Horizon Report 2019: Wie neue Technologien Lernen und Lehre innovieren

von Birgit Fingerle

Der Educause Horizon Report 2019 Higher Education Edition wurde Ende April 2019 veröffentlicht. Obwohl der Name des Berichts leicht verändert wurde, wurde sein Format überwiegend ähnlich zu früheren Ausgaben beibehalten: Zukunftsprognosen hinsichtlich Trends, Herausforderungen und technologischen Entwicklungen mit Auswirkungen auf das Hochschulwesen. Neu eingeführt wurde dieses Mal ein zusätzlicher Abschnitt mit dem Namen “Fail or Scale”, in dem frühere Panel-Prognosen überprüft werden und in dem geklärt wird, warum einige von ihnen (noch) nicht wie prognostiziert eingetreten sind.

Viele Themen des aktuellen Reports wurden bereits im Report 2018 behandelt, manchmal wurde ihr Zeithorizont neu bewertet. In diesem Blogpost werfen wir einen Blick auf eine Auswahl der Themen, die für Bibliotheken und die Open-Science-Bewegung am interessantesten erscheinen.

Neugestaltung von Lernen, Lehren und Rollen

Als einer der mittelfristigen Trends (die die Einführung von EdTech in der Hochschulbildung in den nächsten drei bis fünf Jahren vorantreiben) wird das “Fördern von Innovationskulturen” genannt. Dieser Trend zielt darauf ab, eine Innovationskultur für die Lernenden zu etablieren und sie besser auf den Arbeitsplatz vorzubereiten, indem sie Fähigkeiten jenseits konventioneller Fachkenntnisse erlernen. Einrichtungen wie Venture Labs, Inkubatoren und andere Formen von Geschäftspartnerschaften fördern auch die Zusammenarbeit mit der Industrie und ermöglichen es den Studierenden, über das traditionelle Studium hinaus zu lernen.

Ein kurzfristiger Trend, der in dem Bericht enthalten ist (der die Einführung von EdTech in der Hochschulbildung in den nächsten ein bis zwei Jahren vorantreiben wird), ist die “Neugestaltung von Lernräumen”. Bei diesem Trend geht es um die Gestaltung und Bewertung von Räumen wie Seminarräumen, Bibliotheken und Gemeinschaftsräumen, in denen Lernen stattfindet, um aktives Lernen und Zusammenarbeit zu ermöglichen. Um erfolgreich zu sein, sind nicht nur Investitionen erforderlich, sondern auch die Einbeziehung von Interessengruppen und das Überdenken pädagogischer Ansätze. Dieser kurzfristige Trend der physischen Lernraumgestaltung könnte dazu führen, dass sich ein weiterer Trend in Zukunft auf virtuelle Lernräume konzentriert.

Die “sich mit EdTech-Strategien verändernden Rollen des Lehrpersonals” werden als schwierige Herausforderung angesehen. Die Einbindung von Dozentinnen und Dozenten in die Auswahl und Implementierung von Bildungstechnologien kann mit einer Reihe von Herausforderungen verbunden sein, zum Beispiel wenn es um die Implementierung einer neuen Kursunterlagenplattform oder um den Aufbau eines völlig neuen Programms unter Einsatz von kompetenzbasiertem Lernen geht. Dennoch sollte das Lehrpersonal in die Bewertung, Planung und Umsetzung einbezogen werden, um Hindernisse hinsichtlich der Akzeptanz zu überwinden. Darüber hinaus stellten die Teilnehmenden des Panels fest, dass Training und Weiterbildung angeboten werden sollten, um die Einführung von Technologien zu fördern.

Die genannten Trends und Herausforderungen sind auch mit der verzwickten Herausforderung verbunden, “die Praxis des Lehrens zu überdenken”. Da studentenzentrierte Ansätze an Bedeutung gewinnen und sich die Lehrmethoden weiterentwickeln, muss auch die Rolle von Dozentinnen und Dozenten aktualisiert werden, die immer mehr zu Moderatorinnen und Kuratoren werden. Dozentinnen und Dozenten benötigen Zugang zu nachhaltiger Unterstützung und zu den Tools und Ressourcen, die für die Gestaltung einer studentenzentrierten Umgebung erforderlich sind. Andernfalls müssen sie diese selbst erstellen.

Verbesserung der digitalen Kompetenzen und Schließen der Leistungslücke

Es gibt viele Herausforderungen, die die Technologieeinführung in Hochschulen behindern und die darauf warten, gelöst zu werden. Als lösbare Herausforderung wird die Verbesserung der digitalen Kompetenz (“Digital Fluency”) genannt. Dies bezieht sich auf die Fähigkeit, digitale Tools und Plattformen für die Kommunikation, das Design, die Entscheidungsfindung und die Problemlösung zu nutzen. Sich darauf zu beschränken, grundlegende Kenntnisse über den Zugang zu und die Bewertung von Informationen zu vermitteln, reicht nicht mehr aus. Lernende müssen neue Fähigkeiten erwerben, um sich sinnvoll mit neuen Tools auseinanderzusetzen und die digitale Umgebung vollständig zu verstehen. Auch sollten Institutionen ihre strategischen Technologien nutzen, um kritisches Denken und komplexe Problemlösungen zu unterstützen.

Dies hängt auch mit der schwierigen Herausforderung zusammen, die sich auf den Erfolg der Studierenden in der Hochschulbildung konzentriert und die als “Leistungslücke” (“Achievement Gap”) bezeichnet wird. Da die Kosten für Lernmaterialien auch den Erfolg von Studierenden negativ beeinflussen können und so zur Leistungslücke beitragen, spielen Open Educational Resources (OER) eine wichtige Rolle. Außerdem werden OER-Materialien immer ausgereifter. Um Studierende zu unterstützen, setzen Hochschulen auch adaptive Lehrmaterialien, personalisierte Lernpfade und digitale Tutorenlösungen ein. Dennoch ist das Schließen der Leistungslücke nach wie vor eine schwierige Herausforderung, da der erfolgreiche Abschluss des Studiums auch von anderen Faktoren beeinflusst wird.

Wichtige Entwicklungen bei Bildungstechnologien

Der Bericht geht auch ausführlich auf eine Reihe von Entwicklungen im Bereich der Bildungstechnologien ein. Zu diesen gehören:

  • Mobiles Lernen (Zeithorizont bis zur Einführung – ein Jahr oder weniger): Da mobile Geräte immer erschwinglicher und leistungsfähiger werden, gibt es mehr Möglichkeiten für fesselnde und kollaborative Lernerfahrungen.
  • Mixed Reality (Zeithorizont bis zur Einführung – zwei bis drei Jahre): Während die Kosten für die Nutzung dieser Technologien sinken, ist ihre Nutzung in der Bildung auch noch dadurch eingeschränkt, dass sie oft nur eine geringe Anzahl von Nutzerinnen und Nutzern zulassen. Institutionen, die MR-Technologie auf dem Campus einsetzen, erreichen die meisten Nutzerinnen und Nutzer damit, wenn sie diese über ihre Bibliothek oder einen anderen für Studierende offenen Bereich auf dem Campus, wie einen Makerspace oder ein Medienlabor, bereitstellen. So bieten beispielsweise die North Carolina State University Libraries die Ausstattung und die Räume, in denen sie genutzt werden können. Augmented und Mixed Reality ist auch Thema im neuen Abschnitt “Fail or Scale” des Reports, da diese nicht so schnell in der Hochschulrealität angekommen sind, wie es in früheren Reports prognostiziert wurde.
  • Künstliche Intelligenz (Zeithorizont bis zur Einführung – zwei bis drei Jahre): Während die Skepsis gegenüber der Anwendung von KI im Bildungsbereich nach wie vor besteht, werden mehr KI-Anwendungen im Bildungsbereich eingesetzt. Aber Studierende brauchen noch mehr Möglichkeiten, um mit KI zu arbeiten und Erfahrungen in der Nutzung für ihre zukünftigen Arbeitsplätze zu sammeln.
  • Blockchain (Zeithorizont bis zur Einführung – vier bis fünf Jahre): Blockchain könnte lebenslang Lernenden die Möglichkeit bieten, ihre Kenntnisse und Fähigkeiten genau zu dokumentieren, die nicht nur die formale akademische Bildung, sondern auch Badges, Referenzen, MOOC-Zertifikate und branchenübliche Zertifizierungen umfassen.
  • Virtuelle Assistenten (Zeithorizont bis zur Einführung – vier bis fünf Jahre): In Zukunft werden virtuelle Assistenten voraussichtlich in verschiedenen Lernszenarien für Forschung, Tutorenprogramme, Schreiben und Überarbeiten eingesetzt werden. Von virtuellen Tutorinnen und Moderatoren wird erwartet, dass sie bald in der Lage sein werden, maßgeschneiderte und dialogorientierte Lernerfahrungen zu bieten.

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Birgit Fingerle ist Diplom-Ökonomin und beschäftigt sich in der ZBW unter anderem mit Innovationsmanagement, Open Innovation, Open Science und aktuell insbesondere mit dem "Open Economics Guide". (Porträt: Copyright

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