Reallabore: Welche Perspektiven hat die Forschungsinfrastruktur für Open Innovation und Citizen Science?

von Birgit Fingerle

Reallabore sind in den vergangenen fünf Jahren immer beliebter geworden. Sie bilden neue strukturierte Formen der Kooperation von Akteuren aus Wissenschaft und Gesellschaft. Mit ihnen wird ein offener Forschungs-, Lern- und Gestaltungsraum geschaffen, in dem neue Ideen durchdacht, erlebt sowie ausgetestet werden. Diese beziehen sich zumeist auf einen bestimmten geographischen Raum, wie eine Stadt oder einen Stadtteil. Reallabore übertragen den Labor-Begriff aus den Naturwissenschaften auf die Analyse von Prozessen in Gesellschaft und Politik und stellen ein Forschungskonzept dar. Das gegenseitige Lernen in einem experimentellen Umfeld steht dabei im Vordergrund.

In Deutschland wurden bereits zu unterschiedlichsten Themen Reallaborprojekte gestartet, etwa zu nachhaltiger Entwicklung, Stadtentwicklung, erneuerbarer Energieversorgung oder Sharing. Reallabore werden häufig im Rahmen von Drittmittelprojekten eingerichtet. Deutlich wird die vorherrschende Dynamik im Bereich der Reallaborforschung auch in der derzeit vorhandenen Reihe an Förderprogrammen auf Landes- und Bundesebene. Baden-Württemberg ist das erste Bundesland, das Reallabore auf breiter Basis fördert. Gestärkt werden Reallabore auch durch Netzwerkstrukturen, wie das neu geschaffene Netzwerk Reallabore der Nachhaltigkeit des Karlsruher Instituts für Technologie, des Wuppertal Instituts, der Leuphana Universität Lüneburg und des Ecological Research Network (Ecornet).

Wie können Reallabore weiter florieren?

Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Wuppertal Instituts, das maßgeblich das Reallabore-Format mitgestaltet und geprägt hat, gaben jüngst Antworten zu den Perspektiven von Reallaboren für die zukünftige Forschung.

Im “In Brief – Reallabore – Perspektiven für ein Forschungsformat im Aufwind” (PDF) stellen sie drei Themen in den Fokus. Eins davon ist die Besinnung auf die Kerncharakteristika von Reallaboren.

Open Innovation und Citizen Science im Reallabor

Idealtypisch werden in einem Reallabor und den in seinem Rahmen durchgeführten Realexperimenten die folgenden Prozessschritte durchlaufen, häufig mehrfach und in flexibler Reihenfolge:

  • Co-Design: Transdisziplinäre Teams aus Wissenschaft und Praxis werden gebildet, die sich gemeinsam über eine Problemdefinition verständigen, eine thematische und räumliche Eingrenzung vornehmen sowie eine Analyse des Systems und die Generierung von Ideen für Interventionen (Realexperimente).
  • Co-Produktion: Es wird über Interventionsideen entschieden, und sie werden umgesetzt; eine Reflexion und Nachsteuerung der in der Umsetzung befindlichen Interventionsideen finden zyklisch statt, Zwischenergebnisse werden gegebenenfalls in der Praxis angewendet.
  • Co-Evaluation: Konkrete Ergebnisse werden erfasst, gemeinsam interpretiert und in Wissenschaft und Praxis transferiert.

Reallabore stellen somit ein Ökosystem für die Durchführung von Open Innovation dar. Gleichzeitig findet in ihnen das offene Innovieren wissenschaftlicher Methoden statt. Insofern stellen Reallabore zugleich ein Format für die praktische Ausübung von Citizen Science dar.

Mehr Kapazitäten erforderlich

Laut den Autorinnen und Autoren des Wuppertal Instituts ist ein weiterer Kapazitätsaufbau im Wissenschaftssystem notwendig, um die Reallabor-Forschung zu etablieren. So bedürfe es methodischer Standards, Verfahren der Qualitätssicherung, Trainings- und Qualifizierungsmaßnahmen (“Reallabor-Akademie”) sowohl für die Akteure aus der Wissenschaft als auch aus der Praxis. Daher sollte neben den entstandenen und neu entstehenden Förderlinien auch darauf geachtet werden, langfristige Kapazitäten aufzubauen und Förderbedingungen zu schaffen, die längere und flexiblere Förderungen ermöglichen.

Reallabore als Forschungsinfrastrukturen

Reallabore sollten des Weiteren als Forschungsinfrastrukturen etabliert werden: Durch einen langfristig angelegten Aufbau von Ressourcen könnte auch das für die Forschung in Reallaboren wichtige Beziehungs- und Vertrauenskapital zwischen wissenschaftlichen und nicht-wissenschaftlichen Akteuren aufgebaut werden. Nur durch langfristigen Ressourcenaufbau könnten langjährige Veränderungsprozesse sinnvoll und kontinuierlich in Reallaboren angestoßen und begleitet werden. Dafür braucht es neben entsprechenden Förderprogrammen das langfristige Commitment von Wissenschaftseinrichtungen (Hochschulen, außeruniversitären Forschungseinrichtungen), die sich langfristig mit Partnern in Reallaboren einlassen.

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Birgit Fingerle ist Diplom-Ökonomin und beschäftigt sich in der ZBW unter anderem mit Innovationsmanagement, Open Innovation, Open Science und aktuell insbesondere mit dem "Open Economics Guide". (Porträt: Copyright

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