Bibliotheksmanagementsystem FOLIO: Open Source auf dem Weg in den Bibliotheksalltag

von Felix Hemme

2020 hat FOLIO einen Stand erreicht, mit dem für eine wachsende Anzahl an Bibliotheken der Systemwechsel möglich ist. In Deutschland haben die UB Leipzig und die ZBW die FOLIO-ERM-Anwendungen parallel zu ihren bisher im Einsatz befindlichen Bibliothekssystemen eingeführt. In den USA wird FOLIO bereits produktiv von der Simmons University, Duke University, Lehigh University, den Five Colleges und der Cornell University genutzt.

Die ZBW – Leibniz-Informationszentrum Wirtschaft nutzt seit Juni 2020 die FOLIO-Anwendungen zur Verwaltung elektronischer Ressourcen im Produktivbetrieb. Der Einführung vorausgegangen ist eine mehrjährige Beteiligung an der Entwicklung von FOLIO im Rahmen der Arbeitsgruppe Electronic Resource Management, die fachliche Anforderungen definiert hat.

The Future of Libraries is Open

FOLIO steht für „The Future of Libraries is Open“. Dahinter steht eine Gemeinschaft, die sich zusammengeschlossen hat, um eine neu konzipierte Plattform für Bibliotheksdienste zu entwickeln, die traditionelle Anforderungen und Funktionen des Ressourcenmanagements unterstützt und gleichzeitig auf Innovation ausgerichtet ist. Das Bibliotheksmanagementsystem FOLIO wird auf dieser Plattform aufgebaut. Da es erweiterbar ist, lassen sich weitere Funktionen implementieren, die neue Dienstleistungen für Bibliotheken ermöglichen.

In einer Entwicklungsgemeinschaft arbeiten Bibliotheken aus der Open Library Environment (OLE) Community, die Unternehmen “EBSCO Information Services” und “Index Data” sowie weitere kommerzielle und nicht-kommerzielle Partner daran, eine Open-Source-Alternative zu den proprietären Bibliotheksmanagement-Cloudsystemen auf den Markt zu bringen.

FOLIO ist Open Source

Eine Software gilt als Open Source, wenn sie bestimmte Kriterien erfüllt. Die Software muss im Quellcode offen zugänglich sein, das heißt, sie muss in einer menschlich lesbaren Programmiersprache vorliegen. Der Quellcode von FOLIO ist auf GitHub veröffentlicht und einsehbar. Die Software muss außerdem ohne Einschränkungen genutzt, ergänzt, verändert und ohne sowie mit Anpassungen ohne Lizenzkosten weiterverbreitet werden dürfen. Weitere Kriterien gibt die Open-Source-Initiative auf ihrer Website an.

Doch nicht nur die Technik von FOLIO ist offen gestaltet, auch die Mitarbeit an der Entwicklung des Systems steht Interessierten offen. Die an der FOLIO-Entwicklung beteiligten Teams sind sowohl kulturell als auch intellektuell vielfältig. Dies ist eine Stärke des Projekts und kann als großer Vorteil betrachtet werden, da so vielfältige Perspektiven und Denkweisen einfließen. Bibliothekarinnen und Bibliothekare, Backend- und Frontend-Entwicklerinnen und -Entwickler, Datenbank-Ingenieurinnen und -Ingenieure, UX-/UI-Designerinnen und Designer, Projektmanagerinnen und -manager sowie Spezialistinnen und Spezialisten für die Qualitätssicherung arbeiten zusammen in Arbeitsgruppen, den Special Interest Groups (SIGs) und bringen ihre Expertise ein.

Arbeitsstrukturen bei FOLIO

Die Zusammenarbeit innerhalb der FOLIO-Community findet auf unterschiedlichen Ebenen statt. Strategische Entscheidungen werden von den Stakeholdern EBSCO, Index Data und der OLE-Community getroffen. Der Product Council (PC) und das Product Council Executive Committee treffen funktionale Entscheidungen. Der Technical Council (TC) als Untergruppe des PC verantwortet Entscheidungen über die technische Infrastruktur der Plattform.

Die Facharbeit findet in den SIGs statt. Sie sind mit Expertinnen und Experten aus der bibliothekarischen Praxis besetzt und definieren Anforderungen und Anwendungsfälle. Sie werden durch einen Convener und Product Owner (PO) betreut und treffen sich in der Regel zu wöchentlichen Webkonferenzen. Ergebnisse aus der SIG-Arbeit werden von den POs mit den Entwicklerinnen und Entwicklern und den UX-/UI-Designerinnen und -Designern besprochen und nach Finalisierung an den Product Council gemeldet.

Die ZBW als Teil von FOLIO

Die ZBW ist als Verbundbibliothek im Gemeinsamen Bibliotheksverbund (GBV) seit 2017 Teil dieser weltweiten Gemeinschaft und arbeitet an zwei thematischen Gruppen mit:

  1. Die Metadata Management SIG befasst sich mit dem Metadatenmanagement in FOLIO, um wesentliche bibliographische Verwaltungsfunktionen zu definieren. Dabei konzentriert sie sich auf die Austauschbarkeit von Daten als Schlüsselkomponente für eine stärkere Zusammenarbeit zwischen Bibliotheken und arbeitet eng mit den SIGs „Resource Management“ (Erwerbung) und „Resource Access“ (Ausleihe) zusammen.
  2. Die Fachgruppe zum elektronischen Ressourcenmanagement (ERM) erstellt Anforderungen für die Verwaltung elektronischer Ressourcen im System. Der Anteil elektronischer Ressourcen am Bestand von Bibliotheken ist in den letzten zehn Jahren stark angestiegen, und wissenschaftliche Bibliotheken geben mittlerweile den überwiegenden Anteil ihres Erwerbungsbudgets dafür aus. Für elektronische Ressourcen werden jedoch meistens nur Zugriffs- und Nutzungsrechte erworben, ohne dass eine Überführung in den Besitz der Bibliotheken erfolgt. Dieser neue Erwerbungsansatz stellt vollkommen neue Anforderungen an das Bibliotheksmanagementsystem. Diese werden durch die momentan im Einsatz befindlichen traditionellen Bibliothekssysteme nicht erfüllt.

Innerhalb der ZBW wurde eine Projektgruppe initiiert, die sich einerseits darum kümmert, bestehende Geschäftsgänge zu analysieren und anhand von FOLIO neu zu denken und zu strukturieren. Andererseits geben die Mitglieder der Gruppe inhaltliches Feedback zu aktuellen Themen der ERM Sub Group, um Bedarfe der ZBW und potenziell anderer Bibliotheken mit ähnlichen Anforderungen und Schwerpunkten in das System einzubringen. Intensives Testen vor dem Release neuer FOLIO-Versionen sowie vor dem Upgrade der lokalen Installationen gehört ebenfalls dazu. Dadurch können Bibliotheken aktiv dabei helfen, die Software zu verbessern.

Die FOLIO-Familie: Partner & Mitwirkende

Ausgehend von der Projektpartnerschaft des Hochschulbibliothekszentrums des Landes Nordrhein-Westfalen (hbz) und des GBV hat sich in Deutschland in den letzten Jahren eine aktive und vielfältige Community rund um FOLIO gebildet. Insgesamt gibt es fünf deutsche OLE-Partner: der GBV, das hbz, das Hessische BibliotheksInformationsSystem (HeBIS), die Universitätsbibliothek Leipzig (UB Leipzig) und die Universitätsbibliothek Mainz (UB Mainz). Das Bibliotheksservice-Zentrum Baden-Württemberg (BSZ) des Südwestdeutschen Bibliotheksverbunds (SWB) beteiligt sich im ERM-Projekt. Darüber hinaus arbeiten Entwicklerinnen und Entwickler sowie Fachexpertinnen und -experten aus vielen weiteren deutschen Bibliotheken verbundübergreifend zusammen.

Arbeitsweise von FOLIO

In Webkonferenzen der Mitarbeitenden werden gemeinsame Aktivitäten koordiniert, neue Funktionen und Versionen von FOLIO getestet und evaluiert und, ganz wichtig, die Arbeitsfortschritte der international ausgerichteten SIGs geteilt und besprochen. Nicht selten gibt es aus den deutschen Bibliotheken, die seit Jahrzehnten in Bibliotheksverbünden organisierte Zusammenarbeit leben, besondere Anforderungen an die Software und ihre Funktionen, die so in die Entwicklung der Software eingebracht werden.

Die ERM Sub Group trifft sich ein Mal pro Woche für eine Stunde. Jede zweite Woche ist für Themen der ERM Implementers reserviert. Dabei handelt es sich um Bibliotheken, die bereits aktiv die Apps nutzen oder im Prozess der Einführung stehen. Themen können auf vielfältigen Wegen eingebracht werden: Über das Kommunikationstool Slack in ERM-spezifischen Kanälen, über das Confluence-Wiki oder über direkten Kontakt mit den Conveners oder dem Product Owner. Die ZBW als Zentrale Fachbibliothek für die Wirtschaftswissenschaften hat einige spezielle Anforderungen, die in die Gruppe eingebracht, diskutiert, anhand von sogenannten „Use Cases“ begründet und entwickelt wurden. Das zeigt beispielhaft, dass Folio weiterentwickelt werden kann, um Bedürfnisse der eigenen Bibliothek besser zu unterstützen, solange die Funktionen auch für andere Anwenderinnen und Anwender einen Mehrwert bieten.

Persönlicher Austausch und Veranstaltungen

Raum zum persönlichen Austausch gibt es auf kleineren Arbeitstreffen und bei größeren Veranstaltungen, wie den FOIO-Tagen in Deutschland. Für den Herbst 2020 ist als Alternative zu den wegen der COVID-19-Pandemie aufs nächste Jahr verschobenen diesjährigen FOLIO-Tagen ein virtueller Austausch geplant.

Die deutsche Delegation beim Wolfscon 2020, Copyright bei EBSCO.

Als Veranstaltung für die weltweite Community fand bereits zwei Mal, in den Jahren 2018 und 2020, die World Open Library Foundation Conference (WOLFcon) statt.

Ausblick FOLIO

In den kommenden Jahren gibt es noch einiges zu tun: Die Arbeit an neuen und die Erweiterung existierender Funktionen von FOLIO ist noch nicht abgeschlossen. Des Weiteren muss das System in die bereits existierende deutsche Infrastruktur an Bibliotheksdienstleistungen und -systemen integriert werden. Auch die Nutzung neuer Systeme wie der Global Open Knowledgebase (GOKb), die als eine Quelle für Paketmetadaten dienen wird, muss noch formalisiert werden. Mehrere Teams aus ganz Deutschland beschäftigen sich momentan damit, Vorgaben für den Datenimport aus dem K10plus-Verbundkatalog sowie dem überregionalen ERM-System LAS:eR zu erarbeiten. Ein weiteres Team befasst sich mit dem Datenexport in K10plus sowie angeschlossene Discovery-Systeme.

Falls dieser Artikel Ihr Interesse an der Mitarbeit geweckt hat: Das FOLIO-Team freut sich immer über neue Personen, die sich an der Entwicklung eines offenen Bibliotheksmanagementsystems beteiligen möchten.

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Quellenangaben der Fotos:
Cover-Bild: ZBW/Timo Wilke©, Foto der deutschen Delegation beim Wolfscon 2020: EBSCO©.
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