Forschungsdatenmanagement: Wir müssen Tempo machen
Forschungsdatenmanagement ist eine der großen Zukunftsaufgaben – für alle Beteiligten im Wissenschaftssystem. Doch was braucht es, um diese Aufgabe nachhaltig zu meistern? Dieser Frage hat sich ein prominent besetzter Workshop kürzlich gewidmet.
von Prof. Dr. Udo Kragl, Prof. Dr. Anne Lauber-Rönsberg, Prof. Dr. Klaus Tochtermann, Dr. Oda Cordes und Dr. Anna Maria Höfler
Auf Initiative der Norddeutschen Wissenschaftsministerkonferenz (NWMK) veranstaltete das Ministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur des Landes Mecklenburg-Vorpommern in Kooperation mit der ZBW – Leibniz-Informationszentrum Wirtschaft am 15. Oktober 2021 den Workshop “Forschungsdatenmanagement an norddeutschen Hochschulen und Forschungseinrichtungen gemeinsam gestalten”. Drei hochkarätig besetzte Panels und 200 virtuell zugeschaltete Teilnehmer:innen diskutierten zu strategischen Plänen zum campusweiten Forschungsdatenmanagement an Hochschulen, zukünftigen Angeboten von Bibliotheken sowie rechtlichen Aspekten.
Der vorliegende Artikel fasst die wesentlichen Ergebnisse zusammen und soll damit die angestoßenen Prozesse und Entwicklungen weiter befördern.
Forschungsdaten werden weltweit in großem Umfang generiert, wobei je nach Fachrichtung die Art und das Volumen der Daten sehr unterschiedlich sind. Die Art der Speicherung und vor allem die Form der Veröffentlichung entscheiden darüber, wie und in welchem Umfang die Daten innerhalb der Wissenschaft, aber auch der breiten Öffentlichkeit bekannt und nutzbar werden. In Deutschland werden auf nationaler Ebene durch den Bund und die Länder mit der Förderung von Konsortien in verschiedenen Fachgebieten die Grundlagen für ein umfassendes nationales Forschungsdatenmanagement geschaffen.
Strategische Pläne zum campusweiten Forschungsdatenmanagement an Hochschulen
Im Panel zu den strategischen Plänen zum campusweiten Forschungsdatenmanagement an Hochschulen wurde vor dem Hintergrund, dass Forschungsdatenmanagement eine zunehmend große Rolle bei der Einwerbung von Drittmitteln spielt, die vorhandene Spannbreite im Umgang mit Forschungsdaten aufgezeigt. Dieses Spektrum reicht von „das machen wir nicht“ bis hin zu einem Selbstverständnis im Umgang mit Forschungsdaten. Die damit verbundene Orientierung an den FAIR-Prinzipien (findable, accessible, interoperable, reusable) ist auf nationaler und internationaler Ebene eingebettet in eine allgemeinere Diskussion zur Nutzung von wissenschaftlichen Ergebnissen unter dem Begriff der Open Science: Daten „so offen wie möglich, so geschlossen wie nötig“ zu behandeln. Für den dafür erforderlichen Paradigmenwandel in den einzelnen Fachbereichen gibt es eine Reihe von Fragen und Voraussetzungen, die geklärt werden müssen, wie die Diskussion im Panel zeigte. In den wissenschaftlichen Einrichtungen ist dieser Prozess an einzelnen Stellen schon länger im Gange, an anderen Stellen steht er noch am Anfang. Ebenso gibt es Ansätze zu einer gesamtheitlichen Betrachtung. Um dies stärker voranzubringen, wurden in der Diskussion im Panel und mit den Teilnehmer:innen folgende Empfehlungen an alle Beteiligten des Wissenschaftssystems herausgearbeitet.
- Forschungsdatenmanagement muss curricular in die Hochschulausbildung und damit in die Studien- und Prüfungsordnungen aufgenommen werden, sodass eine Sensibilisierung des wissenschaftlichen Nachwuchses bereits zu einem frühen Zeitpunkt erfolgt.
- Forschungsdatenmanagement erfordert eine personelle Ausstattung von Expert:innen des Forschungsdatenmanagements, sowohl für die Hochschulausbildung als auch für die Unterstützung der Wissenschaftler:innen an den Hochschulen.
- Forschungsdatenmanagement erfordert Kooperationen zentraler Einrichtungen hochschulübergreifend im Interesse einer besseren Koordination, in die außeruniversitäre Forschungseinrichtungen mit einbezogen sind. Betont wurde hierbei die Sinnhaftigkeit, an Standorten zwischen Einrichtungen gleicher Ausrichtung, aber auch über verschiedene Standorte hinweg, intensiv zusammenzuarbeiten, um Ressourcen effektiv zu nutzen und vor allem auch zur Entwicklung gemeinsamer Standards beizutragen.
Zukünftige Serviceangebote der Hochschulbibliotheken
Im Rahmen des Panels zu zukünftigen Serviceangeboten der Hochschulbibliotheken wurde diskutiert, welche Angebote Hochschulbibliotheken für das Forschungsdatenmanagement entwickeln können. Hierzu können Beratungsformate zum Auffinden, Zitieren und Dokumentieren von Forschungsdaten, der Umgang mit den FAIR-Prinzipien, Angebote wie die Vergabe von persistenten Identifikatoren für Forschungsdaten oder aber die Rolle von Hochschulbibliotheken in Konsortien der Nationalen Forschungsdateninfrastruktur (NFDI) zählen. In der Diskussion wurden Vorgehensweisen für die Einführung von Angeboten zur Unterstützung von Forschungsdatenmanagement durch Hochschulbibliotheken ausgetauscht, um darauf aufbauend folgende Empfehlungen an alle Beteiligten des Wissenschaftssystems abzuleiten:
- Es sind Fortbildungsangebote zu entwickeln und anzubieten, die zum einen eine zertifizierte Weiterbildung von Bibliotheksbeschäftigten im Themenfeld Forschungsdatenmanagement ermöglichen. Schulungsangebote sind aber auch für Forschende erforderlich, etwa wenn es die Gestaltung von Datenmanagementplänen, die Anwendung der FAIR-Prinzipien oder von persistenten Identifikatoren geht.
- Das Aufgabenspektrum von Bibliothekar:innen ist um neue Service- und Beratungsangebote zu Forschungsdatenmanagement zu erweitern. Vor dem Hintergrund des effizienten Einsatzes von Ressourcen sollten die Angebote von Service- und Beratungsleistungen unter den Hochschulbibliotheken komplementär und vernetzt gemeinsam erbracht werden.
- Kostenintensive und aufwendig zu betreibende Infrastrukturen, wie etwa für die digitale Langzeitarchivierung von Forschungsdaten, sollten kooperativ, länderübergreifend und vernetzt aufgebaut und betrieben werden.
Rechtliche Aspekte im Forschungsdatenmanagement
In diesem Panel zeigte sich, dass angesichts der Komplexität der rechtlichen Rahmenbedingungen Fachwissenschaftler:innen von der rechtlichen Beurteilung von Fragestellungen im Zusammenhang mit dem Forschungsdatenmanagement so weit wie möglich entlastet werden sollten. Dies kann erreicht werden, indem juristische Unterstützungs- und Beratungsangebote geschaffen werden, etwa allgemeine Schulungs- und Informationsangebote, die allerdings eine rechtliche Prüfung des Einzelfalls nicht entbehrlich machen. Deswegen sollte zum anderen auch die Möglichkeit einer qualifizierten und umfassenden rechtlichen Beratung bei komplexen Sachverhalten bestehen.
Viele Hochschulen, Hochschulbibliotheken und außeruniversitäre Forschungseinrichtungen haben bereits Beratungsangebote zum Forschungsdatenmanagement aufgebaut, wobei es einer klaren Regelung bedarf, inwiefern diese auch eine Rechtsberatung leisten sollen. Damit geht die Frage eines qualitätsgesicherten Schulungs- und Fortbildungsangebots und die Schaffung entsprechender Karrierewege und Berufsbilder für die dort Mitarbeitenden einher. Darüber hinaus sollten an den Hochschulen und außeruniversitären Forschungseinrichtungen ausreichend juristische Ressourcen für eine qualifizierte und umfassende rechtliche Beratung zur Verfügung stehen. Des Weiteren wurde die Bedeutung des Austausches zwischen den Mitarbeiter:innen von Beratungseinrichtungen zum Forschungsdatenmanagement und den Justiziariaten und Datenschutzbeauftragten der Hochschulen und außeruniversitären Forschungseinrichtungen betont.
In Bezug auf spezielle rechtliche Fragen in der jeweiligen Fachdisziplin wurde auf die Verantwortung der entsprechenden Konsortien der NFDI verwiesen. In der Panel-Diskussion zeigte sich im Hinblick auf (Mit-)Entscheidungsbefugnisse über den Umgang mit Forschungsdaten die Sinnhaftigkeit von im Vorfeld getroffenen Absprachen und Vereinbarungen bzw. der Definition allgemeiner Rahmenvorgaben der Forschungseinrichtungen. Da Forschungsdatenmanagement eine Vielzahl noch ungeklärter rechtlicher Fragestellungen aufwirft, sollte bei Projektanträgen im Rahmen von Förderlinien der Forschungsfördernden der Aufwand für die Klärung juristischer Fragen berücksichtigt werden.
Empfehlungen für einen zukunftsgewandten Umgang mit Forschungsdaten
Zusammenfassend lassen sich aus den Panels folgende Kernaussagen ableiten, die gleichsam als Auftrag an alle Beteiligten im Wissenschaftssystem gelten:
- Es braucht nachhaltige Strukturen – allen voran eine nachhaltige, finanzielle Personalausstattung, um Forschungsdatenmanagement langfristig in allen Fachkulturen zu etablieren.
- Maßnahmen für einen Paradigmenwechsel – sowohl im Mindset der (Nachwuchs-)Forschenden als auch bei den Infrastrukturdienstleistenden – müssen ausgebaut und entsprechend gefördert werden.
- Sowohl die Kompetenzen auf Länderebene als auch national verteilte Kompetenzen und Verantwortlichkeiten müssen sichtbar gemacht werden.
Letztendlich ist die Einführung eines Forschungsdatenmanagements Aufgabe und Chance zugleich, die erzielten Ergebnisse nachhaltiger zu nutzen und vor allem auch weitergehende Schlussfolgerungen ziehen zu können. Mit dem Workshop haben die norddeutschen Bundesländer – so Bettina Martin, Ministerin für Bildung, Wissenschaft und Kultur in Mecklenburg-Vorpommern in ihrem Grußwort – ein aktives Zeichen der wissenschaftlichen Kooperation über Grenzen hinweg gesetzt. Darauf wird weiter aufgebaut, denn über die Aktualität und Notwendigkeit, sich mit diesem Thema fortlaufend zu beschäftigen und unter Einbindung der Wissenschaftspolitik vor allem nachhaltige, tragfähige Strukturen zu schaffen, um ein schlagkräftiges Forschungsdatenmanagement für die Forschenden aufzubauen, bestand breiter Konsens unter den Diskutant:innen.
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Autor:innen
Prof. Dr. Udo Kragl ist derzeit Prorektor für Forschung und Wissenstransfer der Universität Rostock. Dort gehören unter anderem Forschungsdaten und Open Science zu seinem Aufgabenbereich. Er ist Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Katalyse (GeCatS) und Fachkollegiat der DFG für Technische Chemie, wo diese Themen derzeit auch intensiv diskutiert werden. Er hat den Lehrstuhl für Technische Chemie und ist Bereichsleiter am Leibniz-Institut für Katalyse, Rostock.
Porträt: ITMZ University of Rostock©
Prof. Dr. Anne Lauber-Rönsberg ist Professorin für Bürgerliches Recht, Recht des geistigen Eigentums, Medien- und Datenschutzrecht an der TU Dresden. Sie hat das vom BMBF geförderte Projekt „DataJus“ zu den rechtlichen Rahmenbedingungen des Forschungsdatenmanagements geleitet und in 2021 mit Kollegen ein Handbuch hierzu veröffentlicht.
Porträt: Anne Lauber-Rönsberg©, Fotograf:in: J. Gilch
Prof. Dr. Klaus Tochtermann ist Direktor der ZBW – Leibniz-Informationszentrum Wirtschaft. Seit vielen Jahren engagiert er sich auf nationaler und internationaler Ebene für Open Science. Er ist Mitglied im Vorstand der EOSC Association (European Open Science Cloud).
Porträt: ZBW©, Fotograf: Sven Wied
Dr. jur. Oda Cordes ist Referentin für Grundsatzfragen in der Forschung und Forschungsförderung im Ministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur des Landes Mecklenburg-Vorpommern.
Porträt, Fotografin: Anne Jüngling©
Dr. Anna Maria Höfler ist als Teil der Forschungsgruppe Open Science als Science Policy Coordinator an der ZBW – Leibniz-Informationszentrum Wirtschaft tätig. Sie befasst sich im Wesentlichen mit den Themen Forschungsdaten und Open Science.
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