Barcamp Open Science: Wir müssen reden!
Den Austausch über Open-Science-Praktiken im Wissenschaftsalltag zu fördern, das ist die Idee hinter dem Barcamp Open Science. Von Open-Science-Werkzeugen bis zu Anreizen zur Öffnung der eigenen Wissenschaftspraxis wurde am 12. März 2018 in Berlin lebhaft diskutiert.
Überall wird von Open Science gesprochen, also wird sie auch praktiziert? Leider ist Open Science in der Breite noch nicht angekommen, der vielfach angesprochene kulturelle Wandel braucht Zeit. Oft fehlt es einfach an Wissen und Orientierung in der komplexen Open-Science-Welt. Aus diesem Grund ist es wichtig, an Forschende heranzutreten, einen Austausch über Praktiken zu ermöglichen und ihre Fragen zu beantworten. Genau darauf lag der Fokus des vierten Barcamp Open Science, das vom Leibniz-Forschungsverbund Science 2.0 organisiert und wie im vergangenen Jahr bei Wikimedia durchgeführt wurde. Gestartet als Pre-Event der Open Science Conference haben sich beide Veranstaltungen fest in der Open-Science-Community etabliert. Bereits nach vier Wochen war das Barcamp ausgebucht und mit 80 Teilgebenden mit sehr unterschiedlichen Hintergründen gut besucht.
Bringt Open Science näher an die Forschenden
In vielen Sessions ging es darum, das Thema Open Science aus verschiedenen Blickwinkeln zu betrachten und zu reflektieren. Dies war oft verbunden mit der Frage, wie das Thema näher an Forschende heran gebracht werden kann. So wurde beispielsweise in einer Session darüber diskutiert, was selbst Open-Science-affine Forschende noch daran hindert, dies konsequent in ihrer eigenen Forschung umzusetzen. Im Wesentlichen sind dies individuelle (Konkurrenzdruck, kein Vertrauen, fehlendes Wissen) und strukturelle Gründe (keine Anreize, Mangel an Unterstützung, fehlende Strategien). Beides zu adressieren ist wichtig. Veranstaltungen wie das Barcamp eignen sich aber besonders gut, um individuelle Gründe zu adressieren, insbesondere wenn es um fehlendes Wissen geht. Letztlich muss eine Vertrauensbasis zwischen allen Akteuren im Wissenschaftssystem hergestellt werden. Allerdings ist dies in einem von “wenig Zeit geprägten System immer schwierig”.
Open Science sollte nicht nur als Bürde wahrgenommen werden, sondern kann “Spaß” machen, wie in einer entsprechenden Session diskutiert wurde. Im Prinzip geht es um Mehrwerte, also ein schneller und einfacher Austausch mit anderen Forschenden, besseres und schnelleres Feedback, Nutzung bestehender Ideen sowie die öffentliche Anerkennung von Forschung. In der Diskussion um Open Science zeigt sich, dass Offenheit ihre Grenzen hat und wohl nicht hundertprozentig möglich ist. Daher beschäftigte sich eine Session speziell mit dem Thema, was eigentlich valide Gründe (wie Datenschutz) für ein so genanntes opt-out sind, also nicht (komplett) offen zu sein. In der Session wurde eine Vielzahl an Gründen gesammelt und zum Teil vor Ort diskutiert. Über einen anschließenden Blogpost und einem entsprechenden Aufruf soll diese Diskussion außerhalb des Barcamps weitergeführt werden.
Weitere Sessions befassten sich mit Motivation und Anreizen für Open Science, Problemen und Nachteilen von Transparenz, Open Peer Review sowie dem Bezug zwischen Open Science und Menschenrechten.
Open Science funktioniert schon heute in der Praxis
Die Teilgebenden des Barcamps erstreckten sich von Einsteigern, die mehr über konkrete Erfahrungen und Tipps zu Open-Science-Praktiken erfahren möchten, bis hin zu Fortgeschrittenen, die ihr Wissen gerne weitergeben. Aus diesem Grund ist es erfreulich, dass wieder viele Sessions sehr praxisorientiert waren und alltägliche Probleme adressierten. Open Science ist schon heute möglich, aber dafür muss man wissen, wie die Umsetzung in der Praxis gelingen kann.
Ein großes und wachsendes Problem ist die Orientierungslosigkeit im Werkzeug-Dschungel, wofür eine entsprechende Session über Open-Science-Werkzeuge angeboten wurde. Eine weitere Session beschäftige sich mit dem Thema Lizenzen, insbesondere welche Lizenzen für Open Science geeignet sind und wann welche Lizenz sinnvoll ist. Zusätzlich wurden konkrete Werkzeuge vorgestellt wie Scholia für wissenschaftliche Profile basierend auf Wikidata, Open Knowledge Maps als Recherche-Werkzeug und ORCID als Personenidentifikator wissenschaftlicher Autorinnen und Autoren.
Interessanterweise gab es keine Session, die zentral das Thema Forschungsdaten aufgegriffen hat, das derzeit unter anderem oft im Kontext von “FAIR data” diskutiert wird. Eine Session befasste sich mit best-practices zur Erzeugung von Metadaten beziehungsweise einem Plugin für die in der Wissenschaft weit verbreitete Sprache R zur automatischen Erzeugung von Codebooks auf Basis von Metadaten. Zudem gab es einen Fokus auf Forschungssoftware, wobei es sich prinzipiell auch um Forschungsdaten handelt, die als solche publizierbar und zitierbar sein sollten. Mit dem Publizieren und Auffinden wissenschaftlicher Software in entsprechenden Repositories sowie mit der Zitierbarkeit von wissenschaftlicher Software und deren Anerkennung im Wissenschaftssystem befassten sich entsprechende Sessions.
Weiterentwicklung eines offenen Wissenschaftssystems
Ein weiterer Block von Sessions diskutierte die zukünftige Entwicklung eines offenen Wissenschaftssystems. Zum Beispiel wurde über die benötigten Elemente eines Open-Science-Indikators diskutiert, um die Anwendung entsprechender Praktiken zu messen, und schließlich auch im wissenschaftlichen Reputationssystem zu integrieren.
Darüber hinaus wurde die Rolle von Bibliotheken in Open Science angesprochen. Vor dem Hintergrund einer auch mit Open Access bisher ausbleibenden Evolution/Revolution im wissenschaftlichen Publikationssystem, das sich nach wie vor in fester Hand großer Verlage befindet, diskutierte eine Session darüber, dass Bibliotheken als Publisher auftreten sollten und dazu auch die Kompetenz haben. Generell sollten Bibliotheken noch stärker an den Forschungszyklus heranrücken und entsprechende Dienste aufbauen. Diese für die breite Umsetzung von Open-Science-Praktiken so wichtige Nähe zu Forschenden als zentraler Bestandteil von Bibliotheken wurde in einer weiteren Session diskutiert. Bibliotheken genießen als unabhängige Einrichtungen entsprechendes Vertrauen. Ihnen wird die Kompetenz zugesprochen, entsprechende unterstützende Strukturen aufzubauen.
Ein weiteres zunehmend diskutiertes Thema ist die Dezentralisierung des Wissenschaftssystems beispielsweise mit Hilfe der Blockchain-Technologie. Auf dem Barcamp gab es dazu einen “Ignition-Talk” sowie eine entsprechende Session. Die zentrale These des Vortragenden (Lambert Heller, TIB Hannover): Auf lange Sicht wird es uns nicht reichen, dass Forschungsdaten und -publikationen nur FAIR sind. Vielmehr gilt es mit neuartigen Protokollen, die auf Techniken wie Bittorrent und Blockchain basieren, Engpässe zu beseitigen, die so nicht bestehen bleiben müssen. Es sollte keiner “vertrauenswürdigen Plattformen” mehr bedürfen, sondern alle Interessierten sollten durch Peer-to-peer-Netze zu Mit-Besitzern und Verteilern von Forschungsinformationen werden können. Insbesondere werthaltige Transaktionen wie Peer Review und Bewertungen sollten direkt von den Forschenden untereinander und mit der Öffentlichkeit ausgetragen werden.
“Journal Editoren” und andere “Mittelspersonen” halten den Informationsaustausch auf, machen ihn fragil und intransparent. Verlage wie Elsevier, nutzen lediglich unsere (veraltete) Prämisse aus, dass Wissenschaft (und auch offene Wissenschaft) ohne zentrale Plattformen nicht möglich sei.
Lambert Heller
Schließlich gab es eine Session über die zukünftige Rolle der Öffentlichkeit in der Forschung. Neben einer zielgerichteten Wissenschaftskommunikation, unter anderem zur Schaffung von Transparenz und Förderung der Akzeptanz, gibt es über die sogenannte “bürgerbeteiligte Forschung” oder im englischen “Citizen Science” die Bestrebung, die Zivilgesellschaft stärker aktiv in Forschungsprozesse einzubinden. Auf Plattformen wie “Bürger schaffen wissen” (Deutschland) oder “Doing It Together Science” (EU) gibt es eine Vielzahl an Projekten. Häufig unterstützen Bürgerinnen und Bürger dabei im Sinne von Crowdsourcing die Erhebung von Daten. Des Weiteren gibt es Ansätze, dass Bürgerinnen und Bürger in weitere Prozesse wie die Konzeption von Forschungsprojekten, Definition von Forschungsfragen oder auch in der Datenauswertung eingebunden werden.
Fazit: Wir müssen Open Science weiter im Gespräch halten
Es ist noch ein langer Weg bis Open-Science-Praktiken fester Bestandteil des Alltags von Forschenden werden. Dies wurde auf dem diesjährigen Barcamp deutlich. Umso erfreulicher ist es, dass auch in diesem Jahr wieder viele neue Gesichter auf dem Barcamp waren. Gerade diese Mischung aus erfahrenen Pionieren und Newbies charakterisiert die Veranstaltung. Trotz des viel thematisierten Gender Gaps in der Wissenschaft war das Verhältnis zwischen männlichen und weiblichen Teilgebenden sehr ausgeglichen.
Finally, thanks to all the presenters, organizers and @lfvscience20 Really feeling energized after today!!! #oscibar #OpenScience
— Stephⓐnie Wright (@shefw) 12. März 2018
Barcamp Open Science verpasst? Kein Problem. Alle Sessions wurden im Metapad dokumentiert. Auch das Team des Open Science Radio war zu unserer großen Freude zum dritten Mal mit dabei und hat die Moderatorinnen und Moderatoren der Sessions interviewt.
Am Ende des Tages stand fest: Es braucht Formate wie das Barcamp, um den Austausch über Open Science in der wissenschaftlichen Praxis zu forcieren – und es braucht mehr davon! Deshalb wird es auch im nächsten Jahr wieder ein Barcamp Open Science (#oscibar) bei Wikimedia in Berlin geben: am 18. März 2019! Und wie immer findet an den darauffolgenden Tagen auch die Open Science Conference (#osc2019) in Berlin statt: vom 19. bis 20. März 2019.
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