Offene Bildungsressourcen: Einstieg in OER in den Benutzungsdiensten – Best Practice aus der ZBW
Die größte Hürde war folgende Entscheidung: Wann ist der Entwurf gut genug und kann online gehen? Bibliothekarischer Perfektionismus und offene Bildungsressourcen scheinen sich eher zu widersprechen anstatt zu ergänzen. Wie das Team von den ZBW-Benutzungsdiensten es trotzdem geschafft hat, eine erste Open Educational Ressource zu erstellen, berichten Nicole Clasen und Carola Ziebart im Gastartikel.
von Nicole Clasen und Carola Ziebart
Status Quo Offene Bildungsressourcen in Deutschland
Offene Bildungsressourcen (OER) sind ein wichtiger Bestandteil des Wandels der Wissenschaft hin zu Open Science. Darunter versteht man „jegliche Arten von Lehr-Lern-Materialien, die gemeinfrei oder mit einer freien Lizenz bereitgestellt werden“, so die Definition der UNESCO. In der Agenda 2030 zur nachhaltigen Entwicklung beschreiben die Vereinten Nationen unter Punkt 4 „Quality Education” die Aufgaben einer nachhaltigen, gerechten Bildung und Ausbildung. Offene Lehr- und Lernmaterialien ermöglichen diese Forderungen nach kostenlosen, frei verfügbaren Informationsangeboten und bieten gute Möglichkeiten, die Agenda 2030 auch außerhalb des primären Bildungssektors umzusetzen.
“Open Educational Resources (OER) sind jegliche Arten von Lehr-Lern-Materialien, die gemeinfrei oder mit einer freien Lizenz bereitgestellt werden. Das Wesen dieser offenen Materialien liegt darin, dass jedermann sie legal und kostenfrei vervielfältigen, verwenden, verändern und verbreiten kann. OER umfassen Lehrbücher, Lehrpläne, Lehrveranstaltungskonzepte, Skripte, Aufgaben, Tests, Projekte, Audio-, Video- und Animationsformate.”
– Updage und vereinfachte Definition der UNESCO (deutsche Übersetzung)
Die Verbreitung von Offenen Bildungsressourcen ist in Deutschland jedoch gering, wie die Studie “Open Educational Resources in Deutschland: Entwicklungsstand und Perspektiven” schon 2015 zeigte und was auch der Zweite UNESCO-Weltkongress zu OER (PDF, S. 4) zutage förderte.
Die essenziellen Besonderheiten von Open Educational Resources – das Teilen, Nachnutzen und Weiterentwickeln (PDF) – sind in deutschen Hochschulen noch nicht als Standard etabliert.
Für eine kompetente Beratung von Bibliotheksnutzer:innen ist jedoch auch das Wissen um die Produktion von OER und ihre Herausforderungen unerlässlich. Zu den Herausforderungen gehören die nachnutzbare Lizenzierung, Urheberrecht und das Finden des richtigen Tools für das geplante OER-Projekt. Durch Überprüfen der eigenen Serviceangebote auf OER-Kompatibilität sowie das Schaffen von Raum und Angeboten für OER in ihrem analogen wie digitalen Lehr- und Lernort können Bibliotheken eine Verbreitung und bessere Nutzung von OER zusätzlich unterstützen.
Erstes OER-Projekt an der ZBW: einfach machen
Aus diesen Gründen sollten Offene Bildungsressourcen ein fester Bestandteil in den Benutzungsdiensten der ZBW – Leibniz-Informationszentrum Wirtschaft (ZBW) werden. Als bester Einstieg in dieses für uns neue Thema erschien uns daher die praktische Umsetzung einer OER. Denn wie soll man sonst Studierende und Forschende kompetent beraten, wenn man selbst noch nie etwas mit freien Lizenzen, der Suche nach offenen Bildungsressourcen und deren Plattformen zu tun gehabt hat?
Im Rahmen der internationalen Fernleihe und Dokumentlieferung gab es regelmäßig Nachfragen, warum dieses oder jenes nicht möglich ist. Bisher wurden diese Anfragen per Mail gestellt und beantwortet. Das Thema hatte also einen hohen Erklärungsbedarf. Das wollten wir ändern und den Themenkomplex zukünftig proaktiv vermitteln. So könnte er auch innerhalb der internationalen Bibliotheken erklärt und weitergegeben werden. Die Kolleg:innen aus der Dokumentlieferung der ZBW sahen in H5P eine gute Möglichkeit, den internationalen Kolleg:innen die Komplexität des deutschen Urheberrechts und dessen Auswirkungen für die internationale Fernleihe spielerisch und doch prägnant erläutern zu können.
H5P ist eine freie Software für die Erstellung interaktiver Inhalte und Übungen. Sie eignet sich aufgrund ihrer vielfältigen, interaktiven Möglichkeiten sehr gut für einen spielerischen Einstieg in Offene Bildungsressourcen. Die Basisversion von H5P ist kostenfrei zugänglich und das Nachnutzen der erstellten Inhalte möglich.
Spielerisch Wissen vermitteln: das Quiz
Die Kolleg:innen begannen mit der Auswahl einer geeigneten H5P-Komponente für die angestrebte Wissensvermittlung. Als geeignet für die gewünschte Mischung aus erklärenden Slides und Infotainment erschien die Komponente „Course Presentation”. Teil 1 der daraus entstandenen Offenen Bildungsressource erläutert verschiedene Aspekte des deutschen Urheberrechts und ihre Bedeutung für die Fernleihe. Dazu zählen Details wie die zulässige Prozentzahl von 10 Prozent eines Werkes, die aus dem Werk höchstens kopiert werden dürfen, die Definition der Gemeinfreiheit oder der Hinweis auf das nicht erlaubte Versenden von PDFs. Anschließend wird in Teil 2 das vermittelte Wissen in einem Quiz abgefragt.
Der gewählte Ansatz, dass dem Team der Einstieg in Offene Bildungsressourcen über bekanntes Terrain wie die Fernleihe leichter fällt, funktionierte. Alle Kolleg:innen sind in dem Fach kompetent und jahrelang erfahren. So konnten sie sich ganz auf das Entwickeln der H5P-Slides, auf die Auswahl lizenzkonformer Fotos und das Erstellen passender Metadaten konzentrieren. Und das war für den Start aufregend genug. Die größte Hürde war jedoch folgende Entscheidung: Wann ist der Entwurf gut genug und kann online gehen? Bibliothekarischer Perfektionismus und offene Bildungsressourcen scheinen sich eher zu widersprechen anstatt zu ergänzen.
Im Anschluss an das H5P-Quiz zum deutschen Urheberrecht in der internationalen Fernleihe war der Ehrgeiz geweckt und die Kolleg:innen entwickelten direkt die Fortsetzung: eine Erklärung des elektronischen Lesesaals.
Alle müssen mit: interne Weiterbildung zu OER
Nach diesen Einstiegserfahrungen sollten die Kenntnisse zu offenen Bildungsressourcen dauerhaft in den Benutzungsdiensten aufgebaut und für alle Kolleg:innen zur Verfügung gestellt werden. Dazu initiierte unsere Abteilung die interne Schulungsreihe „OER für Informationsspezialist:innen“. Praxisorientiert und modular konzeptioniert vermittelt sie allen Beschäftigten der Benutzungsdienste Einblicke in die OER-Einstiegsthemen Lizenzierung, Suche nach gemeinfreiem Material sowie Daten- und Medienkompetenz. Zusätzlich wird Open Source Software vorgestellt und selbst getestet. Alle Dozierenden sind abteilungsinterne Kolleg:innen, die sich vorab in einzelne Tools eingearbeitet haben.
Die ersten Schritte hin zu offenen Bildungsressourcen sind getan. Besonders die Schulungsreihe bietet Potenzial für weitere nutzungsorientierte Projekte und erleichtert den Zugang zu geteiltem Wissen.
Tipp für OER-Neulinge
Um erfolgreich mit OER zu starten, würde ich zuerst einmal an entsprechenden Workshops und Online-Fortbildungen teilnehmen. Mittlerweile gibt es dazu viele Angebote. Dann kann man schauen, welche der OER-Plattformen zu der Bibliothek oder dem Thema passen.
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Autorinnen
Nicole Clasen leitete die Abteilung Benutzungsdienste in der ZBW – Leibniz-Informationszentrum Wirtschaft. Zu ihren Arbeitsschwerpunkten gehörte neben der Informationsvermittlung und den digitalen Benutzungsdiensten auch die Usability Experience. Sie ist auch auf LinkedIn und Twitter zu finden.
Porträt: ZBW©, Fotograf Sven Wied
Carola Ziebart arbeitet seit April 2004 als Fachangestellte für Medien- und Informationsdienste (FaMi) in der Abteilung Benutzungsdienste der ZBW – Leibniz-Informationszentrum Wirtschaft. Dabei ist sie in den Bereichen der Dokumentlieferung, Servicetheke, Mahn-und Verlustwesen und zudem im Bereich Datenqualität und Koordination tätig.
Porträt: ZBW©, Fotograf Sven Wied
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