 Prozent geben an, dass Open Science zukünftig eine wichtige Rolle spielen wird. Nur 16 Prozent können mit Open Science derzeit noch nicht so viel anfangen (s. Abb.1).
Mit Blick auf die Open-Science-Studie der ZBW aus dem Jahr 2019 hat sich der Anteil der Wirtschaftsforschenden, die mit dem Begriff „Open Science“ nichts verbinden können, etwas verringert. 2019 hatte eine:r von fünf Wirtschaftsforschenden den Begriff „Open Science“ bzw. „offene Wissenschaft“ vorher noch nicht gehört.
Betrachtet man die unterschiedlichen Subgruppen, zeichnet sich folgendes Bild (s. Abb. 2) ab:
In der VWL spielt Open Science bereits für fast zwei Drittel (64 Prozent) der Befragten in der aktuellen Arbeitsroutine eine wichtige Rolle. In der BWL hingegen sind es weniger als die Hälfte, nur 45 Prozent. Auch für die Zukunftsprognosen sieht es ähnlich aus: Während 85 Prozent der VWLer:innen sagen, dass Open Science für sie künftig eine Rolle spielen wird, sind es in der BWL nur 76 Prozent. In logischer Konsequenz haben weniger Volkswirt:innen keine Verbindung zum Thema Open Science (9 Prozent) als Betriebswirt:innen (17 Prozent).
Unterschiede finden sich auch zwischen den Statusgruppen. Für wissenschaftliche Mitarbeiter:innen spielt Open Science bereits jetzt (54 Prozent) als auch in Zukunft (80 Prozent) eine größere Rolle als für Professor:innen, bei denen Open Science derzeit nur für 38 Prozent der Befragten eine wichtige Rolle spielt und in Zukunft für 80 Prozent. Die Statusgruppen betreffend können wissenschaftliche Mitarbeiter:innen häufiger mit dem Thema Open Science etwas anfangen als Professor:innen (siehe Abb. 2).
Relevanz von Open-Science-Praktiken
Frage: Wie bedeutsam sind die folgenden Open-Science-Praktiken für Sie persönlich bzw. Ihre eigene wissenschaftliche Arbeit? Dabei geht es sowohl um die Nutzung offen geteilter Forschung als auch um das aktive Teilen eigener Forschung.
Die Wirtschaftswissenschaftler:innen, die Open Science aktuell und in Zukunft als für sich bedeutend eingestuft haben (s. Abb. 1), wurden gefragt, wie bedeutsam spezifische Open-Science-Praktiken für sie sind. Die größte Bedeutung spielen Open-Access-Publikationen, die für 44 Prozent der Befragten sehr bedeutsam sind und für 35 Prozent ziemlich bedeutsam sind.
Die Open-Science-Studie der ZBW aus dem Jahr 2019 zeigte bereits, dass Open Access mit einem Mittelwert von 2,5 auf einer Skala von 1 = sehr wichtige Rolle bis 5 = gar keine Rolle für Wirtschaftsforschende sehr wichtig ist. 23 Prozent der Wirtschaftswissenschaftler:innen in Deutschland attestierten 2019 dem Open-Access-Konzept eine sehr wichtige Rolle. 62 Prozent erachteten 2019 Open Access für sich persönlich als wichtig. 2022 waren es dann in Summe 79 Prozent.
Wesentlich erscheint für Wirtschaftsforschende auch das Thema Open Research Data (s. Abb. 3). Offene Forschungsdaten sind für ein Viertel der Befragten sehr wichtig und für ein weiteres Viertel (27 Prozent) ziemlich wichtig – Open Research Data spielt also für 52 Prozent der Befragten eine Rolle. Vergleichen wir auch hier mit den Ergebnissen von 2019: Dass Forschungsdaten nach offenen Prinzipien bereitgestellt und publiziert werden, spielte 2019 für 11 Prozent eine sehr wichtige und für 31 Prozent eine tendenziell wichtige Rolle. Dies sind in Summe 42 Prozent. Im Vergleich zu 2019 ist also die Bedeutung gestiegen.
Eine Offenlegung des Forschungsprozesses ist für 16 Prozent der Befragten sehr wichtig und für 13 Prozent ziemlich wichtig – in Summe für 29 Prozent bedeutsam. Dies ist weniger als ein Drittel der Befragten. Für die Mehrheit spielt die Offenlegung des Forschungsprozesses aktuell keine wesentliche Rolle.
Open-Science-Services: Bedeutung für Wirtschaftsforschende
Frage: Und wie ist es mit folgenden Services im Bereich Open Science … wie bedeutsam sind diese Services für Sie persönlich?
Wesentlich ist für Wirtschaftsforschende die gut strukturierte Suche nach wissenschaftlichen Forschungsdaten. 38 Prozent finden es sehr wichtig, weitere 35 Prozent finden es tendenziell wichtig – in Summe 73 Prozent, also knapp drei Viertel aller Befragten in allen Fachdisziplinen. Zum Vergleich: Die Open-Science-Studie der ZBW aus dem Jahr 2019 zeigte ähnliche Werte. Zu dieser Zeit wünschten sich 77 Prozent aller wirtschaftswissenschaftlich Arbeitenden Informationen zum besseren Auffinden von offenen Forschungsdaten.
Die Bekanntheitsstudie der ZBW von 2022 zeigt zudem, dass die Unterstützung bei Open-Access-Publikationen für 29 Prozent sehr bedeutsam und für 34 Prozent ziemlich bedeutsam ist. Die Gesamtsumme von 63 Prozent zeigt die Relevanz dieses Feldes. Auch hier ein Vergleich zu 2019: Vor drei Jahren wünschten sich 76 Prozent Informationen zum Publizieren im Open Access.
Fachspezifische Informationen und Guidelines zu Open-Science-Praktiken erscheinen aktuell für in Summe 47 Prozent relevant, das heißt knapp die Hälfte aller Befragten. 14 Prozent finden es sehr relevant, 32 Prozent finden es ziemlich relevant. Zum Vergleich: 2019 wünschten sich über drei Viertel der Wirtschaftsforschenden einen Überblick über Plattformen, Werkzeuge und Anwendungen, die Open-Science-Praktiken unterstützen. Die Zahlen deuten darauf hin, dass der Bedarf tendenziell rückläufig ist.
Fachspezifische konkrete Schulungen und Workshops zum Umgang mit Forschungsdaten ist für zwei Fünftel aller Befragten ein spannendes Angebot.
Open-Science-Services: Nutzung durch Wirtschaftsforschende
Frage: Haben Sie diese Services im Bereich Open Science schon einmal konkret in Anspruch genommen?
Betrachten wir nun den Unterschied zwischen der zugeschriebenen Bedeutung von Open-Science-Services und der Nutzung. Während 73 Prozent der Befragten äußerten, dass sie eine gut strukturierte Suche nach wirtschaftswissenschaftlichen Forschungsdaten wichtig finden, sagten nur 32 Prozent, dass sie eine solche Suche schon einmal in Anspruch genommen haben. Unter den Beschäftigten an Fachhochschulen waren es 49 Prozent.
Fast zwei Drittel (63 Prozent) gaben an, dass sie eine Unterstützung bei Open-Access-Publikationen bedeutsam finden. Hingegen nehmen weniger als ein Drittel (26 Prozent) einen solchen Service in Anspruch – gerechnet auf alle befragten Subgruppen. Betrachtet man die Subgruppen, fällt auf, dass 31 Prozent der Volkswirt:innen generell und sogar 44 Prozent der Forschenden an außeruniversitären Forschungseinrichtungen (in der Regel auch Volkswirt:innen) eine derartige Unterstützung konkret schon einmal genutzt haben.
Auch bei den fachspezifischen Informationen und Guidelines zu Open-Science-Praktiken und -Tools gibt es einen Unterschied (s. Abb. 4). Ein Fünftel (19 Prozent) der Wirtschaftswissenschaftler:innen nutzt dieses Angebot – unter den Forschenden an außeruniversitären Forschungseinrichtungen ist es ein Drittel (33 Prozent) (s. Abb.5). Von den Personen, die fachspezifische Schulungen und Workshops zum Umgang mit Forschungsdaten bedeutsam finden, hat die Hälfte derartige Lernangebote auch schon einmal genutzt.
Archivierung von Publikationen und Forschungsdaten: Vertrauenswürdigkeit unterschiedlicher Anbieter:innen
Frage: Wenn es um die Archivierung von Publikationen und Forschungsdaten geht, für wie vertrauenswürdig halten Sie dann die folgenden Anbieter:innen?
Wir haben Wirtschaftsforschende in Deutschland danach gefragt, für wie vertrauenswürdig sie unterschiedliche Archivierungsanbieter:innen halten. Öffentliche Institutionen genießen das größte Vertrauen mit in Summe 87 Prozent Zustimmung. Bemerkenswert ist der noch einmal höhere Wert unter FH-Beschäftigten, von denen 94 Prozent ihr Vertrauen in öffentliche Einrichtungen aussprechen. Auch die Verlage, einschließlich der Verlagskonzerne Elsevier und Springer, genießen großes Vertrauen mit 74 Prozent. Rund zwei Fünftel aller Befragten (39 Prozent) äußern, dass sie Verlage für sehr vertrauenswürdig halten, und weitere 35 Prozent halten sie für vertrauenswürdig. Auch hier scheinen wieder die Wirtschaftsforschenden an den Fachhochschulen hervor, von denen 87 Prozent sagen, dass sie dieser Anbieter:innengruppe vertrauen. Die großen Tech-Unternehmen hingegen schaffen nur bei 14 Prozent Vertrauen; und 21 Prozent, also ein Fünftel der Wirtschaftsforschenden sagen, dass sie große Tech-Unternehmen für gar nicht vertrauenswürdig halten. Die meisten Befragten halten sich jedoch im Antwortbereich teils/teils auf.
Bekanntheit der Nationalen Forschungsdateninfrastruktur
Frage: In der Nationalen Forschungsdateninfrastruktur (NFDI) sollen Datenbestände von Wissenschaft und Forschung, die heute nur dezentral und temporär gelagert werden, in Zukunft systematisch erschlossen, vernetzt, langfristig gesichert werden und über Disziplinen- und Ländergrenzen hinaus zugänglich sein. An einem Ort. Für das gesamte Wissenschaftssystem. Es soll möglich sein, vielfältige Datenarten (z.B. auch Social-Media-Daten, repräsentative Bevölkerungsdaten uvm.) leicht aufzufinden und zu nutzen. Der Aufbau der NFDI geschieht fachspezifisch Baustein für Baustein über verschiedene Konsortien. In den Wirtschaftswissenschaften sind dies das Konsortium für Business, Economic and Related Data (BERD@NFDI) und das Konsortium für Daten aus den Sozial-, Verhaltens-, Bildungs- und Wirtschaftswissenschaften (KonsortSWD). Haben Sie von diesem NFDI-Projekt bzw. den Konsortien BERD oder KonsortSWD gehört?
Das Tortendiagramm zur NFDI ist selbsterklärend. Die Nationale Forschungsdateninfrastruktur ist bislang kaum bekannt. Dies ist andererseits auch nicht verwunderlich, da dieses Infrastrukturprojekt noch im Aufbau befindlich ist.
NFDI: Relevanz für die Arbeit von Ökonom:innen
Frage: Wie bedeutsam wird die neue Nationale Forschungsdateninfrastruktur (NFDI) bzw. die beiden wirtschaftswissenschaftlichen Konsortien BERD und KonsortSWD wohl in Zukunft für Ihre Arbeit sein?
Im Vergleich zur aktuellen Bekanntheit der NFDI unter Wirtschaftsforschenden in Deutschland (s. Abb. 7) ist die Einschätzung ihrer künftigen Bedeutung bzw. der der beiden wirtschaftswissenschaftlichen Konsortien BERD@NFDI und KonsortSWD relativ hoch. Über die Hälfte der Befragten (53 Prozent) sehen eine Relevanz für die eigene Arbeit. Für 9 Prozent ist die NFDI sogar sehr bedeutsam (s. Abb. 8). Da die NFDI aber bei 84 Prozent noch unbekannt ist, enthält sich ein Großteil der Befragten (31 Prozent). Nur knapp 4 Prozent äußern sich kritisch und schreiben der NFDI gar keine Bedeutung zu.
Die Befragung hat gezeigt, dass Open Science und insbesondere die NFDI als bedeutsam oder potenziell bedeutsam angesehen werden – aber eher in Zukunft. Es wäre an den Konsortien selbst, ihre Arbeit und den Fortschritt am Bau der Infrastrukturen transparent und bekannt zu machen und kontinuierlich zu kommunizieren. Zudem zeigt die Untersuchung auf, dass die Arbeit der wissenschaftlichen Bibliotheken mit den Verlagen bzw. Verlagskonzernen noch stärker in den Mittelpunkt der Kommunikationsarbeit rücken muss.
Fazit: Status quo von Open Science in den Wirtschaftswissenschaften
Was folgt jedoch aus diesen Ergebnissen insgesamt? Ist Open Science schon bei den Wiwis angekommen oder ist das Interesse etwa abgeflacht? In welchen Bereichen sollten wir – die Bibliotheks- und Open-Science-Community – jetzt handeln?
Nicht nur Forschungsfördernde, sondern auch die Top-Zeitschriften der Wirtschaftsforschung verlangen inzwischen häufig von Wissenschaftler:innen, ihre Daten und Codes zu teilen. Aus diesem Grund gibt es zahlreiche Sonderforschungsbereiche oder Graduiertenkollegs, die die Ausbildung in Open-Science-Praktiken in die Curricula integriert haben. Die Diskussion rund um Open Science ist derzeit kaum noch zu überhören. Daher scheint es auch nicht verwunderlich, wenn über drei Viertel der Befragten Open Science für die Zukunft eine große Rolle zuschreiben.
Was aber sehr deutlich erkennbar ist, ist, dass die jüngeren Forschenden, sprich die wissenschaftlichen Mitarbeiter:innen, sich mehr für Open Science interessieren als Professor:innen. Hier treffen ein Bewusstsein für die Notwendigkeit von Future Skills wissenschaftlichen Arbeitens und ein Gestaltungswille, das Wissenschaftssystem zu verändern (zumindest partiell), aufeinander und bilden eine „junge Avantgarde“ heraus.
Bemerkenswert ist das große Vertrauen in Verlagskonzerne. Ein kritisches Hinterfragen von Machtstrukturen und von souveränen community-owned Infrastrukturen hat noch nicht in ausreichender Form stattgefunden.
Hier können Bibliotheken ins Spiel kommen: Sie täten jetzt gut daran, ihre eigenen Kompetenzen und Angebote für eine vernetzte und digital souveräne Wissenschaft lautstark zu kommunizieren. Die Zeiten, in denen Bibliotheken still und unbemerkt vor sich hinarbeiten, sind in jedem Fall vorbei.
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Dr. Doreen Siegfried ist die Leitung der Abteilung Marketing und Public Relations in der ZBW – Leibniz Informationszentrum Wirtschaft. Sie ist auch auf LinkedIn and Twitter zu finden.
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