LIBER 2020 Online: Vertrauen bilden mit Forschungsbibliotheken

von Tamara Pianos, Guido Scherp, Olaf Siegert und Claudia Sittner

Die jährliche Konferenz der Ligue des Bibliothèques Européennes de Recherche (LIBER) musste 2020 aufgrund der Corona-Pandemie virtuell stattfinden.

Ein Vorteil des Online-Formats: Die Konferenz war von überall zugänglich und für alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer kostenlos. Mit mehr als 4.000 Anmeldungen wurde LIBER 2020 die bisher größte LIBER-Konferenz.

Das Motto der diesjährigen Konferenz lautete “Vertrauen bilden mit Forschungsbibliotheken” (Building Trust with Research Libraries). Schwerpunkte lagen auf der Sicherstellung der Vertrauenswürdigkeit von Informationen in Zeiten von Fake News und der Diskussionen über Wissenschaft, Erkenntnisse und Fakten. Hier können Forschungsbibliotheken Studierenden und Forschenden helfen, verlässliche Informationen zu finden und sie in den richtigen Kontext einzuordnen. Dabei reichen die Themen der heutigen Forschungsbibliotheken von Open Science über den weltweiten Austausch von Publikationen und Daten bis hin zur langfristigen Erhaltung von Sammlungen.

In diesem Artikel geben wir einen kurzen Rückblick auf einige Sessions und Workshops.

 

 

Auswirkungen von COVID-19 auf Open Science

Die massiven Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die Arbeit von Bibliotheken wurden in der ersten Session “Überlegungen zu den Auswirkungen von COVID-19 auf Open Science” aus verschiedenen Blickwinkeln betrachtet.

Im ersten Vortrag zeigte Bertil F. Dorch (University of Southern Denmark (SDU)) die Herausforderungen auf, die das Betreiben einer Bibliothek in diesen Zeiten mit sich bringt. Am Beispiel der SDU-Bibliothek beschrieb er anschaulich den Prozess von der vollständigen Schließung bis zur (teilweisen) Wiedereröffnung. Dabei zeigte er auf, wie die Einrichtung den digitalen Wandel vollzog. Seine drei Lehren sind:

  1. Die kontinuierliche Kommunikation mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern (intern) und Benutzerinnen und Benutzern (extern) war essenziell. Die Hauptbotschaft, die zum Beispiel über die Website und soziale Medien kommuniziert wurde, lautete: „Wir sind immer noch für euch da.“
  2. Chancen ergreifen: zum einen die digitalen Möglichkeiten nutzen, um sonst lokale Dienstleistungen online anzubieten; zum anderen die Work-Life-Balance in Zeiten von Homeoffice neu überdenken.
  3. Die Bibliothek als vertrauenswürdigen Partner positionieren: Sich offen und engagiert zeigen und klar machen, dass Bibliotheken neue Wege gehen können, nachdem sie die digitalen Möglichkeiten erkundet haben.

Im zweiten Vortrag gab Birgit Schmidt (Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen, Deutschland) einen allgemeinen Überblick über die Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die Wissenschaft. Grundsätzlich gebe es einen Schub in Richtung einer offenen Wissenschaft. Insbesondere in der Medizin habe die Beliebtheit von Preprints und die gemeinsame Nutzung und Wiederverwendung von Forschungsdaten deutlich zugenommen. Entsprechende Plattformen für kollaborative Arbeit würden dementsprechend häufiger genutzt. Da Forschungsdaten hier unverzichtbar seien, wurden beispielsweise von der Confederation of Open Access Repositories (COAR) und der Research Data Alliance (RDA) Richtlinien und Empfehlungen für den Umgang mit COVID-19-Forschungsdaten entwickelt. Darüber hinaus habe auch die Wissenschaftskommunikation an Relevanz gewonnen. Die Öffentlichkeit habe die Möglichkeit, den Verlauf der Pandemie über sogenannte Dashboards, die oft Open Source seien und nur auf Open Data basierten, zu verfolgen. Auf der anderen Seite habe die Pandemie aber auch Einschränkungen im Forschungsalltag mit sich gebracht, zum Beispiel durch geschlossene Labore oder Homeoffice/Homeschooling.

Schließlich vertiefte Giannis Tsakonas (LIBER) in seinem Vortrag den Aspekt des bereits erwähnten Drängens nach Offenheit. Verlage stellten COVID-19-bezogene Publikationen, die bisher hinter Bezahlschranken standen, nun Open Access zur Verfügung. Letztlich blieben aber viele bestehende Probleme, wie das heutige Publikationssystem, ungelöst. Daher sei es wichtig, die Krise zu nutzen, um nachhaltige Bedingungen zu schaffen, um offene Praktiken und den kulturellen Wandel weiter zu fördern.

Wissenschaftliche Zeitschriften: der Übergang zu Open Access

„Transitioning Scholarly Journals to Open Access“ wurde von der Open-Access-Arbeitsgruppe von LIBER organisiert, um deren fünf Open-Access-Prinzipien für Verhandlungen mit Verlagen zu reflektieren.

Ziel des Workshops war es auch, zum einen zu verstehen, wie die Prinzipien bei der Vorbereitung und Aushandlung erfolgreicher transformativer Vereinbarungen in die Praxis umgesetzt wurden. Zum anderen gaben Workshop-Teilnehmerinnen und -Teilnehmer Anregungen, wie die Prinzipien verbessert werden könnten.

Nach einer kurzen Präsentation der Datenanalyse-Arbeitsgruppe von der Initiative „Efficiency and Standards for Article Charges“ (ESAC) teilten sich Teilnehmende und die Datenanalytikerinnen und -analytiker der ESAC in kleine Gruppen auf, um Fragen zu den verschiedenen Datenquellen und Analysemethoden, die in vielen der bisher ausgehandelten transformativen Vereinbarungen verwendet wurden, zu diskutieren.

Im zweiten Teil des Workshops sprach Caren Milloy (Jisc, Großbritannien) darüber, wie die Voraussetzungen für Verhandlungen Großbritanniens gestärkt werden könnten. Sie erläuterte auch, inwiefern frühere Open-Access-Abkommensmodelle nicht funktionierten und wie Jisc seine Grundsätze für erschwingliche Angebote in Großbritannien daraufhin erneuerte.

Die Wirkung von Forschungsdatenmanagement erhöhen

Die Sitzung „Super-Charging Your RDM Impact“ konzentrierte sich auf Schulungsprogramme, die von LIBER-Institutionen entwickelt wurden und die Bibliothekarinnen und Bibliothekare lehren, die notwendigen Fähigkeiten zu vermitteln, um ein erfolgreiches Forschungsdatenmanagement (Research Data Management – RDM) zu etablieren.

Im ersten Vortrag stellte Christos Kontzinos (Nationale Technische Universität Athen, Griechenland) Empfehlungen für Forschungsbibliotheken vor, um die Effizienz ihrer Forschungsinfrastruktur zu steigern und die Standards von Forschungsdatendiensten zu erhöhen.

Anschließend stellte Olaf Siegert (EconStor, ZBW – Leibniz-Informationszentrum Wirtschaft, Deutschland) ein Trainingsprogramm zum Umgang mit Forschungsdaten vor. Das Programm wurde ins Leben gerufen, nachdem er und sein Team bemerkt hatten, dass es eine Lücke zwischen zunehmend datenintensiver Arbeit und mangelnder Ausbildung in diesem Bereich gab. Es soll Promovierenden eine gute Praxis bei der Verwaltung und Dokumentation von Forschungsdaten zeigen.

 

Im dritten Vortrag erörterten Susanna Nykyri und Katja Fält (Universitätsbibliothek Tampere, Finnland), wie eine verantwortungsvolle Zusammenarbeit bei der Verwaltung von Forschungsdaten bei finnischen Universitätsbibliotheken funktioniert. Sie stellten dabei Möglichkeiten und Herausforderungen, aber auch gemeinsame Lösungen für das Forschungsdatenmanagement sowie Dienste zur Unterstützung von Open Data vor.

Werkzeuge für Transparenz und Open Access

Transparenz spielt bei der Förderung von Open Access eine entscheidende Rolle. Sie gewährt Einblicke in Prozesse und schafft Vertrauen in Bibliotheksdienste. Die drei Präsentationen in der Session “Tools for Transparency and Open Access” beleuchteten Entwicklungen in diesem Bereich.

Sara Ames (National Library of Scotland (NLS)) stellte den Gründungsprozess von Data Foundry vor. Die Ermittlung der Benutzerbedürfnisse sei ein wichtiger Schritt bei der tatsächlichen Schaffung von Diensten gewesen. Data Foundry wurde mit transparentem Zugang zu Datensammlungen, die offen und wiederverwendbar sind, geschaffen. Indem auch der Entscheidungsfindungsprozess offen gestaltet werde – zum Beispiel warum bestimmtes Material digitalisiert wird – sei Transparenz gewährleistet. Da die breite Öffentlichkeit eine Zielgruppe für die NLS sei, solle jede und jeder den Prozess der Datenbereitstellung mitverfolgen können.

Im zweiten Vortrag stellte Maurits van der Graaf (Pleiade Management & Consultancy, Niederlande) ein Bibliotheks-Toolkit für Open Access vor. Er zeigte auf, dass solche Werkzeuge, aber auch Richtlinien dazu von Bibliotheken wichtige Faktoren bei der Realisierung von Open Access sind. Zusätzlich zu den Vereinbarungen mit großen Verlagen seien Mechanismen erforderlich, um den „Long Tail“ der Verlage abzudecken. Für diese Aufgaben sei zusätzliches Personal in den Bibliotheken erforderlich. Außerdem könne es passieren, dass deren Anschaffungsbudget im Laufe des Transformationsprozesses zu einem Artikel-Veröffentlichungs-Budget werde. Van der Graaf erklärte, dass Open Access den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern große Vorteile biete (höhere Sichtbarkeit, mehr Zitate). Daher plädierte er stark dafür, dass Open Access von Bibliotheken gefördert werde.

In der Abschlusspräsentation stellten Nicole Krüger und Tamara Pianos (EconBiz, ZBW, Deutschland) das EconBiz Academic Career Kit für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in frühen Karrierephasen vor. Sie beschrieben die Herausforderungen bei der Erstellung und dem Angebot einer interaktiven Open Educational Resource (OER). Die erste Herausforderung sei es, eine geeignete nicht-proprietäre Plattform zu finden. Während des Erstellungsprozesses traten weitere Fragen bezüglich der CC-Lizenzierung und der Wiederverwendung anderen Materials auf. Die Bereitstellung von OER für potenzielle Benutzerinnen und Benutzer war und ist immer noch eine Herausforderung, betonten beide.

Citizen Science, Nachhaltigkeit und die Rolle von Bibliotheken

In der Session “Citizen Science Supporting Sustainable Development Goals: The possible role of libraries” ging es darum, wie Citizen-Science-Projekte dabei helfen können, die 17 Ziele nachhaltiger Entwicklung (Sustainable Development Goals – SDG) der Vereinten Nationen (UN) zu erreichen und welche strategische Rolle Bibliotheken als zentrale Anlaufstelle in diesem Kontext spielen können.

Im ersten Vortrag stellte Guiseppe Vitiello vom (European Bureau of Library, Information and Documentation Associations (EBLIDA)) seine Organisation und deren Arbeit für die 17 nachhaltigen Entwicklungsziele in europäischen Bibliotheken vor. EBLIDA ist dabei ein unabhängiger Dachverband von Bibliotheks-, Informations-, Dokumentations- und Archivverbänden und -institutionen in Europa. Die Rolle von Bibliotheken sieht Vitiello dabei als Brücke zwischen Wissenschaft und Bürgerinnen und Bürgern, vor allem auf regionaler und nationaler Ebene. Er betonte, dass auch kleine Organisationen wie EBLIDA im Bereich der UN-Ziele nachhaltiger Entwicklung etwas bewirken können.

In der zweiten Präsentation berichtete Tiberius Ignat (Scientific Knowledge Services) von der Entstehung der “LIBER Citizen Science Working Group” bei einem LIBER-Workshop 2019. Die Gruppe habe bisher all ihre Ziele erreicht, darunter: eine Vorlage für Bibliotheken als zentrale Anlaufstelle, ein Webinar und einen Citizen-Science-Leitfaden. Unter dem Titel „Citizen Science and the Third Mission“ fasste er die Hauptziele einer Zusammenarbeit von Wissenschaft und Gesellschaft wie folgt zusammen:

  • Voneinander lernen
  • Die wissenschaftliche Kompetenz in der Gesellschaft fördern
  • Gesellschaftliche Bedürfnisse adressieren
  • Autonomie für die Wissenschaft herstellen
  • Fehlinformationen in Schach halten
  • Öffentlich-private Forschung durch liberale Lizenzen fördern

Im letzten Teil der Session zeigten Anne Kathrine Overgaard und Thomas Kaarsted (Citizen Science Network (SDU), Dänemark) anhand von drei Best-Practice-Beispielen, wie Citizen Science funktionieren kann.

Hier geht es zum Video
Integrate video for the case “Bring your own device”

Interessant dabei ist, dass das Citizen Science Network in allen Fakultäten und in der Bibliothek der SDU verankert ist. Für das Netzwerk ginge es bei Citizen Science darum, Projekte zu initiieren und damit Dialog und Interaktion zwischen Bürgerinnen und Bürgern und Forschenden zu schaffen. Nur dann könne sich die Distanz zwischen ihnen verringern, um eine auf Wissen und Fakten basierende Debatte zu fördern und so „the power of many“ zu aktivieren. Spannend dabei: Sie legen viel Wert darauf, stets Medienpartner ins Boot zu holen, die auf die Projekte in Artikeln und in den sozialen Medien aufmerksam machen.

Fazit zu LIBER 2020 Online

Die virtuelle Version von LIBER war genauso interessant und vielseitig wie die gemeinsame Veranstaltung vor Ort vor der Corona-Pandemie. Fragen konnten im Chat gestellt und Reaktionen während der Sessions und Workshops mit Emoticons spielerisch ausgedrückt werden. Was fehlte, war der spontane persönliche Austausch und Möglichkeiten zum Netzwerken. Und natürlich ist die Präsenz einer Person im selben Raum eine ganz andere als im virtuellen.

Zu den Vorteilen der Online-Konferenz gehörten der Wegfall von Reisekosten und Konferenzgebühren und eine dadurch deutlich höhere Zahl an Teilnehmenden. So konnten auch Personen bei LIBER 2020 dabei sein, die normalerweise nicht die finanziellen oder zeitlichen Ressourcen gehabt hätten. Damit machte die LIBER-Konferenz 2020 selbst einen großen Schritt in Richtung mehr Offenheit. Deswegen sollten die Organisatoren überlegen, für LIBER 2021 schon bei der Planung mehr Möglichkeiten zur Online-Partizipation mitzudenken.

Die meisten Präsentationen und Videos von den Vorträgen sind über die LIBER Website verfügbar.

Über die Autor:innen:

Dr. Tamara Pianos studierte Geographie und Anglistik. Nach ihrer Promotion in Kanadastudien und einem Referendariat als wissenschaftliche Bibliothekarin arbeitete sie an der TIB in Hannover. Seit 2005 ist sie an der ZBW – Leibniz-Informationszentrum Wirtschaft tätig, wo sie heute die Abteilung Informationsversorgung und -zugang leitet. Sie ist Produktmanagerin des EconBiz-Portals und verantwortlich für Informationskompetenzthemen.

Dr. Guido Scherp ist Leiter der Abteilung “Open-Science-Transfer“ der ZBW – Leibniz-Informationszentrum Wirtschaft und Koordinator des Leibniz-Forschungsverbunds Open Science. er ist auch auf LinkedIn und Twitter zu finden.

Olaf Siegert leitet die Abteilung Publikationsdienste der ZBW – Leibniz-Informationszentrum Wirtschaft und engagiert sich als ihr Open-Access-Beauftragter. Für die Leibniz-Gemeinschaft repräsentiert er den Leibniz-Arbeitskreis Open Access in externen Gremien: So ist er bei der Allianz der Wissenschaftsorganisationen in der AG Wissenschaftliches Publikationssystem und bei Science Europe für die Leibniz-Gemeinschaft aktiv.

Claudia Sittner studierte Journalistik und Sprachen in Hamburg und London. Sie war lange Zeit Referentin beim von der ZBW herausgegebenen Wirtschaftsdienst – Zeitschrift für Wirtschaftspolitik und ist heute Redakteurin des Blogs ZBW MediaTalk. Außerdem ist sie freiberufliche Reise-Bloggerin. Sie ist auch auf LinkedIn, Twitter und Xing zu finden.
Porträt: Claudia Sittner©

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