Wissenschaftliche Tweets: Warum weniger mehr ist und wann ein Tweet als wissenschaftlich wahrgenommen wird
Twitter ist als Kommunikationskanal aus der wissenschaftlichen Community nicht mehr wegzudenken. Im Grunde war es also nur eine Frage der Zeit, bis jemand untersucht, was einen Tweet selbst wissenschaftlich macht. Dr. Athanasios Mazarakis hat sich genauer damit beschäftigt und verrät uns in seinem Gastartikel, was bei den Forschungen zur Wissenschaftlichkeit von Tweets herausgefunden wurde.
von Athanasios Mazarakis
Twitter ist aus dem akademischen Diskurs nicht mehr wegzudenken. Die Social-Media-Plattform wird häufig in der Wissenschaft eingesetzt, um über Forschungsergebnisse zu informieren oder auch um über diese zu diskutieren. Diese Art der informellen Kommunikation von wissenschaftlichen Ergebnissen ist im Zuge von Open Science immer stärker am Kommen. Allerdings werden während der COVID-19-Pandemie Nutzer:innen mit unterschiedlichsten Informationen überhäuft, sei es zum Beispiel aus der Virologie, Epidemiologie, von Wissenschaftspolitiker:innen oder aus dem Bereich des Wissenschaftsjournalismus. Alle buhlen mit maximal 280 Zeichen um unsere Aufmerksamkeit und viele Wissenschaftsakteur:innen versuchen, ihre Arbeit auch mit Tweets zu verbreiten. Aber kann dies mit so wenigen Zeichen eigentlich funktionieren? Ist es möglich, so etwas wie wissenschaftliche Tweets zu verfassen? Vereinfacht ausgedrückt: Was macht einen Tweet wissenschaftlich?
Dieser Frage sind Dr. Athanasios Mazarakis von der ZBW – Leibniz-Informationszentrum Wirtschaft und Dr. Jasmin Schmitz von der ZB MED – Informationszentrum Lebenswissenschaften nachgegangen. Unterstützt wurden sie durch den Leibniz-Forschungsverbund Open Science. Im Projekt „KlawiT“ (Klassifikation wissenschaftlicher Tweets) wurden zwei Fragestellungen untersucht:
- Wann wird ein Tweet als wissenschaftlich eingestuft?
- Welche Eigenschaften bei Tweets wirken sich auf die wahrgenommene Wissenschaftlichkeit aus?
Um diese beiden Fragen zu beantworten, wurde zwischen März und April 2019 eine Onlinebefragung durchgeführt. Als Datenbasis diente in Zusammenarbeit mit der ZB MED eine heterogene Tweetsammlung mit einschlägig medizinischen Fachbezeichnungen, wie zum Beispiel die Begriffe Radiologie oder Onkologie. Hierzu wurden als Suchworte die Hashtags auf Twitter verwendet und die gefundenen Tweets heruntergeladen.
Den Proband:innen wurden in der Onlinebefragung nacheinander unterschiedliche Tweets angezeigt. Zu jedem Tweet sollten sie dann eine Frage beantworten und zwar, ob der angezeigte Tweet aus ihrer Sicht wissenschaftlich sei (Antwortmöglichkeit: „Ja“ oder „Nein“).
Die Ergebnisse der Proof-of-Concept-Studie beruhen auf einer Analyse von 162 unterschiedlichen Tweets (Datengrundlage) durch 109 Proband:innen. Die Tweets wurden vorab kategorisiert und bezüglich bestimmter Eigenschaften und Metriken beschrieben. Zum Beispiel: Ist ein Link im Tweet vorhanden? Oder ein Video? Wie viele Retweets hat der Tweet bekommen?
Merkmale wissenschaftlich wahrgenommener Tweets
Durch dieses explorative Vorgehen sollten Merkmale gefunden werden, die bewusst oder unbewusst eine Wirkung auf die wahrgenommene Wissenschaftlichkeit von Tweets haben könnten. Die Ergebnisse lassen sich wie folgt zusammenfassen:
- Maximal drei einschlägige und inhaltliche Hashtags verwenden: Eine zu hohe Anzahl an (irrelevanten) Hashtags führt dazu, dass Tweets eher als unwissenschaftlich eingestuft werden.
- Spaßige Tweets oder Tweets mit Stellenangeboten sind nicht hilfreich, damit Tweets als wissenschaftlich wahrgenommen werden. Diese sollten daher nicht verwendet werden, wenn man als wissenschaftlich wahrgenommen werden will.
- Tweets in einem wissenschaftlichen Kontext, zum Beispiel im Zusammenhang mit einer Konferenz, steigern die Akzeptanz. Der Fokus sollte aber auf wissenschaftlichen Publikationen und Vorträgen liegen.
- Links in Tweets werden eher negativ in Bezug auf die Wissenschaftlichkeit wahrgenommen. Auch hier könnte das Problem sein, dass die Fokussierung durch der Nutzer:innen durch den Link weggeleitet wird und damit nicht mehr gegeben ist.
Besonders bemerkenswert war es für uns, dass ein altes Twitter-Mantra, nämlich möglichst viele Hashtags in Tweets zu verwenden, nicht mehr gegeben ist. Im Gegenteil, weniger Hashtags führten in unserem Experiment zu einer höheren wahrgenommenen Wissenschaftlichkeit. Dies war einerseits sehr überraschend, aber andererseits auch sehr interessant.
Tweet-Beispiele: wissenschaftlich wahrgenommen versus nicht-wissenschaftlich wahrgenommen
Dies zeigt sich auch an folgenden Beispielen.
Der erste Tweet wurde von allen Proband:innen als wissenschaftlich kategorisiert. Der Link im Tweet führt zu einem wissenschaftlichen Artikel. Der Text im Tweet gibt ein Resultat der Publikation wieder.
Demgegenüber ist der folgende Tweet von keinen Proband:innen als wissenschaftlich kategorisiert worden:
Der Text beschreibt den Zusammenhang zwischen Hydration und Entzündungen, um dann zur eigentlichen Werbung überzuleiten. Folgt man dem Link, kommt man auf die Internetseite des Unternehmens, das auch im Bild anhand des Logos erkennbar ist, beziehungsweise das diesen Tweet gepostet hat.
Auch das Layout kann also einen Effekt auf die wahrgenommene Wissenschaftlichkeit haben, was auch schon in anderen Studien ohne Twitterkontext gezeigt wurde. Ab jetzt werde ich aber definitiv maximal drei Hashtags verwenden. 😉
Ansatzpunkte für weitere Studien
Für die Zukunft sind weitere Studien geplant. Tweets mit zu vielen Fachtermini wurden in der vorliegenden Studie weitestgehend vermieden. Hier könnte man schauen, ob diese nicht auch eine gewisse Wissenschaftlichkeit suggerieren. Auch kann es sein, dass die twitternde Person der ausschlaggebendste Faktor für die wahrgenommene Wissenschaftlichkeit ist (zum Beispiel ein:e hoch angesehene:r Experte:Expertin). Schließlich sind Planungen vorhanden, ein nicht-medizinisches Setting oder allgemeinere Begriffe wie beispielsweise Diabetes zu verwenden.
Weiterführende Literatur:
- Projektseite
- Abschlussbericht des Projekts „KlawiT“
- Beitrag auf dem 16. internationalem Symposium für Informationswissenschaft: Mazarakis, A., Peters, I., & Schmitz, J. (2021). #wenigerHashtagswirkenwissenschaftlicher – Der Zusammenhang von Tweet-Eigenschaften und wahrgenommener Wissenschaftlichkeit. In Schmidt, T., & Wolff, C. (Hrsg.), Proceedings of the 16th International Symposium of Information Science (ISI 2021) (S. 44-63). Glückstadt: Verlag Werner Hülsbusch.
- Die Studie zum Layout-Effekt: Hahn, O., Lemke, S., Mazarakis, A., & Peters, I. (2020). Welche visuellen Elemente lassen Texte wissenschaftlich erscheinen? Eine empirische Untersuchung. In Proceedings of the Conference on Mensch und Computer (MuC ’20) (S. 61-65). New York, NY, USA: ACM.
- Fake Science im Selbstversuch: Die Tricks der Predatory Journals.
- Wie die Leistungsmessung in unserem aktuellen Wissenschaftssystem funktioniert, was daran nicht mehr zeitgemäß ist, und wie Leistungsmessung im Open-Science-Zeitalter aussehen kann. Athanasios Mazarakis, Gamification- und Motivationsexperte, erklärt im Interview (MP3), mit welchen Anreizen man Open Science fördern könnte.
- Als Roboter in den USA: Eine etwas andere Konferenzteilnahme.
- Altmetrics: So bewerten Forschende die Aussagekraft für den wissenschaftlichen Einfluss.
Dr. Athanasios Mazarakis ist wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Arbeitsgruppe Web Science bei der ZBW – Leibniz-Informationszentrum Wirtschaft. Er beschäftigt sich in seiner Forschung im Bereich Human-Computer Interaction (HCI) einerseits mit Anreizmechanismen wie Gamification und deren Anwendung in unterschiedlichsten Kontexten, wie Open Science oder Augmented Reality. Außerdem forscht er zu Social Media, beispielsweise zu Twitter oder Facebook. Er ist auch auf ResearchGate und Twitter zu finden.
Porträt: ZBW©
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