Interview: Open Access-Preprints werden häufiger zitiert und geteilt

im Interview mit Nicholas Fraser

In einer kürzlich veröffentlichten Studie (PDF) analysierte ein Forscherteam von ZBW – Leibniz-Informationszentrum Wirtschaft und GESIS – Leibniz-Institut für Sozialwissenschaften, ob Preprints mit einer Steigerung der Zitationen und verstärktem Sharing von Zeitschriftenartikeln einhergehen. Nicholas Fraser, Postdoc an der ZBW, erläutert uns die Ergebnisse.

Was war das Thema Eurer kürzlich veröffentlichten Forschung zu Preprints?

Unsere neue Studie wurde im Rahmen des Projekts “OASE” durchgeführt, in dem wir untersuchen, wie der offene Zugang zu wissenschaftlichen Publikationen deren Impact in Form von Zitationen oder Indikatoren für das Engagement auf Online-Plattformen (zusammenfassend als “Altmetrics” bezeichnet) beeinflusst.
Mit dieser Studie wollten wir feststellen, ob Preprints als eine Form des Open Access mit vermehrten Zitationen und Altmetric-Indikatoren verbunden sind und welches mögliche Einflussfaktoren hierfür sind. Ähnliche Studien wurden zuvor bereits durchgeführt, aber bei ihnen stand arXiv im Mittelpunkt, das ein etabliertes Preprint-Repository in der Physik und Mathematik ist.

Die Ergebnisse wurden noch nicht auf andere Forschungsbereiche übertragen, in denen die Hinterlegung von Preprints eine relativ neue Praxis ist. Wir haben uns entschieden, dies zu testen, indem wir bioRxiv betrachtet haben, einen schnell wachsenden Preprintserver für Forschende in den Biowissenschaften.

Was passiert also, wenn Zeitschriftenartikel als erstes als Preprints veröffentlicht werden?

Es gab zwei Haupteffekte, die wir in unserer Studie beobachtet haben. Der erste ist, dass ein Preprint, wenn er auf bioRxiv veröffentlicht wird, stark online verbreitet wird (zum Beispiel auf Social Media, wie Twitter). Überraschenderweise haben wir auch festgestellt, dass Preprints oft direkt in der wissenschaftlichen Literatur zitiert werden, obwohl sie nie von einem Peer-Review-Verfahren einer Zeitschrift “gebilligt” wurden. Diese Ergebnisse können zu Diskussionen über die Rolle des Peer Review für die Sicherung der Integrität wissenschaftlicher Leistungen beitragen.

Als zweiten Haupteffekt haben wir beobachtet, dass sobald ein Preprint einmal im Peer Review begutachtet und in einer Zeitschrift veröffentlicht wurde, der Zeitschriftenartikel in der Folge mehr Zitate und mehr Online-Aufmerksamkeit erhält als Artikel, die zur gleichen Zeit und in denselben Zeitschriften veröffentlicht wurden, aber nie als Preprint eingereicht wurden. Einige der bisherigen Studien zu arXiv haben gezeigt, dass dieser “Zitiervorteil” ein kurzlebiger Effekt ist, bei dem die Zitationsraten von Artikeln, die als Preprints eingereicht wurden, nur einen kurzfristigen Anstieg der Zitationen erhalten, aber langfristige Zitierraten keinen Unterschied zeigen. In unserer Studie haben wir einen anderen Effekt gesehen: sogar drei Jahre nach der Veröffentlichung in einer Zeitschrift blieben die Zitationsraten derjenigen Paper, die als erstes auf bioRxiv veröffentlicht worden waren, um mehr als fünfzig Prozent höher als derjenigen, die es nicht waren.

Was habt Ihr noch herausgefunden?

Eine Reihe weiterer interessanter Ergebnisse sind aus unserer Studie hervorgegangen. Wenn wir zum Beispiel Indikatoren für das Online-Sharing betrachten, so haben wir festgestellt, dass Preprints und die damit verbundenen Zeitschriftenartikel ähnlich oft auf Twitter und in Blogs geteilt werden, aber Preprints in allgemeinen Nachrichtenartikeln und auf Wikipedia deutlich weniger genannt wurden als Zeitschriftenartikel. Dies könnte man so interpretieren, dass Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die Ergebnisse in “informellen” sozialen Netzwerken gerne teilen, aber dass “formale” Medien stärker darauf achten, nur Peer-Review-Forschung zu teilen.

Wir haben auch versucht, andere Faktoren zu erfassen, die das Verhältnis zwischen dem Preprint-Status eines Artikels und seinen Zitationen oder Altmetrics beeinflussen könnten, wie zum Beispiel die Position oder das Land einer Autorin beziehungsweise eines Autors. Dabei sahen wir eine Reihe unerwarteter Ergebnisse. So waren weibliche Autoren in bioRxiv-Einreichungen im Vergleich zu Papers, die nicht bei bioRxiv eingereicht wurden, unterrepräsentiert. Der Grund dafür ist noch nicht klar, sollte aber Gegenstand zukünftiger Forschung sein. Letztendlich haben wir festgestellt, dass selbst unter Berücksichtigung all dieser Faktoren Artikel, die als Preprints eingereicht wurden, immer noch viel stärker zitiert und online geteilt wurden als solche, die nicht als Preprints eingereicht wurden.

Können die Ergebnisse verallgemeinert werden? Können sie auf andere Forschungsdisziplinen übertragen werden?

Im Allgemeinen stimmen unsere Ergebnisse mit früheren Studien auf Basis von arXiv überein und zeigen, dass Papers mehr Zitationen erhalten, wenn sie als Preprints veröffentlicht werden. Es würde allerdings zu kurz greifen, wenn ich sagen würde, dass dies für alle Forschungsdisziplinen verallgemeinert werden kann, da verschiedene Communities sehr unterschiedliche Veröffentlichungs- und Austauschverhaltensweisen haben. Sicherlich könnte es ein Fokus der zukünftigen Arbeit sein, die Auswirkungen auf andere Themenbereiche und Preprint-Repositorien zu untersuchen. In den letzten Jahren ist die Zahl der neuen Preprint-Repositorien explodiert, vor allem getrieben durch das Open Science Framework (OSF). Mit zunehmendem Reifegrad werden diese Repositorien in den kommenden Jahren zu interessanten Zielen für Bibliometrieforschende werden.

Wie stark ist der Einfluss des Forschungsthemas? Werden Preprints zu topaktuellen Themen mehr zitiert oder erwähnt?

Wir haben den Einfluss von “heißen” Themen in dieser Forschungsarbeit nicht speziell untersucht, obwohl wir uns mit der Rolle des Journal Impact Factors als Einfluss für Zitationen und Altmetrics beschäftigt haben. Man könnte erwarten, dass spannende neue Themen tendenziell in den Zeitschriften mit dem höchsten Impact veröffentlicht werden, die ihrerseits versuchen, die neuartigsten Ergebnisse auszuwählen. So könnten die Vorteile von Preprints bei den Zitationen und den Altmetrics vor allem von diesen wenigen Zeitschriften mit dem höchsten Impact getrieben werden. Unsere Ergebnisse bestätigten dies jedoch nicht und zeigten, dass der Effekt im Allgemeinen für das gesamte Spektrum der Zeitschriften gilt. Aus unseren Ergebnissen geht deutlich hervor, dass die Veröffentlichung eines Preprints die Zeit bis zur öffentlichen Verbreitung einer Studie im Vergleich zum traditionellen Publikationspfad der Zeitschriften deutlich beschleunigt. In schnelllebigen, “heißen” Themenbereichen werden Forschende dies sicherlich nutzen wollen, um ihre Entdeckungen so früh wie möglich für sich zu beanspruchen, und so können Preprints eine Auswahl der innovativsten oder hochwertigsten Forschung von Autorinnen und Autoren darstellen. Diese potenzielle Verzerrung bei der Auswahl von Artikeln, die Forschende als Preprints einreichen, zu berücksichtigen, wird auch eine Herausforderung für die zukünftige Forschung darstellen.

Weiterführende Informationen

Preprints boost article citations and mentions – The benefits of showing your hand early.

Unsere Fragen wurden von Nicholas Fraser beantwortet.

Nicholas Fraser ist Postdoc in der Web-Science-Forschungsgruppe der ZBW – Leibniz-Informationszentrum Wirtschaft. Seine aktuelle Forschung konzentriert sich auf die Messung des Wandels zu Open Access mit Hilfe von bibliometrischen und altmetrischen Indikatoren.

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