Leitfaden: Elektronische Laborbücher im Forschungsdatenmanagement
Ein elektronisches Laborbuch stellt im Idealfall einen Baustein in einem Gesamtsystem von Tools zum Forschungsdatenmanagement dar und kann Open Science durch transparente Dokumentation von Experimenten und die Publikation der Daten voranbringen. Welche Best-Practices gibt es und was gibt es bei der Einführung zu beachten? Ein kürzlich von der ZB MED veröffentlichter ELN-Wegweiser gibt dabei umfassende Hilfestellungen.
im Interview mit Beatrix Adam und Birte Lindstädt
Die Einführung eines elektronischen Laborbuches (Electonic Lab Notebook ELN) stellt oft die Initialzündung dar, um über das Forschungsdatenmanagement nachzudenken und weitere Schritte einzuleiten.
Wir sprachen mit den Forschungsdatenexpertinnen Beatrix Adam und Birte Lindstädt von der ZB MED, die kürzlich den ELN-Wegweiser “Elektronische Laborbücher im Kontext von Forschungsdatenmanagement und guter wissenschaftlicher Praxis – ein Wegweiser für die Lebenswissenschaften“ veröffentlicht haben; unter anderem darüber, welche Rolle Infrastruktureinrichtungen in dem Zusammenhang spielen können. Für die Entwicklung des Wegweisers wurden zum Teil Best-Practice-Beispiele aus Interviews mit Fachleuten abgeleitet.
Die Handreichung unterstützt Verantwortliche für Informationsinfrastrukturen sowie Forschende bei der bedarfsgerechten Auswahl eines geeigneten Tools.
Wie verbreitet sind elektronische Laborbücher in der Forschung? Und welche Vorteile bieten sie?
Im letzten Jahrzehnt wurden geeignete Prozesse für die Einführung eines ELN von wenigen „Vorreitern“ entwickelt, hauptsächlich im Rahmen von Förderprogrammen und in Sonderforschungsbereichen. Teilweise haben auch einzelne Forschende die Vorteile von ELNs erkannt und für sich nutzbar gemacht. Oft werden aber auch Anwendungen wie Evernote, Onenote, Excel oder Powerpoint genutzt, um die Dokumentation von Experimenten zu digitalisieren.
Zurzeit gewinnt das Thema an Bedeutung und immer mehr Institutionen möchten ein ELN einführen, um die Digitalisierung der Laborworkflows zu professionalisieren. Hintergrund ist neben den Vorteilen, die ein ELN im Zeitalter der zunehmenden Digitalisierung aufweist, dass immer mehr Förderer ein Forschungsdatenmanagement gemäß den FAIR-Prinzipien (Findable, Accessible, Interoperable, Re-usable) fordern, aber auch Verlage die Publikation von Forschungsdaten zusätzlich zur Textpublikation in ihre Policies schreiben. Die Nutzung eines elektronischen Laborbuchs trägt wesentlich zu Reproduzierbarkeit und Nachnutzbarkeit von Forschungsdaten bei und erleichtert den Zugang zu und die Auffindbarkeit von Forschungsdaten. Außerdem fördert ein ELN die Dokumentation und Nachweisbarkeit des Forschungsprozesses im Sinne der Guten Wissenschaftlichen Praxis.
Vorteile von ELNs sind beispielsweise:
- Direkte Einbindung/Verlinkung bereits digital vorliegender Daten (zum Beispiel Messergebnisse, Bild-, Video-, Audiodateien)
- Kein Informationsverlust durch unleserliche Handschrift oder Übertragungsfehler
- Such- und Filterfunktionen
- Funktionen zum kollaborativen Arbeiten (Rechte-, Rollenmanagement)
- Erstellung und Verwendung von Vorlagen (Templates, zum Beispiel für sich wiederholende Prozesse)
- Einbettung in eine vernetzte digitale Forschungsumgebung (API, Standardschnittstellen, Import-, Exportfunktionen, Anbindung an Repositorien und andere)
An wen richtet sich Euer ELN-Wegweiser?
Der Wegweiser richtet sich zum einen an Personen, die mit der Einführung eines ELN auf institutioneller Ebene betraut sind, zum Beispiel Verantwortliche für Informationsinfrastrukturen. Er soll aber auch einzelne Forschende, die sich für das Thema interessieren, mit nützlichem Hintergrundwissen unterstützen.
Welche Rolle spielen elektronische Laborbücher im Kontext von Forschungsdatenmanagement beziehungsweise Open Science?
Zunächst einmal dient das ELN der Dokumentation von Forschungsdaten und -ergebnissen im Sinne von Metadaten sowie im Sinne des Versuchsaufbaus und den eigentlichen Versuchsergebnissen: Rohdaten können ohne Medienbrüche eingebunden und zum Beispiel mit Protokollen verknüpft und in Workflows integriert werden. Im Idealfall ist das ELN ein Baustein in einem Gesamtsystem von Tools zum Forschungsdatenmanagement. Es kann beispielsweise Daten mit anderer Forschungssoftware, zum Beispiel Analysetools, austauschen, oder sie in Formaten bereitstellen, die für Publikation oder Langzeitarchivierung geeignet sind. Darüber hinaus haben unsere Fallbeispiele gezeigt, dass die Einführung eines ELN oft die Initialzündung dafür ist, dass über Forschungsdatenmanagement nachgedacht wird und weitere Schritte, wie beispielsweise die Konzipierung einer zentralen Datenspeicherung, eingeleitet werden.
Worauf sollte bei der Auswahl und Einführung eines ELN-Tools geachtet werden?
Bei der Auswahl steht der Bedarf der Forschenden im Vordergrund, die Forschungsprozesse müssen vollständig abbildbar sein. Dazu gehören beispielsweise die Eingabemöglichkeiten für Daten, Dateiformate für den Im- und Export, Probenmanagement, Funktionen zur Kollaboration. Darüber hinaus spielen Anforderungen zur guten wissenschaftlichen Praxis, Möglichkeiten der Anbindung an ein systematisches Forschungsdatenmanagement sowie IT-Anforderungen und Datensicherheit eine Rolle. Um eine möglichst breite Akzeptanz bei der Einführung zu erzielen, müssen Usability und die Performance der Software stimmen. Das Tool sollte einfach und intuitiv bedienbar sein und eine gute Reaktionsfähigkeit und Stabilität unter der üblichen Arbeitslast aufweisen. Wir empfehlen eine Vorauswahl von etwa zwei bis drei Tools, die dann in einem Testverfahren möglichst realitätsnah geprüft werden sollten. Bei der Einführung ist eine gute Begleitung der Nutzenden sehr wichtig. Es sollten Hilfen wie eine Hotline, eine Schnellstartanleitung, Schulungsunterlagen et cetera zur Verfügung stehen.
Welche Rolle spielen Bibliotheken und andere Infrastruktureinrichtungen dabei? Und was würdet Ihr ihnen empfehlen?
Bibliotheken können koordinierend, begleitend oder federführend eine Rolle bei Auswahl, Test und Einführung eines ELN sowie der Bereitstellung entsprechender Infrastrukturen spielen. Sie können für Auswahl und Tests Tools, wie zum Beispiel Bedarfsabfragen und Testfragebögen, entwickeln und auswerten sowie im laufenden Betrieb das Monitoring übernehmen. Auch durch die Bereitstellung von Informationen, etwa FAQ und Schulungsunterlagen, können Bibliotheken unterstützen. Weitere Aufgaben können die Verwaltung von Lizenzen sein sowie zusammen mit IT-Verantwortlichen die Einbindung des ELN in die vorhandene Infrastruktur voranzutreiben sowie neue Infrastruktur zu entwickeln (zum Beispiel Repositorien, LZA, Datenspeicherkonzept, Einbindung kontrollierter Vokabularien). In diesem Zusammenhang sehen wir eine wichtige Rolle darin, die Kommunikation zwischen Forschenden und Labormitarbeitenden einerseits und IT-Verantwortlichen andererseits mit zu gestalten: es ist von äußerster Wichtigkeit, dass die Prozesse und der Bedarf aus dem Labor genau verstanden werden, um ein geeignetes ELN auszuwählen beziehungsweise die nötigen Anpassungen vornehmen zu können.
Andererseits müssen Forschende dafür sensibilisiert werden, die Nutzung des ELN im Gesamtzusammenhang des Forschungsdatenmanagements zu sehen und bei der Dokumentation eine gewisse Sorgfalt walten zu lassen (zum Beispiel die hinreichende Beschreibung der Forschungsdaten mittels Metadaten). Auch als Schnittstelle zur Leitung einer Forschungseinrichtung oder dem Forschungsdekanat kann die Bibliothek dienen, wenn es etwa um das Budget für die Einführung eines ELN geht.
Welche Best-Practices gibt es?
Wir haben in unserem Wegweiser fünf Beispiele näher beleuchtet. Das sind die Charité Berlin/BIH, die ETH Zürich, die HHU Düsseldorf, das Robert Koch-Institut sowie die Universitätsmedizin Göttingen. Weitere Beispiele, auf die wir auch im Leitfaden verlinken, sind das Fritz-Lippmann-Institut, das IPK Gatersleben, die Max-Planck-Gesellschaft sowie das Chemotion-ELN und das Belab-Projekt. Als internationales Beispiel verweisen wir auf die University of Michigan.
Euer ELN-Wegweiser bezieht sich auf die Lebenswissenschaften. Inwieweit lassen sich seine Inhalte auf andere Fächer übertragen?
Wir haben uns hauptsächlich auf Tools konzentriert, die für die Lebenswissenschaften geeignet sind. Grundsätzlich ist die beschriebene Vorgehensweise bei der Einführung elektronischer Laborbücher mit den „Stationen“ Auswahl, Test und Einführung jedoch auch für andere Fächer relevant. Notwendige Anpassungen sehen wir hier vor allem im Bereich der Bedarfsabfrage.
Ebenso sind die meisten der beschriebenen Anforderungen an ein ELN (zum Beispiel Usability, Performance, Exit-Strategien) auch auf andere Fächer übertragbar. Einige der Anforderungen sind dagegen grundsätzlich in anderen Fächern auch zu berücksichtigen, sie müssen in ihrer Ausprägung aber angepasst werden, so gibt es wahrscheinlich andere regulatorische Anforderungen als beispielsweise HIPAA (U.S. Health Insurance Portability and Accountability Act) oder die ISO-Norm 15189 (Medical laboratories — Requirements for quality and competence), die für Fächer in den die Lebenswissenschaften relevant sind.
Beatrix Adam hat nach ihrer Ausbildung als Technische Informatikassistentin zunächst in der Programmierung von Datenbanken im Umfeld Telekommunikation gearbeitet. Danach war sie circa 18 Jahre lang in der Datenverarbeitung im Direktmarketing tätig, wobei die Aufbereitung von Rohdaten hinsichtlich Konsistenz und die Durchführung von Dublettenabgleichen und Datenanreicherungen im Vordergrund standen, sowie die Entwicklung von Skripten für die Automatisierung von Routineaufgaben. Seit 2018 beschäftigt sie sich bei ZB MED als Mitarbeiterin in der Abteilung Forschungsdatenmanagement mit dem Thema elektronische Laborbücher im Kontext des Forschungsdatenmanagements. Sie hat eine Informationsbasis zu elektronischen Laborbüchern entwickelt sowie den ELN-Wegweiser mitverfasst.
Birte Lindstädt hat nach ihrem Studium der Wirtschaftsgeographie circa 15 Jahre in der Beratung und Marktforschung gearbeitet. Von 2010 bis 2014 war sie Projektleiterin und Verbundkoordinatorin von Goportis Leibniz-Bibliotheksverbund Forschungsinformation. Von 2012 bis 2014 hat sie erfolgreich am MALIS-Studium teilgenommen und leitet seit 2014 die Abteilung Forschungsdatenmanagement bei ZB MED im Programmbereich Open Access – Digitale Langzeitarchivierung – Forschungsdatenmanagement.
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