GBV-Verbundkonferenz 2018: Wie Bibliotheken die digitale Transformation aktiv mitgestalten

von Karin Wortmann

Zum Auftakt der 22. Verbundkonferenz des Gemeinsamen Bibliotheksverbundes (GBV) diskutierten Vertreterinnen und Vertreter aus Wissenschaft, Politik und Bibliothek die Perspektiven, die sich im Zuge der digitalen Transformation für Bibliotheken ergeben. Gastgeber der zweitägigen Tagung, die vom 29. – 30.8.2018 in Kiel stattfand, waren diesmal die ZBW – Leibniz-Informationszentrum Wirtschaft und die Universitätsbibliothek Kiel.

Der Wissenschaftsjournalist Jan-Martin Wiarda, Moderator der Podiumsdiskussion, verknüpfte die Frage nach zukünftigen Wahrheiten mit der Veränderung von Glaubenssätzen und bat die sechs Teilnehmerinnen und Teilnehmer zur Diskussion auf die Bühne des Audimax in Kiel. Zum Einstieg wurde jeweils eine zentrale These erläutert.

Chancen des Wandels aufzeigen und die Menschen mitnehmen

Dr. Oliver Grundei, Staatssekretär für Wissenschaft und Kultur im Ministerium für Bildung Wissenschaft und Kultur des Landes Schleswig-Holstein, bezeichnete den Digitalen Wandel als größte Herausforderung des Jahrhunderts. Nach seiner Auffassung sind Politik und Wissenschaft gefordert, die Menschen bei diesem Wandel mitzunehmen und auch die Chancen aufzuzeigen. Maßnahmen, wie die Schaffung eines Digitalrates auf Bundesebene oder eines Digitalisierungskabinetts in Schleswig-Holstein, seien dabei mehr als eine „Marketing-Aktion“, sondern setzen Zeichen für die Menschen und unterstützen damit den Prozess der Veränderung.

Hohe Veränderungsgeschwindigkeit als Problem

Dr. Rolf Greve, Senatsdirektor der Behörde für Wissenschaft, Forschung und Gleichstellung der Freien und Hansestadt Hamburg, unterstrich die hohe Geschwindigkeit, mit der sich die Digitale Transformation vollziehe. Die Politik solle Rahmenbedingungen hierfür schaffen. Die Veränderung an sich sei nicht das Problem, sondern die Geschwindigkeit, mit der diese voranschreite. Es bestehe die Gefahr, dass Bibliotheken auf der Strecke blieben und von anderen Institutionen vom Markt verdrängt würden. Es sei erforderlich, auf europäischer Ebene gemeinsame Ideen voranzutreiben und nicht auf andere zu warten. Die besten Ideen sollten sich durchsetzen, um am Markt zu reüssieren.

Digitale Transformation macht lokale Informationsversorgung überflüssig

Prof. Dr. Stefan Schmunk von der TU Darmstadt wies darauf hin, dass Bibliotheken durch den digitalen Wandel zukünftig für die lokale Informationsversorgung überflüssig würden. Als Beispiel nannte er illegale Plattformen wie Sci-Hub und Library Genesis. Selbst Wissenschaftler amerikanischer Universitäten, die auch legalen Zugriff auf die Publikationen hätten, nutzten die illegalen Plattformen. Grund sei der einfache Zugang über Suchmaschinen, die Forschenden ohne Umwege mit einem Klick den Zugang zu den gesuchten Publikationen ermöglichten. Im Zuge dieser Disruption verändere sich das Bild, das wir von Bibliotheken hätten, alte Gewissheiten sowie die zentrale Rolle der Bibliotheken in der Informationsversorgung. Bibliotheken bekämen Konkurrenz und müssten darauf reagieren.

Imageproblem von Bibliotheken

Elisabeth Müller, Direktorin der SUUB Bremen, attestierte den Bibliotheken im Rahmen der Digitalisierung den Aufbau eines profunden Know-hows und in Bezug auf die Strukturierung von Wissen traditionell gewachsene Kernkompetenzen. Allerdings sah sie bei den Bibliotheken ein Imageproblem: Bibliotheken würden noch immer zu sehr mit dem Buch verbunden. Neu erworbene, digitale Kompetenzen, zum Beispiel bei der Suchmaschinentechnologie, würden der Rolle der Bibliotheken in der öffentlichen Wahrnehmung nicht zugeschrieben. Die Frage sei, wie Bibliotheken ihr Wissen und ihre Kompetenz an ihre Nutzerinnen und Nutzer vermitteln könnten. Sie befürwortete eine aktive Kommunikation mit den Zielgruppen, indem die Bibliothek zum Beispiel aktiv in Veranstaltungen bei Forschung und Lehre gehe. Diese neuen Aufgaben verändern auch die Anforderungen an Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen. So seien unter anderem didaktische Fähigkeiten und die Bereitschaft für Präsentationen erforderlich. In der bibliothekarischen Ausbildung werde das derzeit zu wenig akzentuiert.

Bibliotheken begleiten den Forschungsprozess

Katrin Stump, Direktorin der UB Braunschweig, unterstrich in ihrem Eingangsstatement die Rolle von Bibliotheken als Partnerinnen im Forschungsprozess. Bibliotheken könnten Forschende in der Organisation unterstützen und den Forschungsprozess begleiten. Gleichzeitig könnten gezielt Werkzeuge mit der Forschungsinformatik entwickelt werden. Wünschenswert sei zum Beispiel die Einbeziehung der Bibliothek in einen Sonderforschungsbereich der Universität von Beginn an. Gleichzeitig mahnte Frau Stump Veränderungen im bibliothekarischen Ausbildungsbereich an, die Themen wie Data Science und Data Literacy mehr in den Fokus nehmen sollten. Der Bereich der Informationskompetenzvermittlung sei in Bibliotheken bereits angekommen. Lernmanagementsysteme würden intensiv weiterentwickelt. Universitäten müssten diese Angebote jedoch noch stärker nutzen. Information-Literacy-Experten an der UB Braunschweig seien grundsätzlich zertifiziert und didaktisch geschult.

Rahmenbedingungen erschweren einen schnellen Wandel

Prof. Dr. Klaus Tochtermann, Direktor der ZBW, griff noch einmal das Thema Geschwindigkeit auf. Seine These: Wandlungsprozesse außerhalb der Bibliothekswelt seien wahnsinnig schnell. Bibliotheken agierten beziehungsweise reagierten aufgrund ihrer institutionellen Rahmenbedingungen dagegen maximal langsam. Innerbetrieblich seien Bibliotheken digital schon sehr gut aufgestellt. Nach außen müssten Bibliotheken noch intensiver mit der Wissenschaft zusammenarbeiten. Zu den Publikationen, die immer schon Thema der Bibliotheken waren, kämen zukünftig große Themenfelder hinzu. Forschungsdaten, Open Educational Resources und Software seien in der Digitalen Welt zusammen mit den Publikationen ein Paket im Forschungsprozess. Bibliotheken müssten in der Lage sein, all diese Bereiche zu verarbeiten, sonst würden Angebote außerhalb der Bibliotheken genutzt. Das werde in Bibliotheken so auch bereits gehört und verstanden. Man dürfe aber nicht nur innerbibliothekarische Abläufe betrachten, sondern Bibliotheken müssten sich auch außerhalb optimieren, wie zum Beispiel die Anknüpfung an die Systeme der Uni, um unter anderem laufende FID-Anträge transparent zu machen.

Wie können alle beim Transformationsprozess mitgenommen werden?

In der folgenden Diskussion wurde immer wieder die Frage thematisiert, wie Bibliotheken möglichst viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bei diesem Transformationsprozess mitnehmen könnten. Einigkeit herrschte darüber, dass der Mensch weiter im Mittelpunkt stehen werde. Dabei komme der Kommunikation und der Vermittlung von Veränderungen eine große Bedeutung zu. Möglichkeiten zur Weiterbildung und zur Kooperation müssten aufgezeigt werden. Gleichzeitig erfordere es auch, dass die bisherigen Ausbildungsgänge im Bibliothekswesen zukunftsträchtig gestaltet würden. Neben den klassischen bibliothekarischen Fähigkeiten würden zusätzliche Kompetenzen in Feldern wie Informatik, Forschungsdatenmanagement, Didaktik und Open Science wichtig. Ein lebenslanges Lernen und der Umgang mit Veränderungen werden zur Normalität. Aus dem Publikum kam die Forderung nach flexibleren Strukturen innerhalb des Tarifrechts, da die momentanen Regelungen im TV-L den veränderten Anforderungen an Qualifikationen nicht gerecht würden.

Aktiv vorangehen und Zukunftsthemen setzen

Um als Partner in Forschung und Lehre wahrgenommen und in die Forschungsprozesse eingebunden zu werden, sollten Bibliotheken aktiv auf Universitätsleitungen und auf die Forschung zugehen und selbstbewusst Themen der Zukunft gestalten. Als ein gelungenes Beispiel nannte Prof. Dr. Klaus Tochtermann den von der ZBW 2011/2012 initiierten Leibniz-Forschungsverbund Science 2.0. Der transdisziplinäre Leibniz-Forschungsverbund Science 2.0 untersucht die Auswirkungen von Science 2.0 auf Wissenschaft und Gesellschaft. Im Mittelpunkt stehen dabei Fragestellungen zu neuen Arbeitsgewohnheiten, den Technologieentwicklungen und der Nutzungsforschung.

Expertengremien, wie zum Beispiel der Wissenschaftsrat, hätten in den Positionspapieren den Weg aufgezeigt, und es sei nun an der Zeit, konkrete Projekte folgen zu lassen, mahnte Dr. Rolf Greve. Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen müssten weiterqualifiziert werden und über Bibliotheken hinweg mit wissenschaftlichen Partnern zusammenarbeiten. Auch aus den Ministerien heraus müsse man auf andere zugehen. In Hamburg gebe es bereits drei zukunftsweisende Projekte, so zum Beispiel die Hamburger Informatikplattform ahoi.digital. Dort vertiefen der Fachbereich Informatik der Universität Hamburg, die HAW, die Technische Universität Hamburg (TUHH) und die Hafencity Universität ihre Zusammenarbeit in der Bildung, der Forschung und im Technologietransfer. Ein weiteres Beispiel sei das Projekt Hamburg Open Science (HOS): ein geplantes Internetportal, das wissenschaftliche Publikationen, Forschungsdaten und Informationen zu Forschungsprojekten, Open Access und Open Science zentral verfügbar macht. Ein drittes Projekt sei die Hamburg Open Online University (HOOU), das die Möglichkeiten der digitalen Technologien für digitale Lehrangebote ergänzend zur klassischen Lehre nutzt. Zielgruppen seien hier nicht nur Studierende, sondern auch andere interessierte Gruppen. Somit sei dieses Projekt auch ein Transfer in die Gesellschaft hinein.

Im Hinblick auf die Förderung von wissenschaftlichen Projekten, die in Deutschland vor allem mit der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) bereits gut organisiert seien, wurde der Wunsch von Frau Stump an die Politik gerichtet, über Ländergrenzen hinweg Strukturen zu schaffen, die die Nachhaltigkeit von Projekten gewährleisteten. Ergänzend forderte Prof. Dr. Klaus Tochtermann eine ausreichende Förderung zu Beginn. Zu viele Projekte begännen mit Implementierungsvorhaben. Es sei wichtig, ergänzend Strategieprojekte zu finanzieren.

Die Medien ändern sich, die Kernkompetenzen bleiben

Nachdem sich die Diskussion zunächst auf wissenschaftliche Bibliotheken konzentriert hatte, kam aus dem Publikum der Hinweis, Bibliotheken der Zukunft auch als Lern- und Begegnungsorte zu begreifen. Mit den Veränderungen durch die Digitalisierung im Bildungsbereich, hin zu orts- und zeitunabhängigen Verfügbarkeit von Inhalten, zu Kollaboration und Partizipation in Lehr- und Lernkontexten, veränderten sich auch die Anforderungen an den Lernort Bibliothek. Öffentliche Bibliotheken böten Zugang zu Lehr- und Lernmaterialien und unterstützten Menschen in allen Belangen zu Aus- und Weiterbildung. Gleichzeitig könnten sich die Menschen dort begegnen, miteinander kommunizieren und den sozialen Austausch pflegen.

Zum Abschluss der Podiumsdiskussion unterstrichen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer, dass Bibliotheken ihre Kernkompetenz in Erschließung und Bereitstellung von Ressourcen auch im digitalen Zeitalter behielten – nur die Medien seien nun andere. Der Transformationsprozess erfordere eine starke tätigkeitsspezifische Aus- und Weiterbildung, IT-Kenntnisse, eine hohe Motivation der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und eine enge Kooperation mit Forschung und Lehre. Bibliotheken müssten sich in diesem Sinne als lernende Organisationen verstehen und sich weiterentwickeln mit allen, die sich darin bewegten. Sie seien Lern-, Arbeits- und Begegnungsorte, in denen der Mensch weiterhin im Mittelpunkt stehe.

Diesen Blogpost teilen:

Fehlende deutsche Übersetzung

Open Access goes Barcamp, Teil 2: Wie man Vernetzung online gestalten kann #OERcamp 2020: Open Educational Resources erlebbar machen Urteil zum Facebook-Button: Was bedeutet die Entscheidung für Seitenbetreiber? [Interview]

View Comments

Horizon Report 2018: Wie sich Hochschulen an die Zukunft der Arbeit anpassen
Nächster Blogpost