KI in wissenschaftlichen Bibliotheken, Teil 3: Voraussetzungen und Bedingungen für den erfolgreichen Einsatz
Was sind die Grundvoraussetzungen für den erfolgreichen und nachhaltigen Einsatz von künstlicher Intelligenz an wissenschaftlichen Bibliotheken und Informationseinrichtungen? Welche Rolle spielt das Management? Welche Weichen müssen jetzt gestellt und welche Ressourcen aufgebaut werden, damit Bibliotheken nicht den Anschluss verlieren? (Wie) Lassen sich Synergieeffekte nutzen? Ist der Aufbau einer Weltbibliothek sinnvoll? Diesen Fragen widmet sich der dritte Teil der dreiteiligen Interviewserie mit Anna Kasprzik und Frank Seeliger.
Interview mit Frank Seeliger (TH Wildau) und Anna Kasprzik (ZBW)
Kürzlich haben wir mit Anna Kasprzik (ZBW) und Frank Seeliger (TH Wildau) intensiv über den Einsatz von künstlicher Intelligenz in wissenschaftlichen Bibliotheken gesprochen. Die beiden waren unlängst an zwei ausführlichen Artikeln dazu beteiligt: “Zum erfolgversprechenden Einsatz von KI in Bibliotheken: Diskussionsstand eines White Papers in progress – Teil 1” und “Teil 2”.
Beide haben in ihrem Arbeitsumfeld einen intensiven Bezug und ein großes Interesse am Einsatz von künstlicher Intelligenz im Kontext von Infrastruktureinrichtungen und Bibliotheken. Frank Seeliger leitet die Hochschulbibliothek der TH Wildau und ist mitverantwortlich für den berufsbegleitenden Masterstudiengang Bibliotheksinformatik am Wildauer An-Institut WIT (Wildau Institute of Technology). Anna Kasprzik leitet die Automatisierung der Sacherschließung (AutoSE) an der ZBW.
Aus unserem mündlichen Interview ist diese leicht gekürzte, dreiteilige Serie hervorgegangen. Neben dem folgenden Text gehören diese beiden Artikel dazu:
- Teil 1: Handlungsfelder, große Player und die Automatisierung der Erschließung
- Teil 2: Spannende Projekte, die Zukunft von Chatbots und Diskriminierung durch KI
Was sind die Grundvoraussetzungen für den erfolgreichen und nachhaltigen Einsatz von KI an wissenschaftlichen Bibliotheken und Informationseinrichtungen?
Anna Kasprzik: Dazu habe ich eine sehr deutliche Meinung und habe darüber auch schon mehrere Artikel geschrieben. Ich kämpfe seit Jahren darum und behaupte, wir haben uns da mittlerweile in eine ganz gute Ausgangsposition manövriert, auch wenn wir noch nicht auf dem Trockenen sind. Für mich ist das Hauptthema Commitment, und zwar Commitment bis in die oberste Leitungsebene. Ich habe inzwischen eine Allergie gegen das Format „Projekt“ entwickelt. Leitungsebenen sagen oft, ach ja, mit KI müssten wir auch mal was machen. Wir machen ein Projekt, dann kommt ein Dienst raus und der läuft dann einfach. Doch so einfach ist es nicht. Dinge, die als Projekte entstanden sind, verschwinden in den allermeisten Fällen wieder in der Versenkung.
Wir hatten an der ZBW auch ein Vorläuferprojekt. Das haben wir bewusst mit der Direktion in den Status einer Daueraufgabe erhoben. Wir haben festgestellt, Automatisierung mit den Mitteln des Machine Learning ist eine Daueraufgabe. Dieses Commitment war essenziell. Das war ein Strategiewechsel, der wichtig war. Wir haben hier ein Team von drei Leuten, ich koordiniere das Ganze. Es gibt eine Promotionsstelle für einen wissenschaftlichen Angestellten, der angewandte Forschung betreibt, also Forschung, die wirklich praxisbezogen ist. Als wir diesen Daueraufgabenstatus bekommen haben, haben wir eine Pilotphase begonnen. In dieser Pilotphase haben wir noch einen Softwarearchitekten eingestellt. Damit sind es drei Stellen und auch drei Rollen, die ich für sehr wichtig halte.
Die ZBW hat darüber hinaus Hardware in großem Stil angeschafft, weil Machine-Learning-Experimente Rechenpower brauchen. Damit haben wir angefangen, die entsprechenden Software-Strukturen aufzubauen. Diese Architektur ist bereits produktiv, soll aber fortlaufend mithilfe der eigenen angewandten Forschung weiterentwickelt werden. Was ich damit sagen will: Das Commitment ist wichtig und die Ressourcen müssen diesem Commitment folgen.
Frank Seeliger: Das ist natürlich die Antwort von einer Leibniz-Einrichtung, die gut mit Forschungs-Professor:innen ausgestattet ist. Mal abgesehen von einigen nationalen Staats- und größeren Bibliotheken ist das aber in der Regel schwer zu stemmen. Die meisten Bibliotheken haben keinen entsprechenden Forschungsauftrag und nicht die Men-Women-Power, solche Projekte auf Dauer zu finanzieren. Trotzdem gibt es auch für kleinere Institute Technologien, in die sie investieren müssen, zum Beispiel Cloud-basierte Dienste oder Infrastruktur als Service. Aber klar, man muss sich committen, auch über Projektphasen hinaus. Verfestigt in der Agenda 2025/30, dass es eine Daueraufgabe im Rahmen der ohnehin anstehenden Automatisierung ist.
Gerade durch die Corona-Pandemie ist viel angeschoben worden, und man sah, wie gut Sachen funktionieren, auch wenn sie online stattfinden. Dass man das als Aufgabe sieht und sich entsprechend informiert. Der Auftrag ist, sich bewusst mit der Technologie auseinanderzusetzen. Nur so kann man auf Arbeits- oder Leitungsebene sehen, welches Investment notwendig ist, aber auch mit welchen Erfolgen zu rechnen ist.
Doch nicht nur Bibliotheken beschäftigen sich neuerdings, also seit vielleicht zehn Jahren, mit KI. Das ist vergleichbar mit kleinen und mittelständischen Unternehmen oder anderen öffentlichen Einrichtungen, die mit dem Onlinezugangsgesetz und anderen Sachverhalten zu tun haben. Auch die befassen sich mit solchen Algorithmen, um den Schulterschluss zu suchen. Bibliotheken sind also nicht allein unterwegs. Das ist ganz wichtig, weil bei vielen Maßnahmen, gerade auf Länderebene, nicht unbedingt an Bibliotheken gedacht wird, wenn es um die Verteilung von KI-Aufgaben oder -Mitteln geht.
So war auch unsere Publikation gedacht als politisches Papier im Sinne von: der Politik oder den Entscheider:innen über finanzielle Möglichkeiten mitzuteilen, dass wir auch den Rahmen brauchen, um uns bewerben zu können und dann Sachen zu testen und zu entscheiden, ob wir irgendwelche Erschließungs- oder andere Tools wie Sprachtools dauerhaft einsetzen wollen in der Bibliothekswelt und uns vernetzen wollen.
Die Aufgabe für kleinere Bibliotheken, die das nicht so stemmen können mit Forschungsgruppen, ist auf jeden Fall, sich mit der Technologie auseinanderzusetzen und ihren Standpunkt zu finden für die nächsten fünf bis zehn Jahre.
Das bedarf solcher Gegenpole zu dem, was landläufig mit den Meta-Suchmaschinen abgedeckt wird, wie mit Wikipedia. Zumal Bibliotheken eine ganz andere Lebensdauer als eben Unternehmen haben, von ihrer Denkweise und Nachhaltigkeit. Bibliotheken sind auf Dauer angelegt, solange es den Staat oder die Universität gibt. Insofern sind unsere Lebenszyklen anders bemessen. Dafür müssen wir uns aufstellen.
Nicht alle Bibliotheken und Infrastruktureinrichtungen haben die Kapazitäten, eine umfassende KI-Abteilung mit entsprechendem Personal aufzubauen. Ist also die Bündelung von Kompetenzen und die Nutzung von Synergieeffekten sinnvoll?
Anna Kasprzik: Ja und nein. Wir tauschen uns mit anderen Institutionen wie der Deutschen Nationalbibliothek aus. Unser wissenschaftlicher Mitarbeiter und Entwickler arbeitet zum Beispiel an der Weiterentwicklung des Toolkits Annif aus Finnland von der Finnischen Nationalbibliothek mit. Dieses Toolkit ist auch für viele andere Institutionen zum primären Einsatz interessant. Ich finde es sehr sinnvoll, sich auszutauschen, auch was Erfahrungen mit solchen Toolkits angeht.
Das hat allerdings auch Grenzen, was ich immer wieder feststelle, wenn ich andere Institutionen berate, letzte Woche zum Beispiel Vertreter:innen von Schweizer Bibliotheken. Man kann den anderen Institutionen nicht alles abnehmen. Wenn man diese Instrumente einsetzen will, müssen die Institutionen sie auf ihren eigenen Daten trainieren. Man kann nicht einfach Modelle trainieren und die eins zu eins in andere Einrichtungen verpflanzen. Klar, man kann sich austauschen, unterstützen, auch versuchen, zentrale Hubs aufzubauen, wo zumindest Strukturen oder Rechenpower bereitgestellt wird. Es gibt aber nichts, wo in so einem Zentrum eine regalfertige Lösung für alle entwickelt wird. So funktioniert Machine Learning nicht.
Frank Seeliger: Die Bibliothekslandschaft bei uns ist wie eine Siedlung aufgebaut, nicht wie ein Hochhaus. Früher gab es ein deutsches Bibliotheksinstitut, das versucht hat, viele Angelegenheiten bei den wissenschaftlichen Bibliotheken in Deutschland spartenübergreifend zu bündeln. So eine zentrale Einheit gibt es nicht mehr, lediglich mehrere Bibliotheksverbünde auf die Institutionen und Bibliotheksverbände auf das Personal bezogen. Insofern gibt es diese zentrale Bibliotheksstruktur nicht, die sich des Themas KI annehmen könnte. Es gab eine AG RFID (oder auch Special Interest Group RFID bei der IFLA), und es sollte eigentlich eine AG Roboter geben, aber es muss halt jemand tun, und zwar meist neben dem Job.
Jedenfalls gibt es keine zentrale Bibliotheks-Infrastruktur, die so ein Thema auffangen könnte, wie Bitkom als Lobbyverband, und das herunterbricht auf die Einzelunternehmen. Der Weg, den wir gehen, liegt in der Fläche. Das hängt auch damit zusammen, dass wir in den Bundesländern ganz unterschiedlich agieren, durch die Bund-Länder-Aufstellung. Aufgrund der Länderhoheit in vielen Bereichen müssen wir uns projektbezogen finden und zusammenarbeiten. Wichtig wird sein, sich Kooperationspartner:innen zu suchen und das nicht alleine zu machen, weil es allein einfach zu viel ist.
Eine zentrale Anlaufstelle wird es jedenfalls nicht geben. Auch das Deutsche Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (DFKI) hat Bibliotheken nicht im Fokus. Es gibt da niemanden, den:die man anrufen kann. Alles wird sich von Fall zu Fall und interessensbezogen abspielen.
Wie findet man denn die richtigen Kooperationspartner:innen?
Frank Seeliger: Dafür gibt es Bibliothekskongresse, auf denen man sich austauscht. Es gibt einen Vortrag zu irgendetwas, was man gemacht hat, und dann finden sich die Interessent:innen: Man organisiert sich, schreibt gemeinsam Drittmittelanträge oder Artikel oder versucht selbst eine Konferenz zu veranstalten. Solche Konferenzen existieren bereits, und dadurch eine gewisse verstetigte Struktur des Austausches.
Ich bin der konservative Typ. Ich lese Beiträge in Bibliothekszeitschriften, höre mir Konferenznachrichten an oder gehe zu Kongressen. Dort gibt es den informellen Austausch, man begegnet sich. Neben Social Media, was ja auch wichtig ist. Aber wenn man Leute nicht erreicht über die Social-Media-Kanäle, gibt es den (hoffentlich bald wiederkehrenden) physischen Austausch am Ort, zum Beispiel über gewisse Sektionstage. Wir haben nächste Woche wieder Sektion-IV-Treffen vom Deutsche Bibliotheksverband (DBV) in Dresden, wo 100 Leute zusammenkommen. Dort sind die Chancen groß, Kolleg:innen zu finden, die mit einer ähnlichen Frage oder einem ähnlichen Thema unterwegs sind. Dann tauscht man sich aus – auf dem klassischen Weg.
Anna Kasprzik: Aber es gibt auch kleinere Workshops, für Spezialist:innen. Zum Beispiel veranstaltet die Deutsche Nationalbibliothek seit ein paar Jahren die Fachtagung des Netzwerkes für maschinelle Erschließung (FNMVE), für diejenigen, die sich für maschinelle Verfahren in der Erschließung interessieren.
Alternativ finde ich es attraktiv, mich über Social Media zu vernetzen. Die meisten Leute, die in dem Bereich aktiv sind, sind auch im Netz zu finden, zum Beispiel auf Twitter oder Mastodon. Ich habe 2016 auf Twitter angefangen und meinen Account bewusst so aufgebaut, dass ich Leuten mit Interesse an Semantic-Web-Technologien gefolgt bin. Das sind Einzelpersonen, aber die ziehen dann ein ganzes Netzwerk auf. Ich kann keine einzelne Institution nennen, es sind individuelle Community-Mitglieder.
Und wie habt ihr euch gefunden? Also die Arbeitsgruppe, die dieses “White-Paper in progress” zusammengestellt hat?
Anna Kasprzik: Frank ist an allem schuld.
Frank Seeliger: Anna kam mal hierher. Ich hatte Herrn Puppe eingeladen, über ein Digitalisierungs-projekt, wo mit KI-Methoden die optische Zeichenerkennung OCR und Bilderkennung von historischen Werken unterstützt wurde. Genau über den klassischen Weg, den ich beschrieben habe, also über ein Symposium, da wurden die ersten eingeladen.
Darüber entstand ein Bedarf, sich zu positionieren. Ich hatte kurz vorher mit einem Kollegen aus den Niederlanden bei einer Tagung gesprochen. Er meinte, sie wären zu spät gewesen mit ihrem KI-Whitepaper, sodass sie von der Politik nicht berücksichtigt wurden und keine Sondermittel für KI-Tools Bibliotheken betreffend bekamen. Das war der Weckruf, und ich dachte, hier bei uns gibt es auch nichts, was mir bekannt wäre, speziell für Informationseinrichtungen. Daraufhin habe ich recherchiert, wer Publikationen zum Thema veröffentlicht hat. So hat sich das Netzwerk aufgebaut, was immer noch trägt. Wir arbeiten gerade an der englischen Übersetzung.
Was ist euer Appell an das Management von Informationseinrichtungen. Das hattest du, Anna, am Anfang ja bereits angesprochen, dass das Commitment, auch von „ganz oben“ entscheidend ist. Aber darüber hinaus: Welche Weichen müssen jetzt gestellt und welche Ressourcen aufgebaut werden, damit Bibliotheken in Zeiten von KI nicht den Anschluss verlieren?
Anna Kasprzik: Für die Institutionen, denen das möglich ist, ist es wichtig, nachhaltig Expertise aufzubauen. Aber ich verstehe Frank absolut: Es ist valide zu sagen, das kann sich nicht jede Institution leisten. Deswegen sind für mich zwei Aspekte wichtig: Das eine ist, Spitzen von Expertise und Ressourcen an Zentren aufzubauen und die Ressourcen dort zu clustern. Das andere ist, die Kommunikationsstrukturen über Institutionen hinweg aufzubauen oder sich beispielsweise eine Cloud-Struktur oder ähnliches zu teilen. Ein Netz zu schaffen, um es in die Breite zu kriegen. Um das Disseminieren, also das Teilen solcher Erfahrungen zur Nachnutzung möglich zu machen.
Frank Seeliger: Vielleicht gibt es noch einen dritten Aspekt: Den eigenen Geschäftsgang, den man verantwortet, so zu reflektieren, dass man erkennen kann, ob der sich für eine – zum Beispiel KI-gestützte – Automatisierung eignet. Selber reflektieren, aber das auch den Kolleg:innen mitgibt, ihren eigenen Workflow so zu reflektieren, ob da vielleicht Routinen durch Maschinen übernommen werden können und sie damit auch eine Entlastung erfahren.
Wir hatten zum Beispiel im Kooperativen Bibliotheksverbund Berlin-Brandenburg (KOBV), unserem Bibliotheksverbund, das Problem, dass wir gerne ein Lab gegründet hätten. Nicht nur um zu spielen, sondern auch, um bei wirklich sehr lebensnahen Aufgaben zusammen zu schauen, wie wir die technisch unterstützen können. Ich will nicht sagen, dass es scheiterte, aber das Problem war, dass man erst mal die Ideen brauchte: Was kann man eigentlich mit KI angehen? Wofür wird viel Zeit benötigt? Ist das die Erschließung? Andere Arbeitsprozesse, die wie eine Routine mit einer hohen Ähnlichkeit immer wieder vollzogen werden? Wir wollten das Lab, um genau diese Prozesse anzuschauen und zu prüfen, ob wir sie automatisieren können, unabhängig davon, was Bibliotheksmanagementsysteme leisten oder die ganzen anderen Tools, mit denen wir arbeiten.
Wichtig ist, dass der Prozess der eigenen Reflexion hinsichtlich der Automatisierung und Digitalisierung angestoßen wird, um Arbeitsfelder zu benennen. Einige haben Expertise in KI, andere in ihrem:seinem Feld, und die müssen zusammenkommen. Der Weg führt über die eigene Reflexion, um ins Gespräch zu kommen und auszuloten, ob man da Lösungen finden kann.
Und inwiefern kann das Management unterstützen?
Frank Seeliger: Leitungstätigkeit ist das Zusammenbringen und das Anstoßen, Impulse zu geben. Gerade durch die Corona-Pandemie und die Digitalisierung sind viele extrem belastet. Es gibt da so einen Spruch von Angela Merkel. Sie sagte mal, zum Denken käme sie nur in der Weihnachtszeit. Wie auch immer man das jetzt sehen möchte. Aus Gewohnheit und weil man den Stapel Arbeit weghaben möchte in der Arbeitszeit, gestaltet es sich oft schwierig, das zu reflektieren, was man tut, und ob es nicht bereits ein Tool gibt, das helfen könnte. Da ist es eine Aufgabe der Leitungsebene, sich diese Prozesse anzuschauen, gegebenenfalls zu sagen, ja, vielleicht könnte der Person damit geholfen werden. Machen wir ein Projekt daraus und schauen uns das näher an.
Anna Kasprzik: Ja, das ist das eine, aber für mich ist die Aufgabe der Leitungsebene vor allem, den Mitarbeitenden den Rücken freizuhalten und den Weg freizuschaufeln. Da kommt dann ein anderes Buzzword ins Spiel: das agile Arbeiten. Es geht nicht nur darum, Impulse zu geben, sondern die Leute damit zu fördern, dass man sie eigenverantwortlich laufen lässt, ihnen Handlungsfreiraum verschafft. Das agile Manifest sozusagen, aus dem auch folgt, dass man Raum zum Experimentieren schafft und eine gewisse Fehlerkultur zulässt. Sonst entwickelt sich nichts.
Frank Seeliger: Wir machen bald eine Umfrage „Best of Scheitern“, weil wir abfragen wollen, welche Fehlerkultur wir wirklich haben, weil das sakrosankt ist. Das wird auch das Thema des Wildauer Bibliothekssymposiums am 13.09. – 14.09.2022 sein. Dort werden wir uns intensiver mit der Fehlerkultur befassen. Weil es richtig ist. Auch bei IT-Projekten muss man einfach mal zulassen, dass Sachen schiefgehen. Sie müssen natürlich nicht als Daueraufgabe übernommen werden, wenn sie nicht gut laufen. Aber manchmal ist gut, es einfach zu versuchen, weil man nicht prognostizieren kann, ob ein Service angenommen wird oder nicht.
Was lernen wir aus diesen Fehlern? Wir sprechen relativ wenig drüber, reden meistens von Erfolgsprojekten, die gut laufen und die irre Mittel eingefahren haben. Aber der andere Part muss auch mal in den Fokus rücken, um besser draus zu lernen und Sachen mitzunehmen für das nächste Projekt.
Habt ihr noch irgendwas, was ihr am Ende mitgeben möchtet?
Frank Seeliger: KI ist nicht nur die Aufgabe für große Einrichtungen.
Anna Kasprzik: Genau, KI geht alle an – auch wenn man sich mit KI nicht nur um der KI willen befassen sollte, sondern um neue innovative Dienste zu entwickeln, die sonst so nicht möglich gewesen wären.
Frank Seeliger: Es gibt natürlich noch andere Themen, gar keine Frage. Aber man muss sich dem stellen und Verschiedenes sortieren.
Anna Kasprzik: Es ist wichtig, dass durchdringt, dass man Automatisierungsansätze nicht als Bedrohung empfinden muss, sondern dass dieser digitale Dschungel jetzt nun mal existiert und dass wir Hilfsinstrumente brauchen, um uns darin zurechtzufinden. Dafür ist KI eine willkommene Chance, die neue Potenziale und Mehrwerte schafft, und eben keine Bedrohung, die Menschen und ihren Arbeitsplatz abschafft.
Frank Seeliger: Die Frage hat man uns auch gestellt: Was ist der Mehrwert von der Automatisierung? Klar, man verbringt weniger Zeit mit Routineprozessen, die sehr manuell vonstattengehen. Daraus entstehen Freiräume, um sich mit neuen Technologien zu beschäftigen, sich fortzubilden oder mehr Zeit für Kund:innen zu haben. Und wir brauchen diese Freiräume für den Aufbau neuer Services und Dienstleistungen. Man muss sie einfach schaffen, auch für agiles Projektmanagement, sodass man nicht nur 100 % seiner Zeit irgendwelche Stapel abarbeitet, sondern vielleicht 20 % für was Neues hat. Diese Zeit zu schaffen, dabei kann KI helfen.
Vielen Dank für das Gespräch, Anna und Frank.
In Teil 1 des Interviews zu „KI in wissenschaftlichen Bibliotheken“ geht es um: Handlungsfelder, große Player und die Automatisierung der Erschließung.
In Teil 2 des Interviews zu „KI in wissenschaftlichen Bibliotheken“ geht es um: Spannende Projekte, die Zukunft von Chatbots und Diskriminierung durch KI.
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Porträt: ZBW©, Fotografin: Carola Gruebner
Dr. Frank Seeliger leitet die Hochschulbibliothek der Technischen Hochschule Wildau seit 2006 und ist seit 2015 mitverantwortlich für den berufsbegleitenden Masterstudiengang Bibliotheksinformatik am Wildauer An-Institut WIT (Wildau Institute of Technology). Ein Modul befasst sich dabei mit KI. Er ist auch auf ORCID zu finden.
Porträt: TH Wildau
Featured Image: Alina Constantin / Better Images of AI / Handmade A.I / Licensed by CC-BY 4.0
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