Praxis des Forschungsdatenmanagements: Ergebnisse des IFLA-Projekts “Data Curators”

von Anna Maria Tammaro and Krystyna Matusiak

In einem Projekt der IFLA-Sektion “Library Theory and Research” (LTR) wurde der Beruf des „Data Curators“ analysiert. Dr. Anna Maria Tammaro und Dr. Krystyna Matusiak beantworteten unsere Interviewfragen, um uns über die Projektergebnisse zu informieren.

Was war das Ziel der Studie?

Das Projekt “Data curator: who is s/he?” der IFLA-Sektion Library Theory and Research (LTR) hatte zum Ziel, die Rollen, Verantwortlichkeiten, Aktivitäten und Interessen von praktizierenden Datenkuratoren auf der ganzen Welt zu identifizieren. Die Hauptziele des Projekts waren:

  • Die Erstellung eines Vokabulars (eine Liste von Begriffen in hierarchischer Struktur) und eventuell einer Ontologie unter Verwendung einer formalen Darstellung einer Reihe von Begriffen.
  • Die Rollen und Verantwortlichkeiten des Berufsprofils zu verstehen.

Der Begriff “Data Curator” wurde vor 25 Jahren eingeführt und im Zusammenhang mit der digitalen Archivierung verwendet. Die datenintensive Forschungslandschaft, die Anforderungen der Förderer und der Trend zu Open Science haben das Verständnis des Konzepts über die Archivierung hinaus erweitert und die Aufmerksamkeit auf andere Aspekte des Datenmanagements und der Wiederverwendung verlagert. Sie schuf auch einen Bedarf an Informationsprofis mit einem breiteren Spektrum an Verantwortlichkeiten und Kompetenzen. Während der Begriff “Data Curator” vor allem in den USA immer noch verwendet wird, sind neue Berufsbezeichnungen entstanden, als Bibliothekare und andere Datenexperten begannen, mit Forscherinnen und Forschern an verschiedenen Punkten des Datenlebenszyklus zusammenzuarbeiten. Das Forschungsdatenmanagement (RDM) hat sich als neues Feld herausgebildet, obwohl es immer noch eine Herausforderung ist, eine umfassende Reihe von Praktiken zu identifizieren, die es als kohärente Disziplin definieren. Das Hauptziel des IFLA-LTR-Projekts war es, die Rollen und Verantwortlichkeiten von Datenkuratoren und RDM-Profis im internationalen und interdisziplinären Kontext zu identifizieren. Die Studie konzentrierte sich auch auf die Terminologie, mit der die neuen Praktiken und neuen beruflichen Rollen beschrieben wurden.

Wie wurde die Studie durchgeführt?

Die Studie wurde mit einer Kombination aus quantitativen und qualitativen Methoden konzipiert. In ihr wurde die Terminologie untersucht, die Stellenbeschreibung analysiert sowie die Wertschöpfung des Datenkurators im Forschungslebenszyklus. Die Studie wurde von September 2015 bis Juni 2017 durchgeführt und bestand aus drei Phasen:

  1. Literaturrecherche und Vokabularanalyse
  2. Inhaltliche Analyse von Stellenanzeigen
  3. Interviews mit Fachleuten aus den Bereichen Datenpflege und Forschungsdatenmanagement

Als erstes hat das Projektteam eine breite, umfassende und systematische Untersuchung der Literatur zum Bereich der Datenkuratierung durchgeführt. Um aus den 120 zusammengetragenen Beiträgen “Schlüsselkonzepte” zu extrahieren, haben wir ein kostenloses Tool namens KD (Keyphrases Digger) verwendet, das an der Universität Trient entwickelt wurde. Während der Forschung hat das Forschungsteam sechs verschiedene Datenkorpora gesammelt und KD wurde mehrmals auf jedem Korpus durchgeführt.

Die quantitative Inhaltsanalyse konzentrierte sich auf Stellenausschreibungen, die aus einer Vielzahl von Stellenangeboten in Bibliotheken und Informationswissenschaften stammen, darunter International Association for Social Science Information Services and Technology (IASSIST) und Code4Lib. Ziel der Inhaltsanalyse war es, die in den ausgeschriebenen Stellen aufgeführten Titel, Rollen, Verantwortlichkeiten, Qualifikationen und Kompetenzen zu untersuchen. Der Datensatz umfasste 441 Stellenanzeigen. Die meisten der analysierten Positionen (73,6%) befanden sich in den USA. Der Datensatz hatte aber auch eine gewisse internationale Abdeckung mit Beiträgen aus 32 Ländern. Die größte Verbreitung kam aus Europa mit 17 europäischen Ländern in der Stichprobe.

In der qualitativen Phase wurden halbstrukturierte Interviews mit Fachleuten durchgeführt, die als Datenbibliothekare, Datenexperten, Datenkuratoren oder Forschungsdatenmanager arbeiten. Ziel der Interviews war es, einen Einblick in die Praxis des Forschungsdatenmanagements zu gewinnen und die Leistungen aus der Perspektive der in diesem Bereich tätigen Fachleute zu betrachten. Die Interviews wurden mit 26 Fachleuten aus Australien, Kanada, den USA und sechs westeuropäischen Ländern geführt.

Was sind Ihre wichtigsten Erkenntnisse zum Forschungsdatenmanagement?

Die Studie ergab eine geringe Übereinstimmung in Bezug auf Wortschatz und Titel für Personen, die an der Bereitstellung von RDM beteiligt sind. Die Variabilität der Titel und die seltene Verwendung des Begriffs “Datenkurator” wurden sowohl bei der inhaltlichen Analyse von Stellenausschreibungen als auch bei qualitativen Daten festgestellt. Die Stellen wurden häufig unter einer Vielzahl von Titeln ausgeschrieben, oft mit zusätzlichen datenbezogenen Aufgaben, wie zum Beispiel Datenwissenschaft oder Datenrecherche. Die Unterschiede in der Terminologie lagen vor allem zwischen dem Verständnis des Datenkurators als einem, der den gesamten Datenmanagementzyklus überwacht, und einer engeren Definition, die sich auf technische Aspekte der Archivierung in den letzten Phasen des Datenzyklus konzentrierte. Die Verwendung des Begriffs “Data Curator” und sein breites Verständnis war bei den US-Fachleuten weit verbreitet, während australische und europäische Teilnehmer eine klare Unterscheidung zwischen Datenkuratoren und Datenmanagerinnen machten und die Begriffe nicht austauschbar verwendeten.

Trotz der Unterschiede im Wortschatz identifizierte die Studie ein Gefühl von einem gemeinsamen Ziel oder sogar einer gemeinsamen Mission unter den Teilnehmerinnen und Teilnehmern. Die Fachleute aus den verschiedenen Institutionen und Ländern betonten, dass ihre Hauptaufgaben darin bestehen, die Forschenden bei der Erfüllung der Anforderungen der Geldgeber zu unterstützen, das Datenmanagement zu verbessern und letztendlich zu einem effizienteren Forschungsprozess und einer besseren Datenqualität beizutragen. Die Arbeit von RDM-Fachleuten bei der Verbesserung der Datenmanagementpraktiken und der Förderung des offenen Zugangs erfolgt auf mehreren Ebenen, angefangen bei einzelnen Forschenden und ihren Teams, über den Aufbau von Netzwerken in ihren Institutionen bis hin zu regionalen, nationalen und internationalen Communities. Das Thema der gemeinsamen Werte und der sich wandelnden Forschungskultur wurde von Teilnehmerinnen und Teilnehmern aus mehreren Ländern diskutiert und zeigte das Aufkommen eines internationalen Verständnisses des RDM-Berufs.

Alle Fachleute, die an dieser Studie teilnahmen, engagierten sich in den Bereichen Beratung, Öffentlichkeitsarbeit und der Befürwortung von Open Access. Eine kleinere Anzahl von Teilnehmerinnen und Teilnehmern unterstützte die Forschenden bei den technischen Aspekten der Datenablage in Repositorien und der Archivierung. Viele Teilnehmerinnen und Teilnehmer beschrieben ihre Rollen und Verantwortlichkeiten im Zusammenhang mit dem Datenlebenszyklus. Beratungs- und Schulungsleistungen finden in der Regel zu Beginn des Zyklus statt und konzentrieren sich auf die Entwicklung von Datenmanagementplänen (DMPs) und Praktiken bei der gemeinsamen Nutzung und Archivierung von Daten. Die technischen Dienstleistungen wurden am Ende des Zyklus in begrenztem Umfang angeboten und umfassten häufig die Bereinigung und Verifizierung von Daten, die Erstellung und Dokumentation von Metadaten, die Aufnahme in Repository-Systeme, die Veröffentlichung von Daten und die Archivierung.

Die Ergebnisse der Studie zeigen, dass RDM eine sich entwickelnde sozio-technische Praxis ist, die nicht nur technische Systeme und Dienste umfasst, die um den Lebenszyklus von Forschungsdaten strukturiert sind, sondern auch eine Reihe von sozialen Aktivitäten und politischen Initiativen. Die Studie identifizierte gemeinsame Themen in den sozialen Aspekten von RDM, insbesondere in Bezug auf die Sensibilisierung für Open Data, die Förderung der Kultur des Datenaustauschs und die Unterstützung der Bedürfnisse von Forscherinnen und Forschern im datenintensiven Umfeld.

Haben Sie in interdisziplinären Zusammenhängen Besonderheiten festgestellt?

Die 26 Teilnehmerinnen und Teilnehmer, die für die Studie gewonnen wurden, arbeiteten in Universitätsbibliotheken, campusweiten Forschungsdatendiensten, Datenarchiven und Forschungszentren. Zwei wurden in Abteilungen oder direkt in Forschungsprojekte eingebunden. Sie arbeiteten mit Forschenden verschiedener Disziplinen in allen drei Hauptbereichen – Natur- und Ingenieurwissenschaften, Sozial- und Geisteswissenschaften. Es gab einige Unterschiede zwischen den Disziplinen in der Art und Weise, wie RDM-Dienste strukturiert und genutzt wurden, aber die Studiendaten wurden nicht ausreichend in Bezug auf interdisziplinäre Aspekte analysiert, um irgendwelche Muster zu diskutieren. Die Studienteilnehmerinnen und -teilnehmer betonten die Wichtigkeit von Fachwissen und Kenntnissen des Forschungsprozesses für die Durchführung fortgeschrittener Datenkurationstätigkeiten.

Was sollte getan werden, um die Verwaltung von Forschungsdaten und Open Data, insbesondere von Bibliotheken, zu fördern?

Die Rolle der wissenschaftlichen Bibliotheken bei der Leitung und Entwicklung von RDM-Diensten ist ein wichtiges Thema dieser Studie. Bibliothekare bieten Trainingserfahrung und einzigartiges Fachwissen in den Bereichen Informationsorganisation, Metadaten und Archivierung. Diese Studie ergab jedoch auch, dass viele Positionen in der Praxis von Nicht-Bibliothekarinnen und -Bibliothekaren besetzt wurden, die aufgrund ihres Forschungshintergrunds, ihrer Kenntnisse der Forschungsmethoden und ihres Fachwissens speziell eingestellt wurden. Diese Erkenntnis hat Auswirkungen auf die Ausbildung zukünftiger Datenexpertinnen und -experten, die möglicherweise technische Fähigkeiten, Expertise in Metadaten- und Informationsorganisationsstandards sowie Kenntnisse des Forschungsprozesses und der Forschungsmethoden kombinieren müssen.

 
 

Unsere Fragen wurden beantwortet von:

Anna Maria Tammaro

Professorin im Auftrag des International Master in Digital Library Learning (DILL), gemeinsamer internationaler Master der Universität Tallinn und der Universität Parma. Sie war Vorsitzende der IFLA-Sektion Library Theory and Research (2014-2017) und der Sektion Bildung und Ausbildung (2007-2009; 2011-2013); außerdem war sie zweimal im IFLA-Verwaltungsrat tätig (2007-2009; 2011-2013). Von 2016 bis 2017 koordinierte sie das IFLA-Projekt “Datenkuratorin: Wer ist sie/er?”.
Dr. Tammaro arbeitet derzeit am europäischen Projekt ROMOR (Research Output Management through Open Access Institutional Repositories in Palestinian Higher Education) und NAVIGATE (Information Literacy: Ein spielbasierter Lernansatz zur Vermeidung von gefälschten Inhalten) mit. Ihre Hauptinteressen in Lehre und Forschung sind: Digitale Bibliothek, Open Education.

Krystyna Matusiak

Außerordentliche Professorin, Library & Information Science Program (LIS), Universität Denver. Dr. Matusiak promovierte an der University of Wisconsin-Milwaukee. Sie war außerdem als Digitalisierungsberaterin für Projekte tätig, die vom Endangered Archive Programme der British Library finanziert wurden, und unterstützte Projekte der digitalen Bibliothek am Press Institute of Mongolia in Ulan-Bator, Mongolei, und der Bibliothek der al-Aqsa-Moschee in Ost-Jerusalem.
Sie hat ein starkes Interesse am internationalen Bibliothekswesen und ist Sekretär des IFLA Library Theory and Research Standing Committee. Ihre Forschungsinteressen umfassen die Entwicklung und Auswertung digitaler Bibliotheken, die Indizierung und den Abruf digitaler Bilder, die Benutzerfreundlichkeit und das Informationssuchverhalten.

Diesen Blogpost teilen:

Fehlende deutsche Übersetzung

Ausstellung Open UP! Wie die Digitalisierung die Wissenschaft verändert YES! they can: Schülerinnen und Schüler für Informationskompetenz begeistern Citizen Science und Datenmanagement –  ein Workshop-Bericht

View Comments

Forschungsdatenmanagement: Diese Portale und Selbstlernangebote vermitteln das Know-how
Nächster Blogpost