Open Science Conference 2022: Neue Herausforderungen auf der globalen Ebene
Was waren die Schwerpunkte der Open Science Conference 2022? Welche Themen beschäftigen die internationale Open-Science-Community aktuell am stärksten? Von welchen Best-Practice-Beispielen können wir am meisten lernen? Und welche Rolle hat die UNESCO für den globalen Open-Science-Diskurs gespielt? Wir werfen einen Blick auf die Highlights und Besonderheiten der erneut rein digitalen #OSC2022.
von Guido Scherp, Doreen Siegfried und Claudia Sittner
Die Open Science Conference 2022 war so international wie noch nie. Knapp 300 Teilnehmende aus 49 Ländern folgten den 10 Vorträgen und der Paneldiskussion zu den neuesten Entwicklungen im immer globaler werdenden Open-Science-Ökosystem. Während es bei den Vorträgen oft um die Makro-Ebene des Wissenschaftssystems ging, nahmen zusätzlich 13 Posterpräsentationen die Besucher:innen zu vielen Best-Practice-Beispielen in unterschiedliche Ecken Europas mit. Wer nicht live dabei sein konnte, folgte auf Twitter #OSC2022 oder schaute sich im Nachhinein die Videoaufzeichnungen der Vorträge und Präsentationen an.
In diesem Jahr gab es eine Kooperation mit der Deutschen UNESCO-Kommission (DUK). Im Kontext der Ende 2021 verabschiedeten UNESCO Recommendation on Open Science hat die DUK eine Paneldiskussion und einen Workshop organisiert. Die mit der Recommendation verbundene globale Perspektive auf Open Science hat sicherlich zur stärkeren Internationalisierung insbesondere außerhalb Europas beigetragen.
Professor Klaus Tochtermann, Chair der Konferenz, betonte in seiner Eröffnung, dass sich seit der letzten Konferenz 2021 viel in der Open-Science-Bewegung getan habe. Beispielsweise fordert die EU nun für Forschungsanträge des Rahmenprogramms „Horizon Europe“ ein klares Bekenntnis zur Unterstützung offener Praktiken. Die EU hatte das Thema Open Science bereits 2015 auf die Forschungsagenda gesetzt. Damals lag der Fokus auf Open Innovation, Open Science und Open to the World. Zudem startete die EU-Kommission kürzlich eine Initiative, um das bestehende System der Forschungsevaluierung zu reformieren.
Tochtermann hob angesichts des Ukraine-Krieges in diesem Zusammenhang aber auch die Wichtigkeit von wertegeleiteter Wissenschaftsdiplomatie und Wissenschaftsfreiheit hervor, in denen globale Kooperation eine zentrale Rolle spielt.
Aktuelle Herausforderungen der Open-Science-Transformation
Auch in diesem Jahr waren wieder viele „Klassiker“ auf der Konferenz vertreten. Dazu gehörten Beiträge zu neuesten Entwicklungen in den Bereichen Forschungsdaten, gesellschaftlicher Teilhabe und Wissenschaftskommunikation. Einige Konferenzbeiträge haben dieses Jahr aber Berührungspunkte von Open Science mit anderen Bereichen adressiert und aufgezeigt, wie stark Open Science letztlich mit einer grundsätzlichen Transformation des Wissenschaftssystems verwoben ist. Offenheit allein löst nicht alle Probleme im globalen und vernetzten Wissenschaftsbetrieb, zeigt aber auf, welche Barrieren im Wissenschaftssystem die Umsetzung von Open Science aktuell behindern. Dabei gilt es, auch unbeabsichtigte negative Effekte bei dieser Transformation im Blick zu haben.
Rima-Maria Rahal ist in ihrem Vortrag “On the Importance of Permanent Employment Contracts for Research Quality and Robustness” darauf eingegangen, wie sehr Forschungsqualität unter den aktuellen Arbeitsbedingungen leidet. Dazu zählen zum einen befristete Stellen und der Wettbewerbsdruck im Wissenschaftssystem. In Deutschland wird dies aktuell durch die #IchBinHanna-Debatte auf Twitter geprägt. Zum anderen erschwert das fehlgeleitete Anreizsystem mit seinem Fokus auf den Impact Factor die Lage für viele Forschende ebenfalls. Diese Rahmenbedingungen behindern letztlich auch die Umsetzung von Open Science in der Fläche. Eine Verbesserung der Forschungspraxis bietet die Chance, strukturelle Veränderungen zugunsten der Forschungsqualität anzustoßen und mit offenen Prinzipien wie Nachvollziehbarkeit, Transparenz und Kollaboration zu verknüpfen.
Im Vortrag zu “Data Tracking in Research: Academic Freedom at Risk?” ging Joschka Selinger auf die allgemeine Entwicklung ein, dass Wissenschaftsverlage zunehmend Services für den gesamten Forschungszyklus anbieten. Vor dem Hintergrund der Open-Access-Entwicklung transformieren sie ihr Geschäftsmodell dabei von einem reinen Content Provider zu einem Data Analytics Business (siehe DFG-Positionspapier, PDF).
Diese Privatisierung von Wissenschaft verbunden mit einem (intransparenten) Sammeln und Verwerten von “Forschungsverhalten” ist problematisch für die Wissenschaftsfreiheit und das Recht auf informationelle Selbstbestimmung, wie Felix Reda auch kürzlich in einem Beitrag auf MediaTalk ausgeführt hat. Daher muss an wissenschaftlichen Einrichtungen das Bewusstsein für diese Problematik geschärft werden, um entsprechende Maßnahmen zum Schutz sensibler Daten einzuleiten.
Tony Ross-Hellauer befasste sich in seinem Vortrag “Mitigating risks of cumulative advantage in the transition to Open Science: The ON-MERRIT project” mit der Frage, ob mit Open Science bestehende Privilegien im Wissenschaftssystem verstärkt oder neue Privilegien geschaffen werden. Dabei geht es letztlich um Faktoren wie APC-Gebühren, die eine Teilhabe an Open Science erschweren und zu einem Privileg bzw. “kumulativen Vorteil” für finanzstarke Länder machen. Diese Faktoren wurden im Rahmen des Horizon-2020-Projekts ON-MERRIT untersucht und entsprechende Empfehlungen in einem Abschlussbericht veröffentlicht. Dabei geht es neben APC-Gebühren auch um die Ressourcenintensität offener Forschung sowie Belohnungs- und Anerkennungspraktiken.
Die globale Perspektive von Open Science
Klar wurde, dass ein zentrales Element der Weiterentwicklung von Open Science in jedem Fall die “UNESCO Recommendation on Open Science” ist. Diese Empfehlung hat insbesondere die globale Perspektive auf Open Science geprägt und um Aspekte wie Inklusivität, Diversität, Berücksichtigung verschiedener Wissenschaftssysteme/-kulturen und Gerechtigkeit (equity) erweitert. Das wurde insbesondere im Panel der Deutschen UNESCO-Kommission zu “Promoting Open Science globally: the UNESCO Recommendation on Open Science“ deutlich.
In Impulsvorträgen haben Vera Lacoeuilhe, Peggy Oti-Boateng and Ghaith Fariz Einblicke in die Hintergründe der Empfehlung und den Prozess dahinter gegeben. Die Verhandlung einer solchen Empfehlung ist extrem schwierig. Und das, obwohl diese ja nicht einmal in Gesetzen mündet, sondern maximal ein Monitoring/Berichtswesen erfordert. Am Ende hat es dennoch einen großen Konsens gegeben. Wie wichtig offene Ansätze und länderübergreifende Kollaborationen sind, um solche Herausforderungen zu bewältigen, hat letztlich die Corona-Pandemie gezeigt – auch wenn es eine große Herausforderung war, in Online-Meetings eine vertrauensvolle Atmosphäre herzustellen. Zuletzt war der Prozess bis zu einer Empfehlung im Sinne von Open Science selbst inklusiv, transparent und konsultativ: Der Text stand zwischendurch auch zur öffentlichen Kommentierung bereit.
In der folgenden Diskussion wurde sehr deutlich, welche großen Erwartungshaltungen und Anforderungen es bei den Themen Inklusion und Gerechtigkeit gibt. Die Panelist:innen waren sich einig, dass es einen Wandel geben muss: weg von “Wissenschaft für wenige Auserwählte” hin zu “Wissenschaft für alle”. Der Zugang zur Wissenschaft und der Nutzen des wissenschaftlichen Fortschritts ist für alle zu gewährleisten.
Das Thema Gerechtigkeit wurde dabei stark am Beispiel des afrikanischen Kontinents behandelt (beispielsweise im Kontext von APC-Gebühren). Bei der Diskussion ging es aber auch um die Reichweite der Empfehlung, die durch sie ausgelöste globale Dynamik sowie um eine kollektive Vision für Open Science. Und letztlich wurde Wissenschaft als zentral angesehen, um die UN-Ziele für nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goals/ SDG) zu erreichen. Open Science nimmt dabei eine entscheidende Rolle ein.
Bei der Umsetzung der Empfehlung geht es nun in Arbeitsgruppen weiter, berichteten die Panelist:innen. Dabei geht es um Themen wie Finanzierung, Infrastruktur, Hilfe zur Selbsthilfe und das oben erwähnte Monitoring.
Für die Umsetzung von Open Science in afrikanischen Ländern gibt es bereits einige Aktivitäten: Elf dieser Best-Practice-Beispiele wurden zum Abschluss der Konferenz auf dem UNESCO-Workshop “Fostering Open Science in Africa – Practices, Opportunities, Solutions” (PDF) vorgestellt. Wer im Kontext der Umsetzung der Empfehlung oder in Bezug auf Open-Science-Aktivitäten Kontakt zur DUK aufnehmen möchte, kann sich gerne an Fatma Rebeggiani (E-Mail: ) wenden.
Neueste Open-Science-Entwicklungen und Best Practices
Obwohl der globale Blick auf der diesjährigen Open Science Conference eine große Rolle spielte, gab es auch wieder viele Einblicke in lokale Projekte, diverse Open-Science-Communities und Best-Practice-Beispiele. Vor allem in der Postersession mit den 13 Beiträgen war es leicht, mit den Projektverantwortlichen vor Ort über ihre Herausforderungen bei der Umsetzung von Open Science ins Gespräch zu kommen.
Wie immer erfrischend war die Vorstellung neuer Projekte und Ansätze, zum Beispiel der Grassroots-Initiative von Studierenden für Studierende, über die wir hier auf MediaTalk berichtet haben. Als Vertreter:innen von der studentisch-ehrenamtlich geführten Initiative führten Iris Smal, Hilbrand Wouters und Christeen Saparamadu aus, warum es so wichtig ist, Studierende so früh wie möglich an die Prinzipien von Open Science heranzuführen.
Ein weiteres Best-Practice-Beispiel zeigte, wie eine Initiative der Helmholtz-Gemeinschaft vorgeht, um „Daten zu befreien“. Durch Dienstleistungen, Beratungen oder mit Hilfe von Werkzeugen werden Forschende dort bei der Verwaltung oder Bereitstellung von Forschungsdaten unterstützt. Auch ein effizienter Umgang mit Metadaten oder das Wissen darum, wo Daten verschiedener Disziplinen zu finden sind, seien hierbei relevant, erklärten Christine Lemster, Constanze Curdt und Sören Lorenz in ihrem Poster.
Spannend waren auch die Einblicke in die ersten sechs Monate Open Science an der UNC-Wilmington (North Carolina, USA) von Open-Science-Pionierinnen Lynnee Marie Argabright und Allison Michelle Kittinger. Für die beiden wurden dort zwei ganz neue Rollen geschaffen: die der Datenbibliothekar:innen. Ziel ist es, disziplinübergreifend einen nachhaltigen Open-Science-Campus aufzubauen. Ein wichtiges Anliegen der beiden Open-Science-Neulinge ist es auch, das Bewusstsein für den Forschungsdaten-Lebenszyklus zu schärfen.
Auch Einblicke, wie die Open-Science-Bewegung in unterschiedlichen Ländern vorankommt, gehören inzwischen fest zum Repertoire der Open Science Conference. Bei der Postersession wurden diesmal Projekte aus diesen Ländern vorgestellt:
- Aus der Slowakei berichteten Zuzana Stožická, Silvia Sofianos, Mária Habrmanová, Matej Harvát und Jitka Dobbersteinová über die “Förderung von und Aufklärung über Citizen Science im Kontext eines kleinen mitteleuropäischen Landes”, in dem ein fünfteiliger Kurs entwickelt wurde, der gut als Blaupause für andere dienen könnte;
- Aus Griechenland hatten Athanasia Salamoura, Maria Frantzi und Giannis Tsakonas ein Poster zu “Open Access in Griechenland: Wahrnehmungen in akademischen Einrichtungen” vorbereitet, wobei Ergebnisse einer aktuellen Umfrage vorgestellt wurden;
- Sophie Forcadell und Adeline Rege aus Frankreich stellten den “Zweiten französischen nationalen Plan für Open Science: Unterstützung und Möglichkeiten für offene Infrastrukturen und Praktiken der Universitäten” vor;
- Und Matic Bradač aus Slowenien teilte mit allen Interessierten auf der #OSC2022 die “Lehren aus der Open-Access-Kampagne an der School of Economics and Business der Universität Ljubljana”; mit der die Nutzungsrate des institutionellen Open-Access-Repositoriums von 7 auf 45 Prozent gesteigert werden konnte.
Hierbei zeigte sich, wie viel Rücksicht bei solchen Projekten auf die nationalen oder lokalen Rahmenbedingungen und landestypischen Befindlichkeiten genommen werden müssen, damit die Projekte am Ende funktionieren.
Fazit Open Science Conference 2022
Die diesjährige Open Science Conference hat einmal mehr aufgezeigt, wie sich das Begriffsverständnis von Open Science, betrachtet man es aus globaler Perspektive, erweitert und ein ganz anderer Anspruch entsteht. Sind bisher vor allem Prinzipien wie Transparenz, Offenheit oder Nachnutzbarkeit im Fokus, lenkt die UNESCO den globalen Blick mehr auf Inklusion, Diversität und Gerechtigkeit. Dabei wird klar: Es gibt nicht die eine Definition und Betrachtungsweise von Open Science, sondern, je nach Perspektive, viele. Die Diskussion um die UNESCO-Empfehlung zu Open Science hat aber gezeigt, wie wichtig es ist, sich auf ein paar Grundvoraussetzungen zu einigen, um auch die Länder aus dem sogenannten “globalen Süden” abzuholen.
In jedem Fall ist die globale Diskussion in vielerlei Hinsicht eine andere als beispielsweise die europäische. Dennoch kann Open Science nicht losgelöst vom nationalen oder kontinentalen Wissenschaftssystem betrachtet werden. Sicher keine neue Erkenntnis, aber doch eine, die sich auf der #OSC2022 eindrücklich beim UNESCO-Workshop an den vielen Open-Science-Projekten in afrikanischen Ländern gezeigt hat.
Trotzdem ist auch der Blick auf die gesamte Welt unumgänglich. Denn es gilt, gemeinsame Herausforderungen zu bewältigen. Die Klimakrise, der Kampf gegen die globale Corona-Pandemie oder die Versorgung mit Nahrung und Energie sind nur ein paar Beispiele dafür, warum die Chance für eine globale Zusammenarbeit nicht verpasst werden sollte. Und die Lücke zwischen Wissen und Wissenschaft zwischen den sogenannten westlichen Ländern und dem globalen Süden ist ohnehin schon zu groß. Doch wenn das Open-Science-Ökosystem global funktionieren soll, ist es essentiell, Forschende aus aller Welt einzubeziehen. Nur so können die Krisen unserer Zeit effektiv und inklusiv gelöst werden.
Links zur Open Science Conference 2022
- Programm der Open Science Conference 2022
- Konferenzfolien & -poster der Open Science Conference 2022
- Referent:innen der Open Science Conference 2022
- Aufzeichnungen der Vorträge auf YouTube
- Die OSC2022 in Bildern: Zeichnungen von Karin Schliehe
- Hashtag: #OSC2022
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Dr. Guido Scherp ist Leiter der Abteilung “Open-Science-Transfer” an der ZBW – Leibniz-Informationszentrum Wirtschaft. Er ist auch auf LinkedIn und Mastodon zu finden.
Porträt: ZBW©, Fotograf: Sven Wied
Dr. Doreen Siegfried ist die Leitung der Abteilung Marketing und Public Relations. Sie ist auch auf LinkedIn and Twitter zu finden.
Porträt: ZBW©
Claudia Sittner studierte Journalistik und Sprachen in Hamburg und London. Sie war lange Zeit Referentin beim von der ZBW herausgegebenen Wirtschaftsdienst – Zeitschrift für Wirtschaftspolitik und war Redakteurin des Blogs ZBW MediaTalk. Außerdem ist sie freiberufliche Reise-Bloggerin, Rednerin und Autorin. Sie ist auch auf LinkedIn, Twitter und Xing zu finden.
Porträt: Claudia Sittner©
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