Open Economics: Studie zu Open-Science-Prinzipien und -Praxis in den Wirtschaftswissenschaften

von Guido Scherp und Doreen Siegfried

Die Durchdringung der verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen mit Open-Science-Praktiken ist noch sehr unterschiedlich. Jede Disziplin beziehungsweise Community muss dabei für sich einen spezifischen Ansatz finden, wie die Umsetzung von Open Science gelingen kann. In den Wirtschaftswissenschaften ist beispielsweise zu beobachten, dass durch eine „Credibility Revolution“ empirische Forschung und damit die Rolle von Forschungsdaten in den letzten Jahren einen deutlich höheren Stellenwert eingenommen hat. Aktuell zeigt die COVID-19-Pandemie, wie wichtig offene und kollaborative Ansätze sind, um Forschung effizienter und vertrauenswürdiger zu gestalten sowie Forschungsergebnisse schneller zu verbreiten.

Die ZBW – Leibniz-Informationszentrum Wirtschaft möchte entsprechende Bestrebungen der Open-Science-Bewegung bestärken und ihre Angebote zur Unterstützung von Open Science besser an den Bedürfnissen von Wirtschaftswissenschaftlerinnen und Wirtschaftswissenschaftlern ausrichten. In diesem Kontext führte die ZBW die Studie “Die Bedeutung von Open Science in den Wirtschaftswissenschaften” durch, um einen Überblick darüber zu erhalten, welche Rolle Open Science aktuell im Arbeitsalltag von Wirtschaftswissenschaftlerinnen und Wirtschaftswissenschaftlern spielen.

Die Feldphase erfolgte Ende 2019 in Form eines Online-Fragebogens an deutschen Hochschulen und Forschungseinrichtungen. Die Auswertung basiert auf 300 beantworteten Fragebögen.

Hohe Zustimmung zu den allgemeinen Prinzipien von Open Science

Vier von fünf Wirtschaftsforschenden haben den Begriff “Open Science” beziehungsweise “offene Wissenschaft” vorher schon einmal gehört. Darüber hinaus gibt es eine breite Zustimmung zu den allgemeinen Prinzipien von Open Science. Beispielsweise stimmen 96 Prozent der Befragten der Aussage zu, dass die Replizierbarkeit von Forschungsergebnissen ein wichtiges Qualitätskriterium ist, um die Glaubwürdigkeit der Wissenschaft zu erhöhen. Ähnlich hoch mit 91 Prozent ist die Zustimmung zur Aussage, dass Ergebnisse öffentlich finanzierter Forschung frei zugänglich sein sollten. Insgesamt gibt es Zustimmungswerte von 85 bis 96 Prozent, lediglich der Einbindung von gesellschaftlichen Akteuren in Forschungsprozesse (Community Science / Citizen Science) stimmten nur 56 Prozent zu.

Open-Science-Praktiken werden noch nicht in der Breite angewendet

Bei der Frage nach der allgemeinen Rolle von Open-Science-Praktiken im Forschungsalltag spielen Open Source mit 64 Prozent und Open Access mit 62 Prozent eine tendenziell wichtige bis sehr wichtige Rolle. Die geringste Rolle spielen Community / Citizen Science mit 14 Prozent und Altmetrics mit 8 Prozent. Der hohe Wert von Open Source ist interessant; vermutlich korreliert er mit einer hohen Nutzungsintensität von Open-Source-Lösungen.

Konkreter gefragt haben 34 Prozent aller Ökonominnen und Ökonomen nach eigenen Angaben schon einmal im Open Access publiziert, davon 61 Prozent ein Working Paper in einem Repository und 59 Prozent in einem Open-Access-Journal. Die Prominenz von Open-Access-Journals erstaunt dabei etwas, da der Anteil von reinen Open-Access-Journals in den Wirtschaftswissenschaften noch gering ist. Universitätsprofessorinnen und -professoren publizieren mit 59 Prozent deutlich häufiger im Open Access als wissenschaftliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit 24 Prozent. Es wird auch in anderen Studien bestätigt, dass wissenschaftliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter stärker ihre wissenschaftliche Karriere im Blick haben und statt in Open-Access-Journals eher in Zeitschriften mit hohem Impact-Faktor publizieren.

Mit Forschungsdaten arbeiten 78 Prozent aller Ökonominnen und Ökonomen. Von ihnen nutzen 56 Prozent dabei die Daten anderer und 51 Prozent nutzen freie Software zur Datenanalyse (dies korreliert mit der großen Rolle von Open Source siehe oben). 44 Prozent haben schon einmal eine Publikation mit zugrundeliegenden Daten ergänzt / verlinkt. Lediglich 15 Prozent haben reine Daten über ein Repository zugänglich gemacht.

Reputation und Zeit sind zentrale Stellschrauben

Bereits andere Studien haben gezeigt, dass Reputation und Anerkennung zentrale Trigger für Open Science sind. Auch Zeit spielt eine wichtige Rolle. Die am häufigsten genannten Hinderungsgründe für die Anwendung von Open-Science-Praktiken waren somit fehlende Zeit (43 Prozent), fehlende Unterstützung (32 Prozent) sowie mangelnde Anerkennung in der Community (30 Prozent).

Nach Anreizen gefragt dominieren Aspekte rund um Reputation und Anerkennung. Als Anreize genannt wurden:

  • Forschende / Laien interessieren sich mehr für die Arbeit (54 Prozent),
  • Zitationen steigen durch Open Access (52 Prozent),
  • die Anwendung wird in der Wissenschaft anerkannt (51 Prozent)
  • und es gibt Zitationen für veröffentlichte Daten (49 Prozent).

Die Anerkennung in der Wissenschaft spielt dabei für wissenschaftliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit 63 Prozent eine deutlich wichtigere Rolle als für Professorinnen und Professoren mit 39 Prozent.

Hoher Unterstützungsbedarf vorhanden

Es gibt allgemein einen hohen Unterstützungsbedarf seitens der Ökonominnen und Ökonomen für die Durchführung von Open Science. Dieser erstreckt sich von einem Überblick zu Plattformen, Werkzeugen und Anwendungen (84 Prozent) bis hin zur Unterstützung für eine verbesserte Replizierbarkeit eigener Forschungsergebnisse (50 Prozent). Dahinter, mit 40 Prozent der niedrigste Wert, wünschen sich die Befragten Unterstützung bei der Einbeziehung gesellschaftlicher Akteure (Community / Citizen Science). Bei diesem Thema wird auch die geringste Rolle im Forschungsalltag gesehen (siehe oben). Fachhochschulprofessorinnen und -professoren scheinen dabei einen größeren Bedarf an Unterstützung zu haben als Universitätsprofessorinnen und -professoren.

Bibliotheken sollten beim Unterstützungsbedarf ansetzen

Die Studie zeigt ein großes Interesse seitens der Ökonominnen und Ökonomen, sich mit offenen Praktiken zu beschäftigen. Die Zustimmung zu den Prinzipien ist hoch. Der aus Sicht von Bibliotheken vielleicht wichtigste Aspekt ist, dass es einen großen Unterstützungsbedarf gibt. Dies deckt sich auch mit den Ergebnissen des Workshops “Open Science in den Wirtschaftswissenschaften – From Politics to Practice” mit Ökonominnen und Ökonomen im Kontext der Studie.

Hier sollte weiter angesetzt werden, um bestehende Hinderungsgründe besser aufzugreifen und Vorteile durch die konkrete Anwendung von Open Science gezielter zu vermitteln. In diesem Zuge müssen die Komplexität des Themenbereichs weiter aufgebrochen und die jeweiligen Konzepte von Open Science besser erklärt werden. Einige Antworten in der Studie deuten beispielsweise darauf hin, dass es teilweise noch ein unterschiedliches Begriffsverständnis gibt. Einzelne Aspekte können in weiterführenden Untersuchungen näher beleuchtet werden. Das Potenzial ist vorhanden und die Ökonominnen und Ökonomen scheinen bereit zu sein, die Durchdringung von Open-Science-Praktiken in den Wirtschaftswissenschaften zu erhöhen.

Über die Autor:innen:

Dr. Guido Scherp ist Leiter der Abteilung “Open-Science-Transfer“ der ZBW – Leibniz-Informationszentrum Wirtschaft und Koordinator des Leibniz-Forschungsverbunds Open Science. er ist auch auf LinkedIn und Twitter zu finden.
Porträt: ZBW©, Fotograf: Sven Wied

Dr Doreen Siegfried is Head of Marketing and Public Relations. She can also be found on LinkedIn and Twitter.
Portrait: ZBW©

Diesen Blogpost teilen:

Fehlende deutsche Übersetzung

Klassische Bibliotheken: Das Interesse daran sinkt, die Berichterstattung darüber wächst User Experience in Bibliotheken: Einblicke in Finna – den digitalen Dienst der finnischen Nationalbibliothek Interview: Open Access-Preprints werden häufiger zitiert und geteilt

View Comments

Tipps und Best-Practices: So digitalisieren Bibliotheken ihre Lernangebote
Nächster Blogpost