User Experience in Bibliotheken: Einblicke aus der Bibliothek der Universität Amsterdam

Ein Interview mit Larissa Tijsterman.

Vor kurzem haben wir uns angesehen, wie User Experience (UX) in Bibliotheken funktionieren kann. Dabei haben wir “User Experience für Bibliotheken: Die besten Werkzeuge und Methoden für Einsteiger:innen in einem Blog-Artikel vorgestellt. In einem weiteren Artikel haben wir „4 Best-Practice-Beispiele aus der ZBW” gezeigt. Heute möchten wir einen Blick über den Tellerrand in die Niederlande werfen, um zu sehen, welche Erfahrungen mit UX in der Bibliothek der Universität Amsterdam (UvA) gemacht wurden.

Dabei hatten wir das Glück, dass Larissa Tijsterman uns Einblicke in ihre Erfahrungen mit User Experience gegeben hat. Larissa arbeitet als Mitarbeiterin der Bibliotheksdienste und User-Experience-Forscherin in der Bibliothek der Universität Amsterdam. Sie beschäftigt sich intensiv mit nutzerzentriertem Design und kritischer Bibliothekswissenschaft.

Im Interview erzählt sie uns, warum sie denkt, dass UX so gut für Bibliotheken funktionieren kann, wie sie in der Bibliothek der Universität Amsterdam damit angefangen hat und was ihre größten Misserfolge zu Beginn waren. Für sie besteht das Ziel von User Experience darin, Innovationen innerhalb der Bibliotheksdienste voranzutreiben und sinnvolle Dienste zu schaffen, die sich weiterentwickeln können, wenn sich die Bedürfnisse der Nutzer:innen ändern. Zu den Methoden, die sie verwendet, gehören: Usability-Tests, Guerilla-Interviews, Graffiti-Wände, Liebes- und Trennungsbriefe, teilnehmende Beobachtungen, kognitives Mapping oder Service Blueprint. Im Interview liefert sie uns anschauliche Beispiele, zeigt gute Startpunkte, von denen aus Bibliotheken mit UX beginnen können, und gibt Tipps, wie man Anfänger:innenfehler vermeiden kann.

Larissa, du arbeitest im Bereich User Experience in der Bibliothek der Universität Amsterdam. Wann und warum hast du damit angefangen? Was bedeutet das praktisch?

Ich habe ein paar Monate, nachdem ich vor zwei Jahren meinen ersten Job in der Bibliothek am Service Desk bekommen habe, angefangen, mich aktiv mit UX zu beschäftigen. Die Abteilungen der Universität führten zu der Zeit ein großes Projekt durch, um die abteilungsübergreifende Zusammenarbeit zu verbessern. Eine Unterarbeitsgruppe namens “Voice of the Customer and User Experience” (etwa: Stimmen der Kund:innen- und Nutzer:innenerfahrung, VOCUS) suchte noch Teilnehmer:innen aus der Bibliotheksabteilung, und da ich während meines Studiums bereits Erfahrungen in der Durchführung von Nutzer:innenforschung hatte und damals noch an keinem Projekt mitarbeitete, da ich noch neu war, trat ich der Gruppe bei. VOCUS lief nicht sehr lange, weil wir keine klare Vision formulieren konnten, die Bemühungen in anderen größeren Projekten nicht beeinträchtigen würde. Eine kleine Gruppe glaubte jedoch immer noch daran, dass UX dazu beitragen kann, die Organisation benutzer:innenorientierter zu machen, und mit dem Okay unserer Vorgesetzten durften wir weitermachen und ein User-Experience-Team formieren, das dabei helfen sollte, benutzer:innenorientierte abteilungsübergreifende Projekte zu erleichtern und zu fördern.

Praktisch bedeutet dies, dass ich meine Zeit zwischen dem Bibliotheksdienst und der Arbeit an verschiedenen UX-Bibliotheksprojekten sowie der Beratung von Universitätsprojekten zur praktischen Nutzer:innenforschung aufteile, da dies mein Fachgebiet innerhalb des UX-Teams ist.

Was sind eure Ziele mit UX? Habt ihr sie erreicht?

Mein Ziel mit UX ist es, Innovationen innerhalb der Bibliotheksdienste voranzutreiben. Da wir in den Niederlanden keine formale Fachhochschule für Bibliothekswesen mehr haben und nur ein sehr kleines wissenschaftliches Bibliothekswesen, habe ich das Gefühl, dass wir nicht oft genug darüber sprechen, was eine Bibliothek ist, warum wir hier sind und wer unsere Nutzer:innen sind. Ich glaube, dass User Experience diese Gespräche erleichtern und helfen kann, sinnvolle Dienste zu schaffen, die sich weiterentwickeln können, wenn sich die Bedürfnisse ändern. Derzeit konzentrieren wir uns auf Dienste, die als temporäre Schnelllösung für Probleme entstanden sind, die nie gelöst wurden.

Welche UX-Methoden wendet ihr in der Bibliothek der UvA an?

Die Methoden variieren stark. Wir wenden immer die Methode(n) an, die am besten zu den Fragen passt, die wir beantwortet haben wollen. Wir haben Usability-Tests, Guerilla-Interviews, Graffiti-Wände, Liebes- und Trennungsbriefe, teilnehmende Beobachtungen, kognitives Mapping, Service Blueprint und mehr durchgeführt.

Kannst du uns ein praktisches Beispiel nennen, das funktioniert hat, bei dem ihr UX angewendet habt, um ein Problem zu lösen?

Wir hatten die Möglichkeit, einen zusätzlichen Studienraum in einem alten Universitätsgebäude zu mieten, das für den Abriss vorgesehen war. Wir hatten nur ein sehr begrenztes Budget, um diesen Raum auf einen akzeptablen Standard zu bringen (frischer Anstrich, kaputte Fenster reparieren, Türen wieder einsetzen, den Boden wachsen lassen) und ihn danach mit übrig gebliebenen Möbeln zu füllen.

Der Studienraum kurz nach der Renovierung (Bild von Larissa Tijsterman©)

Auf dem Campus, auf dem sich dieser Raum befand, hatten wir nagelneue Studienräume mit den neuesten stilvollen ergonomischen Möbeln, was ein krasser Unterschied zu diesem Raum war. Ich hatte meine Zweifel, ob der Raum ein Erfolg werden würde. Also haben wir im Laufe von drei Monaten verschiedene UX-Methoden angewandt, um ihn zu verbessern.

Ein Ausschnitt der Graffiti-Wand (Bild von Larissa Tijsterman©)

Wir hatten eine große Korkwand, die wir mit Postern beklebten, auf denen wechselnde Fragen standen: zu einer guten Lernumgebung, wie sie diesen Raum fanden, was ihnen gefiel und was ihnen nicht gefiel. Es wurde ein lebhaftes Gespräch auf dem Papier und die Vorschläge wurden schnell umgesetzt. Wir stellten Automaten für Getränke und Essen auf, da es im Gebäude keine Möglichkeit gab, Essen zu bekommen. Wir reparierten die nahe gelegenen Toiletten, stellten Pflanzen in den Raum, wechselten einige der Möbel aus und veranstalteten einen Wettbewerb für Studierende, um Kunst für die sehr tristen weißen Wände zu schaffen. In diesem kurzen Video ist zu sehen, wie Pruthvi Vellanki (einer der Gewinner des Wettbewerbs) die Wand bemalt.

Durch Befragungen und Beobachtungen erfuhren wir, dass dies der bevorzugte Aufenthaltsort für internationale Studierende geworden war, weil sich das internationale Büro auf derselben Etage auf der anderen Seite des Gebäudes befand. Auch die Wirtschaftsstudierenden bevorzugten diesen Ort, da er viele kleine Projekträume hatte, die sonst auf dem Campus fehlten; sie arbeiteten oft in Studiengruppen und konnten hier gleichzeitig reden und arbeiten. Der Raum war hell und hatte einen schönen Blick auf den Kanal. Die Student:innen kamen hierher, um in Ruhe zu lernen, in Projektgruppen zu arbeiten oder um zwischen den Vorlesungen in Ruhe abzuhängen.

Reaktionen der traurigen Student:innen (Bild von Larissa Tijsterman©)

Als wir ankündigten, dass es diesen Raum nur vorübergehend geben könnte, waren die Studierenden verärgert, da sie die Kunstwerke und die lockere Atmosphäre liebten. Für die nächsten Jahre wird der Raum also bleiben, bis die Universität dieses Gebäude tatsächlich abreißt.

Um UX-Methoden anzuwenden, braucht man Bibliotheksnutzer:innen, die bereit sind, mitzumachen. Wie schafft ihr es, diese zu finden und zu motivieren?

Es ist wichtig, die Tagesabläufe der Nutzer:innen zu kennen. Da wir hauptsächlich mit Studierenden zu tun haben, haben wir gelernt, dass eine Vorausplanung oft dazu führt, dass niemand auftaucht. Student:innen haben einen vollen Terminkalender und Abgabetermine, und die Arbeit geht immer vor. Sie lieben die Bibliothek und finden es sehr interessant, sich zu engagieren, können sich aber nicht zu etwas Großem verpflichten.

Also gestalten wir unsere Forschung in kleinen Aktivitäten und bekommen Teilnehmende, indem wir an der guten Kaffeemaschine herumhängen und sie fragen, ob sie ein paar Minuten Zeit für ein Gespräch haben oder ob sie an einer Aktivität am Nachmittag teilnehmen möchten. Für alles, was 30 Minuten oder länger dauert, werden die Teilnehmenden mit Gutscheinen bezahlt, für alles unter 30 Minuten gibt es kostenloses Essen und/oder Kaffee.

Was sind die – sagen wir mal – drei wichtigsten Lektionen, die du bei der Anwendung von User-Experience-Methoden in der Bibliothek der UvA gelernt hast?

  1. Man kann UX einer Organisation nicht aufzwingen, man muss die Leute überzeugen, indem man anwendet, was man predigt. Manchmal muss man seinen Kolleg:innen sanft sagen, dass die Arbeit, die sie all die Jahre gemacht haben, nicht mehr relevant ist, und das ist einfach schrecklich zu hören. Gehen Sie also freundlich mit ihnen um und erzwingen Sie es nicht.
  2. Denken Sie sorgfältig über Ihre Belohnungen nach; früher haben wir Student:innen mit Bol.com-Gutscheinen (großer Online-Händler) belohnt, aber wir sind zu Gutscheinen unseres örtlichen großen Supermarkts übergegangen. Mit diesen können die Studierenden ihre Grundbedürfnisse abdecken oder sie in ihren bevorzugten Geschenkgutschein umwandeln, da dieser Supermarkt über 50 verschiedene Geschenkgutscheine führt.
  3. Machen Sie kleine Notizen von Dingen, die Ihre Benutzer:innen sagen. Diese können sehr hilfreich sein, um Ihren Standpunkt zu verdeutlichen, warum sich Dinge ändern müssen. Laden Sie auch jede:n ein, die:der möchte, entweder als Teilnehmer:in, um Ihnen bei der Recherche zuzuschauen oder sogar mitzuhelfen. Es macht super viel Spaß und zeigt, dass es nicht schwer oder beängstigend ist, mit Ihren Benutzer:innen zu sprechen. Sie werden sogar überrascht sein, wie einfach es ist und wie bereitwillig die Benutzer:innen ihre Erfahrungen teilen!

Hast du auch mal Methoden verwendet, die überhaupt nicht funktioniert haben? Was waren deine größten oder lustigsten Fehlschläge?

Methoden funktionieren nicht, weil sie entweder nicht geeignet sind, die Frage zu beantworten, oder schlecht vorbereitet sind. Die erste offizielle Untersuchung, die ich durchgeführt habe, war, als ich noch bei der VOCUS-Gruppe war. An zwei Nachmittagen führte ein fünfköpfiges Team 40 aufgezeichnete halboffene Interviews von 30 bis 45 Minuten mit Student:innen an verschiedenen Gebäudeeingängen darüber durch, was sie über die Universität dachten. Unser Ziel war es, einen Einblick zu bekommen, wie sie die Serviceabteilungen sehen. Aber wir hatten unsere Fragen nicht durchdacht und auch nicht, was wir mit den Daten aus den Interviews machen wollten. Wir haben dann Stunden um Stunden damit verbracht, diese Interviews zu transkribieren, nur um festzustellen, dass wir nur Rückmeldung zu dem Studierendenprogramm bekommen hatten, mit dem wir nichts anfangen konnten.

Graffiti-Wände haben ein Verfallsdatum, lässt man sie zu lange hängen, werden sie zu Werbespots für Instagram der Student:innen.

Einen der ersten Workshops, den ich im Alleingang organisierte, hatte ich einen Monat im Voraus geplant. Ich machte Flyer, Plakate und nutzte diverse Kommunikationskanäle, um Leute für die Teilnahme am Workshop zu gewinnen. Ich hatte 30 Plätze zur Verfügung, 15 meldeten sich an, aber am Ende kamen nur 2 tatsächlich. Es stellte sich heraus, dass ich meine Nutzer:innen nicht genug verstanden hatte und den Workshop in einer Semesterwoche organisierte, in der auch eine geplante Baumaßnahme an öffentlichen Verkehrslinien stattfand, in einem Raum, den niemand finden konnte. Ich hätte heulen können, aber am Ende hatten wir viel Spaß und ich bekam interessante Einblicke, da die beiden Studierenden vollkommen gegensätzlich waren.

Was sind deine Tipps für Bibliotheken, die mit UX beginnen möchten? Was ist ein guter Startpunkt?

Tun Sie es einfach! Aber fangen Sie klein an, nehmen Sie sich einen kleinen Aspekt einer Dienstleistung oder einen kleinen Bereich vor, um zu evaluieren und zu erforschen, was funktioniert und was nicht, wer was wann und warum nutzt. Seien Sie nicht zu hart zu sich selbst. Sie sind dazu bestimmt, Fehler zu machen, denn nur so können Sie neue Erkenntnisse gewinnen. Geben Sie dem Ganzen Zeit, Sie werden vielleicht nicht immer mit einem Ergebnis enden, aber Sie setzen Wellen der Veränderung in Gang, die später spürbar sein werden.

Wir sprachen mit Larissa Tijsterman.

Dieser Text ist eine Übersetzung aus dem Englischen.

Das könnte Sie auch interessieren:

Wir sprachen mit Larissa Tijsterman

Larissa Tijsterman arbeitet als Mitarbeiterin der Bibliotheksdienste und User-Experience-Forscherin in der Bibliothek der Universität Amsterdam. Ihre Leidenschaft gilt den kritischen Bibliothekswissenschaften und dem nutzer:innenzentrierten Design. In ihrer Freizeit spielt sie gerne Videospiele, geht auf Fernwanderungen oder chattet online über Technologie und Kultur. Sie ist auch auf Twitter zu finden.
Porträt: Larissa Tijstermann©

Featured Image: Wikimedia von Romaine lizensiert unter (CC0 1.0). Alle weiteren Bilder: Larissa Tijsterman©

Diesen Blogpost teilen:

Fehlende deutsche Übersetzung

Bibliothek als Ort nach Corona: Hybrid und partizipativ? Bibliotheken auf Twitch: Ideen für den Start auf der Streaming-Plattform Trend-Monitoring, Teil 3: Aus Trends Innovationen machen

View Comments

Wikidata und Open Science: ein Modell für offene Datenarbeit
Nächster Blogpost