Wissenschaftsbarometer 2020: Handlungsfelder für Open Science?

von Claudia Sittner

Das Wissenschaftsbarometer – nicht zu verwechseln mit dem Barometer für die Wissenschaft – ist eine repräsentative Meinungsumfrage und betrachtet seit 2014 jährlich die Einstellung der Bürger:innen in Deutschland gegenüber Wissenschaft und Forschung. Aufgrund der Corona-Krise gab es im April und Mai 2020 zusätzliche Befragungen („Corona Spezial“). Letzten Monat wurden nun die Ergebnisse der letzten Befragung vom November 2020 vorgestellt.

Broschure Wissenschaftsbarometer (PDF). Die Verwendung der Grafiken der Ergebnisse ist unter Nennung der Quelle “Wissenschaft im Dialog/Kantar Emnid” möglich. Die Grafiken laufen unter der Lizenz [CC BY-ND 4.0], Anpassungen des Formats für redaktionelle Veröffentlichungen sind erlaubt.

In Auftrag gegeben wird das Wissenschaftsbarometer von Wissenschaft im Dialog (WiD). Die gemeinnützige Initiative setzt sich dafür ein, den Dialog über Wissenschaft und Forschung in Deutschland zu fördern und dabei möglichst viele Menschen an der Diskussion zu beteiligen. Außerdem treibt WiD die Weiterentwicklung von Wissenschaftskommunikation und damit auch von Open Science voran. Gefördert wird die Befragung von der Robert Bosch Stiftung und der Fraunhofer-Gesellschaft.

Befragt wurden in den Telefoninterviews rund 1.000 Bürger:innen ab 14 Jahren in Privathaushalten. Als Grundgesamtheit diente die deutschsprachige Wohnbevölkerung. Wir haben uns die Ergebnisse des Wissenschaftsbarometers 2020 im Hinblick auf ihre Bedeutung für Open Science in Wissenschaft und Forschung angesehen und stellen interessante Erkenntnisse vor.

Interesse stabil, klassische Medien wichtigste Informationsquelle

Das Interesse an Wissenschaft und Forschung ist bei der Bevölkerung mit 60% stabil und wird nur vom Interesse an lokalen Neuigkeiten (68%) übertroffen. Das korrespondiert mit der Meinung von 59% der Befragten, die der Aussagen eher oder voll zustimmen, dass sie persönlich von Wissenschaft und Forschung profitieren.

Wissenschaftsbarometer 2020. Die Verwendung der Grafiken der Ergebnisse ist unter Nennung der Quelle “Wissenschaft im Dialog/Kantar Emnid” möglich. Die Grafiken laufen unter der Lizenz [CC BY-ND 4.0], Anpassungen des Formats für redaktionelle Veröffentlichungen sind erlaubt.

Informiert wird sich vor allem (80% – gelegentlich bis sehr häufig) über die klassischen Medien. Seltener über Webauftritte von wissenschaftlichen Einrichtungen (43%), und nur in 29% der Fälle informieren sich Befragte über Forschungsthemen in den sozialen Medien. Vor dem Hintergrund der Corona-Pandemie wurden dabei Online-Angebote der klassischen Nachrichtenmedien relevanter.

Für Wissenschaft und Forschung bedeutet das, dass es sich lohnen kann, mehr in Presse- und Öffentlichkeitsarbeit zu investieren, damit relevante wissenschaftliche Erkenntnisse von den klassischen Medien aufgegriffen werden und bei der Bevölkerung ankommen können. Gerade für Institute, die sich für Open Science engagieren, scheint das ein guter Ansatzpunkt zu sein, damit ihre Inhalte und ihr Engagement stärker wahrgenommen werden. Dazu passend sind auch ein Drittel der Befragten der Ansicht, Wissenschaftler:innen sollten mehr/stärker über ihre Arbeit informieren.

Vertrauen höher als in den Vorjahren, Tendenz im Corona-Jahr 2020 sinkend

Das Vertrauen in Wissenschaft und Forschung ist auch im November 2020 mit fast zwei Drittel (60% vertrauen eher sowie voll und ganz) recht hoch. In den Vorjahren lag dieser Wert jeweils um die 50%. Interessant ist hier, dass das Vertrauen in Wissenschaft und Forschung zu Beginn der Corona-Pandemie (Befragung April 2020) zunächst stark – auf 77% – gestiegen ist: Im Vergleich zur Befragung von 2019 vertrauten viermal so viele Befragte „voll und ganz“. Bis zur Novemberbefragung halbierte sich dieser Wert allerdings fast wieder.

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Das zeigt einen hohen Vertrauensvorschuss in Wissenschaft und Forschung zu Beginn der Pandemie und könnte auf eine Enttäuschung Vieler im zweiten Corona-Lockdown schließen lassen.

Wissenschaftsbarometer 2020. Die Verwendung der Grafiken der Ergebnisse ist unter Nennung der Quelle “Wissenschaft im Dialog/Kantar Emnid” möglich. Die Grafiken laufen unter der Lizenz [CC BY-ND 4.0], Anpassungen des Formats für redaktionelle Veröffentlichungen sind erlaubt.

Als Gründe für die Glaubwürdigkeit wurden Expertise, Integrität sowie Handeln im Interesse der Allgemeinheit erhoben. Im Vergleich zum Vorjahr ist die Tendenz bei allen Gründen steigend. Die Gründe für Misstrauen liegen hingegen hier:

  • Abhängigkeit von Geldgebenden (49% – stimmen eher sowie voll und ganz zu),
  • Wissenschaftler:innen passen die Ergebnisse ihren Erwartungen an (25% – s.o.),
  • machen häufig Fehler (16% – s.o.).

Im Vergleich zum Vorjahr geht die Zustimmung für diese Gründe aber zum Teil stark zurück. Damit korrespondiert der niedrigste Wert seit Beginn der Befragungsreihe in Bezug auf die Frage, ob die Menschen statt der Wissenschaft lieber ihren Gefühlen und ihrem Glauben trauen sollen (23% – stimmen eher sowie voll und ganz zu).

Für Förderer:innen von Open Science könnte noch eine Rolle spielen, dass Vertrauen und Bildungsniveau hierbei korrelieren: Je höher das formale Bildungsniveau, desto größer das Vertrauen. Wenn man davon ausgeht, dass Wissenschaftskommunikation in den meisten Fällen vor allem Personen mit einer höheren formalen Bildung erreicht, könnte das als positives Zeichen gewertet werden. Denn bei diesen Personen ist das Vertrauen in Wissenschaft und Forschung groß. Auf der anderen Seite heißt es allerdings auch, dass sich die Wissenschaftskommunikation noch mehr um Personen ohne höhere formale Bildung bemühen sollte, um das Vertrauen auch dieser Gruppe zu gewinnen.

Corona Spezial: Wissenschaft elementar wichtig, Kontroversen willkommen

Wenn es um Corona geht, vertraut die Bevölkerung den Aussagen von Ärzt:innen und medizinischem Personal am stärksten (80% – vertrauen eher sowie voll und ganz), dicht gefolgt vom Vertrauen in die Aussagen von Wissenschaftler:innen (73% – vertrauen eher sowie voll und ganz). Allerdings vermuten auch einige (39% – stimmen eher sowie voll und ganz zu), dass Wissenschaftler:innen nicht alles sagen, was sie über das Coronavirus wissen. Die gleiche Zahl an Befragten ist auch der Ansicht, dass es wichtig ist, Informationen über das Virus von außerhalb der Wissenschaft zu beziehen.

„Dass weiterhin so viele Menschen der Wissenschaft vertrauen, zeigt, wie gut der Dialog zwischen Wissenschaft und Gesellschaft in der Pandemie funktioniert. Allerdings sollte uns eine relativ hohe Anzahl an Unentschiedenen und Zweifelnden beunruhigen: Die Wissenschaft muss sich noch stärker öffnen und auch mit denjenigen ins Gespräch kommen, die unsicher sind. Damit das gelingen kann, müssen wir alle Forschenden dabei unterstützen, ihr Wissen, ihre Werte und ihre Arbeitsweise zu vermitteln“.

— WiD-Geschäftsführer Markus Weißkopf

Insgesamt wünscht sich die Öffentlichkeit, dass politische Entscheidungen im Corona-Kontext auf wissenschaftlichen Erkenntnissen beruhen. Eine direkte Einmischung der Wissenschaftler:innen in die Politik ist allerdings nicht gewünscht. Das sind alles in allem gute Neuigkeiten für Open-Science-Enthusiasten, bedeutet es doch, dass ihnen auch in Fragen zu Corona Glauben geschenkt wird und es sich also lohnt, weiterhin so offen wie möglich zu forschen und die eigene Arbeit zu kommunizieren. Es zeigt auch, dass Open Science gerade durch seine Transparenz in der Öffentlichkeit punkten kann: Ergebnisse lassen sich offen nachvollziehen, und es gibt keine obligatorischen Mittelspersonen wie beispielsweise Journalist:innen, die Informationen filtern und bewerten.

Wissenschaftsbarometer 2020. Die Verwendung der Grafiken der Ergebnisse ist unter Nennung der Quelle “Wissenschaft im Dialog/Kantar Emnid” möglich. Die Grafiken laufen unter der Lizenz [CC BY-ND 4.0], Anpassungen des Formats für redaktionelle Veröffentlichungen sind erlaubt.

Zunehmend weniger Glauben wird hingegen den Aussagen von Politiker:innen und Journalist:innen geschenkt. Man könnte schließen, dass Forschende bei Corona-Themen gut beraten sind, Themen selbst an die Öffentlichkeit zu kommunizieren oder eine sehr enge Zusammenarbeit mit den klassischen Medien anzustreben. Als gute Option dafür hat sich in der Corona-Krise das Format der (wissenschaftlichen) Podcasts etabliert, die im vergangenen Jahr stark an Zuhörer:innen und Popularität gewonnen haben.

Es besteht ein recht hohes Vertrauen dahingehend, dass Forschende deutlich kommunizieren, ob es sich bei ihren Aussagen um gesicherte Erkenntnisse oder offene Fragen zum Thema Corona handelt (46% – stimmen eher sowie voll und ganz zu; 40% unentschieden). Kontroversen zwischen Wissenschaftler:innen werden von mehr als zwei Dritteln der Befragten positiv und erkenntnisfördernd bewertet. Für die Open-Science-Community ist das eine Bestätigung, setzt sie sich doch dafür ein, Diskurse zu öffnen und Räume zu schaffen, damit diese transparent, öffentlich und nachvollziehbar stattfinden können.

Das ist umso wichtiger, als es auch Menschen gibt, „die sich in der Corona-Pandemie lieber auf “den gesunden Menschenverstand” verlassen als auf wissenschaftliche Studien. Umso wichtiger ist es, wissenschaftliche Fakten und Handlungsempfehlungen über vielfältige Formate zu vermitteln, um auch diejenigen zu erreichen, die unsicher sind und zweifeln“, bestätigt Tina Stengele, kommissarische Leiterin des Bereichs Wissenschaft der Robert Bosch Stiftung, die das Wissenschaftsbarometer unterstützt.

Fazit Wissenschaftsbarometer 2020: Wissenschaftskommunikation stärken

Die Corona-Krise hat die schnelle Einsetzbarkeit und Überprüfbarkeit wissenschaftlicher Ergebnisse erforderlicher gemacht als jemals zuvor. Damit ist die Wissenschaft auch stärker in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt, deren Vertrauen in Forschende und deren Integrität auch laut der letzten Befragung des Wissenschaftsbarometers stark war.

„Eine entscheidende Säule bei der Stärkung und dem Ausbau von Vertrauen ist die Zugänglichkeit zu und die Nachvollziehbarkeit von Forschungsergebnissen. (…) Dies bestärkt uns darin, dass es ein Erfolgsmodell ist, unumwunden Ergebnisse und Entwicklungen zu erklären, sie einzuordnen und ihren Nutzen darzustellen – für Experten und Laien gleichermaßen“.

— Janis Eitner, Direktor Kommunikation der Fraunhofer-Gesellschaft

Aus Sicht von Open Science ist jetzt sicher immer noch ein guter Zeitpunkt, darauf zu drängen, das Wissenschaftssystem in all seinen Teilprozessen noch offener zu machen und verstärkt auf eine professionelle Wissenschaftskommunikation, auf eigene Kanäle wie Podcasts oder auf eine stabile Zusammenarbeit mit den klassischen Medien zu setzen. Die Verhandlungsposition für mehr Open Science ist gerade günstig und die Erfahrungen aus der Pandemie haben für jede:n unmissverständlich verdeutlicht, wie wichtig ein offeneres Ökosystem des freien Wissens in Zeiten globaler Krisen ist und sein wird.

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Über die Autorin:

Claudia Sittner studierte Journalistik und Sprachen in Hamburg und London. Sie war lange Zeit Referentin beim von der ZBW herausgegebenen Wirtschaftsdienst – Zeitschrift für Wirtschaftspolitik und ist heute Redakteurin des Blogs ZBW MediaTalk. Außerdem ist sie freiberufliche Reise-Bloggerin. Sie ist auch auf LinkedIn, Twitter und Xing zu finden.
Porträt: Claudia Sittner©

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Claudia Sittner studierte Journalistik und Sprachen in Hamburg und London. Sie war lange Zeit Referentin beim von der ZBW herausgegebenen Wirtschaftsdienst – Zeitschrift für Wirtschaftspolitik und ist heute Redakteurin des Blogs ZBW MediaTalk. Außerdem ist sie freiberufliche Reise-Bloggerin. (Porträt: Claudia Sittner©)

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