User Experience in Bibliotheken: 4 Best-Practice-Beispiele aus der ZBW

von Nicole Clasen

Das Befragen von Nutzenden mit und durch User-Experience-Methoden (UX-Methoden) zählt mittlerweile zum festen Repertoire zur Evaluierung und Weiterentwicklung der Benutzungsdienste der ZBW – Leibniz-Informationszentrum Wirtschaft. Inspiriert durch die Teilnahme einer Kollegin an einem UX-Workshop, hat die ZBW 2016 damit begonnen, selbst UX-Methoden in ihrer Bibliothek anzuwenden. Seitdem heißt es einmal jährlich: Wir wollen wissen.

Die UX-Projekte finden an beiden ZBW-Standorten (Kiel und Hamburg) statt und haben eine feste Zielsetzung. Erst im Anschluss wählen die Kolleginnen und Kollegen die geeignete Methode für die Umsetzung vom UX-Projekt aus. Nicole Clasen leitet diese UX-Projekte und stellt heute vier der spannendsten Befragungen zu den ZBW-Benutzungsdiensten vor. Hintergrundinformationen über die UX-Methoden im Bibliothekskontext finden Sie im Artikel „User Experience für Bibliotheken: die besten Werkzeuge und Methoden für Einsteiger“.

UX in der ZBW: Wie wir Nutzerinnen und Nutzer dafür finden

Im Vorfeld legen wir Zeitfenster fest, an denen die Benutzung normalerweise gut besucht ist. Als kleines Dankeschön werden Fruchtgummis und kleine Werbegeschenke organisiert. Und dann heißt es regelmäßig: Überredungskünste an und los geht’s. Die besten Erfolgsaussichten haben wir, wenn die Nutzerinnen und Nutzer in der Bibliothek unterwegs sind. Also zum Beispiel gerade kommen oder sich einen Kaffee holen. Dann sind sie positiv überrascht, dass ihre Meinung gefragt ist und beteiligen sich gern. Wenn sie vertieft an ihrem Arbeitsplatz sitzen, ist die Motivation zur Teilnahme verständlicherweise geringer. Hilfreich ist es auch, wenn im Vorfeld per Newsletter über die geplante Aktion berichtet wird.

UX-Best-Practice-Beispiel 1:
EconBiz-Relaunch

2016 sollte das EconBiz-Design überarbeitet und zugleich die OPAC-Funktionalitäten, wie beispielsweise die Bestellkomponente für die lokalen Nutzerinnen und Nutzer, in EconBiz integriert werden. EconBiz ist das hauseigene Discovery-System der ZBW. Das Portal bietet überregionale Literatursuche, freie Volltexte sowie einen Veranstaltungskalender.

Für die Einstiegsseite und die Trefferanzeige waren mehrere Varianten möglich und mit ähnlichem Aufwand technisch umsetzbar – mit jeweils unterschiedlichen Vor- und Nachteilen. Nach einem intensiven Austausch und Pro-und-Contra-Listen entschloss sich das EconBiz-Projektteam dazu, die Personen ohne bibliothekarische oder IT-bedingte Scheuklappen bzw. Erfahrungen zu fragen – unsere Nutzerinnen und Nutzer.

Wir entwickelten Testaufgaben für die Recherche und für verschiedene Bestellfunktionalitäten. Die Design-Vorschläge wurden als Prototyp erstellt und den Befragten als Fotos zur Verfügung gestellt. Die Benutzungsdienste führten mehrere Stichproben an beiden Standorten durch und baten die Nutzerinnen und Nutzer um eine Teilnahme. Fragen waren zum Beispiel:

  • Wie suchen Sie nach xy?
  • Was können Sie sich unter diesen Icons vorstellen?
  • Welche (Treffer-)Anzeige gefällt Ihnen am besten?

In der praktischen Umsetzung des Relaunchs wurden die bevorzugten Alternativen ausgewählt.

UX-Best-Practice-Beispiel 2:
Was haben unsere Nutzerinnen und Nutzer zum Lernen dabei?

Diese Frage stellten wir uns 2017. Was bringen die Nutzerinnen und Nutzer mit in die ZBW, was wird an lokalen Möglichkeiten regelmäßig genutzt? Kurzum also: Was benötigen und wünschen sie sich zum Lernen?

Wir näherten uns der Thematik mit Hilfe der „What’s in your bag“-Methode. Bei dieser Methode bittet man die Nutzerinnen und Nutzer darum, einen Blick in ihre Taschen und Rucksäcke werfen zu dürfen. Die Gegenstände werden dann gruppiert und fotografiert. Die Grundannahme ist, dass es serviceorientiert wäre, die Dinge vorzuhalten, die viele Personen mitbringen, oder die Ursache dafür zu ändern, dass sie sie mitbringen. Also zum Beispiel mehr Steckdosen oder einen schmackhaften Kaffee zur Verfügung zu stellen, wenn viele Verlängerungskabel oder Thermoskannen den Weg in die Bibliothek finden.

In unserem Fall ging es nicht um den Inhalt der Tasche, sondern um den Arbeitsplatz in der ZBW. Das Projektteam ging durch die Lesesäle und Gruppenarbeitsräume und bat darum, Fotos vom Arbeitsplatz machen zu dürfen. Das Gespräch entstand so ganz automatisch und die Erklärungen, warum dieses oder jenes täglich mitgebracht wird und warum es total toll wäre, wenn die ZBW Notfall-Taschenrechner anbieten würde, kamen in einem angenehmen Austausch daher.

Die Anforderungen und Bedürfnisse an den eigenen Arbeitsplatz sind natürlich unterschiedlich; von minimalistisch bis zur Vollverpflegung war alles dabei.

Dennoch ließen sich gemeinsame Wünsche und Bedürfnisse erkennen und clustern. Das erlaubte Essen und Trinken war bei allen Teilnehmerinnen und Teilnehmern beliebt. Die Stromversorgung und WLAN-Abdeckung konnten noch verbessert werden. Kleinere Wünsche, wie der Notfall-Taschenrechner zum Ausleihen, wenn der eigene mitten in der Berechnung der volkswirtschaftlichen Formeln den Geist aufgibt, oder Vorlagenhalter, konnten einfach und unkompliziert umgesetzt werden.

Ein weiteres Ergebnis war, dass bereits vorhandene Services stärker beworben werden müssen, wie die Sicherungskabel, mit denen Notebooks angeschlossen werden können.

UX-Best-Practice-Beispiel 3:
Der ideale Lernort

In der darauffolgenden Befragungsrunde wollten wir die Ergebnisse der „What’s in your bag“-Studie weiter vertiefen. Kernfrage war daher: Wie sieht der ideale Lernort unserer Nutzerinnen und Nutzer aus? Explizite Herangehensweise war dabei, die Lernortvorlieben ohne eine Einschränkung auf Bibliotheken zu untersuchen. Wenn Nutzerinnen und Nutzer die Wahl haben und viel lieber im Café um die Ecke oder zu Hause lernen, dann würde schließlich etwas elementar Wichtiges in der Bibliothek fehlen.

Schwerpunkte waren bei dieser Befragung (unbewusste) Bedürfnisse und Wünsche, die nicht automatisch mit Bibliotheken verbunden werden. Kreative Ideen und Verbesserungsvorschläge waren gefragt. Daher fiel die Wahl der Methode auf das „Cognitive Mapping“. Zeichnen statt schreiben, war die Devise.

Beim Cognitive Mapping geht es darum, eine grobe Skizze zu einem bestimmten Thema anzufertigen. In der Summe stehen sechs Minuten zur Verfügung. Diese gliedern sich in drei Zeitslots mit je einer Farbe à zwei Minuten. Die Farbwahl ist unerheblich.

Die Befragten blieben bei der Zeichnung ihres Lieblingslernortes dann stark an der Bibliothek verhaftet. Ob dies grundsätzlich so wäre oder daran lag, dass wir uns bei der Befragung in einer Bibliothek befunden haben, können wir nicht beurteilen.

Elementare Bestandteile waren für alle ein Einzelarbeitsplatz und Tageslicht. Buch, Stifte, Papier und Notebook folgten mit ähnlichen Prozentanteilen bei 38% bis 44% der Befragten. Für rund 1/3 aller Teilnehmenden gehört der Kaffee zum idealen Lernen unbedingt dazu. Das wird mancherorts leider nicht unbedingt für die Bibliothek und ihre Kaffeeautomaten sprechen.

Für die Wohlfühlatmosphäre waren in den Cognitive Maps Pflanzen, frische Luft, Ruhe, Musik sowie ein angenehmer Ausblick wichtig. Der gute Ausblick wurde sehr häufig in Form von Wasserblick dargestellt – beide Standorte der ZBW liegen direkt am Wasser. Spannend wäre hier ein Vergleich mit einer Befragung in Mittel- oder Süddeutschland. Welche Bibliothek möchte es probieren?

UX-Best-Practice-Beispiel 4:
Spaziergang durch die Bibliothek

2019 wollten wir es noch genauer wissen und baten unsere Nutzerinnen und Nutzer darum, sie an ihrem Tag in der ZBW begleiten zu dürfen (Touchstone Tour), und wollten dabei diesen Fragen nachgehen:

  • Was sind ihre Lieblingsorte?
  • Welche Laufwege nehmen sie?
  • Was verstehen sie nicht oder stört sie?
  • Und wie nennen sie überhaupt unsere typisch bibliothekarischen Dienstleistungen und Geräte?

Informiert wurden die Nutzerinnen und Nutzer im Vorfeld über den Newsletter, selbstverständlich verbunden mit dem Hinweis darauf, welche Services in den letzten Jahren verbessert oder eingeführt werden konnten, dank ihrer Teilnahme an den UX-Befragungen. Und dann hieß es wieder, Stichprobentage auswählen und: Ran an die Nutzenden, fertig, los.

Am stärksten genutzt werden die Einzel- und Gruppenarbeitsplätze, dicht gefolgt von der Cafeteria am Kieler Standort. Die ZBW ist eine Magazinbibliothek, aber der Weg der Nutzerinnen und Nutzer führt auch an Abholregalen vorbei. Gleichzeitig scheinen die Ausleihmodalitäten ein kleines Geheimnis der Benutzungsdienste zu sein und bei den Nutzenden Fragen aufzuwerfen. Das gilt es noch zu verbessern.

Ein wichtiges Ergebnis war, dass nahezu jede Person ihren ganz persönlichen Laufweg durch die Bibliothek genommen hat. Dieser wird kaum verändert oder variiert. Neue Angebote stellt man am besten also mitten in den Weg. Dort werden sie registriert. Zugleich werden Informationen auf eine bevorzugte Art wahrgenommen und die anderen Informationswege ausgeblendet. Nutzerin A liest den E-Screen, Nutzer B die Aushänge und Nutzerin C verlässt sich auf den Newsletter. Hier gilt also weiterhin, dass die wichtigen Informationen über alle Kanäle gestreut werden müssen.

Geräte werden auch gerne zweckentfremdet. Der Akkumat wird nicht zu seinem eigentlichen Zweck, dem Aufladen von Smartphone und Tablet, verwendet, sondern sehr gerne als Offline-Button genutzt, nach dem Motto „Das Smartphone ist weg und ich kann in Ruhe lernen“.

Die Touchstone Touren waren besonders hilfreich, um nicht genutzte Services zu identifizieren. Dass unsere Garderobenschließfächer nicht mehr intensiv benötigt werden, war uns schon vorher bewusst, aber nun wissen wir ganz genau, dass zumindest unsere Stichprobennutzerinnen und -nutzer auf Garderobenschließfächer überhaupt keinen Wert legen.

Fazit zu fünf Jahren User Experience in der ZBW

UX macht so viel Spaß! Und zwar nicht nur uns, sondern auch unseren Nutzerinnen und Nutzern. Der UX-Methoden-Baukasten bietet zahlreiche Möglichkeiten, mehr Wünsche und Bedürfnisse unserer Nutzerinnen und Nutzer zu erkennen. Dies sind oft nicht die großen oder grundlegenden Veränderungen, sondern meist kleinere Dinge, die das Studieren und Arbeiten in der ZBW noch schöner machen und uns einen Stups in die richtige Richtung geben. Die letzten fünf Jahre haben uns gezeigt, dass nicht nur die Befragungen gut in Eigenregie und kostengünstig umgesetzt werden können, sondern meist auch die Ergebnisse.

Nicht zu unterschätzen ist jedoch der Vor- und Nachbereitungsaufwand. Jede Befragung muss ausgewertet, die Wünsche gerankt und eine Umsetzungsstrategie erarbeitet werden. Die Nutzerinnen und Nutzer erwarten nicht, dass alle Vorschläge umgesetzt werden und schon gar nicht sofort. Aber selbstverständlich möchten sie Informationen darüber, was passieren wird und was nicht. Für diesen Prozess sollte man also ebenfalls Zeit einplanen. Und dann freuen sich alle gemeinsam auf die nächste Runde von: Wir wollen wissen.

Sind Sie neugierig geworden und möchten UX auch einmal ausprobieren? Nur zu. Trauen Sie sich! Haben Sie schon Erfahrungen mit UX gemacht? Teilen Sie sie mit uns auf Facebook oder Twitter!

Das könnte Sie auch interessieren:

Diesen Blogpost teilen:

Fehlende deutsche Übersetzung

Diskriminierung durch KI: Inwiefern Bibliotheken betroffen sind und wie Mitarbeitende das richtige Mindset finden Menschenzentrierte KI: Erste Schritte für die Anreicherung von Bibliotheksarbeit Virtual Reality vor dem Durchbruch: Welche Anwendungspotentiale gibt es?

View Comments

Digitale Badges: Informationskompetenz clever nachweisen
Nächster Blogpost