Podiumsdiskussion: Perspektiven für „Bibliotheken 2050“

von Nicole Clasen, Birgit Fingerle und Dr. Doreen Siegfried

Bei einer Podiumsdiskussion zum Thema „Bibliotheken 2050“ am 21.10.2019 in der ZBW Hamburg im Rahmen des Jubiläumsjahres der ZBW diskutierten Barbara Lison, Bibliotheksdirektorin der Stadtbibliothek Bremen und designierte Präsidentin der IFLA, Prof. Dr. Ute Krauß-Leichert, HAW Hamburg, Volker Heller, Vorstand und Managementdirektor der Stiftung Zentral- und Landesbibliothek Berlin (ZLB), und Thorsten Meyer, Bibliotheksdirektor der ZBW. Moderiert wurde die Podiumsdiskussion von Nicole Clasen aus der ZBW. Wir haben einige Aspekte zur Bibliothek 2050 zusammengefasst.

 
Audiomitschnitt der Podiumsdiskussion

 

Welche Bedeutung werden Bibliotheken in Zukunft für ihre Zielgruppen haben?

Barbara Lison sieht spektakuläre Bibliotheken, die derzeit im Ausland gebaut werden oder kürzlich gebaut wurden, als Vorbilder für Bibliotheken in 2050. Dazu zählen das DOKK1 in Aarhus, OODI in Helsinki und LocHal in Tilburg. Wichtig sei, dass die zukünftigen Nutzerinnen und Nutzer bei der Planung eingebunden werden.

Für Volker Heller muss eine Bibliothek immer die Bedürfnisse der Gesellschaft bedienen, sonst habe sie keine Bedeutung. Im Prinzip gäbe es drei grundlegende Bedürfnisse, die vor allem für Öffentliche Bibliotheken maßgeblich sind: erstens den Wunsch nach analogem Raum, zweitens den Wunsch nach Begegnung und drittens den Wunsch nach Erweiterung von Wissen und Fähigkeiten. Aus diesem Grund sei auch die Sonntagsöffnung so wichtig.

Thorsten Meyer betonte den Aspekt, dass Bibliotheken einerseits als Raum wichtig seien, auch als Orte des mobilen Detox und der Konzentration. Andererseits passe der Begriff „Bibliothek“ nicht mehr ganz, da sie mehr und mehr zu „Informationsinfrastruktureinrichtungen“ geworden seien.

Welches Personal brauchen Bibliotheken 2050?

Das Personal ist für Barbara Lison ein wichtiges Thema der Bibliothek 2050. Es sollte nicht ausschließlich aus Bibliothekarinnen und Bibliothekaren bestehen, sondern sich deutlich vielfältiger als heutzutage zusammensetzen.

Nach Ansicht von Prof. Dr. Ute Krauß-Leichert ist es wichtig, in der Ausbildung in Zukunft mehr unterschiedliche Schwerpunkte zu setzen. Auch Fort- und Weiterbildung seien extrem wichtig.

Ebenso betonte Volker Heller, dass es so viele Fähigkeiten gäbe, die gebraucht würden. Daher wäre ein Abrücken von der singulären Ausbildung sinnvoll. Warum sollte man zum Beispiel FaMIs nicht empfehlen, etwas anderes zu studieren, wie Community Management oder Kommunikationswissenschaften?

Eher in der koordinierenden Rolle sieht Thorsten Meyer Bibliothekarinnen und Bibliothekare. Bibliotheken bräuchten zudem mehr IT-Kompetenz, seien hier aber einer schweren Konkurrenz durch die Wirtschaft ausgesetzt; und müssten deshalb ihre Vorteile als Arbeitgeber besonders betonen.

Wo könnten Bibliotheken angesichts des vielen Neuen auf der anderen Seite auf Altes verzichten?

Volker Heller sieht einen Rückgang bei allen manuellen Aufgaben rund um die Sammlung (zum Beispiel in der Katalogisierung). Vieles ließe sich ersetzen durch Kooperationen mit Dienstleistern oder anderen Bibliotheken, sodass dann mehr Zeit fürs Publikum bliebe. Als immens wichtig beschreibt er die Zusammenarbeit der Öffentlichen Bibliotheken auf nationaler Ebene. Derzeit herrsche eine Riesenlücke, da nationale Player fehlen und es keine Konsortien von Öffentlichen Bibliotheken gibt, wie es bei den Wissenschaftlichen Bibliotheken der Fall ist.

Ihrer Kernaufgabe werden Bibliotheken laut Thorsten Meyer weiterhin treu bleiben. So werden Bibliotheken auch zukünftig Wissen aufbereiten und verfügbar machen. Allerdings ist es für ihre Zukunftsfähigkeit wichtig, auf unnötige Geschäftsgänge und Arbeitsschritte zu verzichten. Man sollte sich als Bibliothek immer fragen: wie bringen wir den besten Nutzen? Und manchmal kann eine andere Einrichtung etwas besser. Dann sollte man sich zusammentun und so mehr Zeit für die Nutzerinnen und Nutzer gewinnen.

Was muss sich auf der Ebene der Politik und der Förderinstitutionen ändern, um Bibliotheken für 2050 zu rüsten?

Barbara Lison vertrat die Ansicht, dass die Kulturhoheit in Deutschland einen einschränkenden Faktor darstellt und dass es sie in 2050 bestimmt nicht mehr geben wird. Oder doch? Wenn Bibliotheken Kaffee mit Sitzplatz anbieten würden, käme vielleicht auch endlich die Sonntagsöffnung, so wie die Bäcker dies jetzt auch dürfen.

Volker Heller berichtete, dass die ZLB an 347 Tage im Jahr geöffnet hat und warf die Frage auf, warum eigentlich nicht auch an Weihnachten für einsame Menschen? Wenn es um Bedürfnisse ginge, müsste man eigentlich konsequent sein. An Sonntagen würden sie eine hohe Resonanz an Besucherinnen und Besuchern erfahren, mit vielen Familien, die kämen, und allgemein einer großen Entspanntheit.

Prof. Dr. Ute Krauß-Leichert sieht Bibliotheken als stark engagiert in Sachen digital. Da dies aber von außen nicht gesehen wird, müssten sie dies stärker kommunizieren, damit andere, vor allem die Geldgeber, erfahren, was Bibliotheken tun.

Aus Sicht von Barbara Lison fehlt es in Deutschland zudem an nationaler Unterstützung und einer zentralen Institution. Hingegen werden beispielsweise in den Niederlanden Öffentliche Bibliotheken im Rahmen eines großen Projekts für Digital Literacy ausgestattet.

Bibliotheken stellen die Weichen für 2050

Die Podiumsdiskussion zeigte, dass Bibliotheken dabei sind, die Weichen für eine zukunftsorientierte Weiterentwicklung zu stellen. Dafür gestalten sie ihre vielschichtigen Aufgaben für und mit ihren Nutzerinnen und Nutzern. Einen wichtigen Punkt für das Gelingen bildet dabei die maßgeschneiderte Fort- und Weiterentwicklung der eigenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.

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Birgit Fingerle ist Diplom-Ökonomin und beschäftigt sich in der ZBW unter anderem mit Innovationsmanagement, Open Innovation, Open Science und aktuell insbesondere mit dem "Open Economics Guide". (Porträt: Copyright

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