Open-Science-Praxis im Studium: Wie funktioniert Bloggen als Lehrkonzept?
Eine Lehrveranstaltung, die als Redaktionssitzung fungiert, Studierende, die als Prüfungsleistung zu wissenschaftlichen Themen bloggen; Prof. Dr. Tim Krieger praktiziert dies seit Jahren erfolgreich und wurde dafür bereits mit zwei Lehrpreisen ausgezeichnet. Im Interview erläutert er sein Lehrkonzept „Economics Blog“ und berichtet von den Chancen und Erfahrungen des Blogging in der Lehre.
Seit 2013 betreibt der Ökonom Prof. Dr. Tim Krieger, Inhaber der Wilfried-Guth-Stiftungsprofessur für Ordnungs- und Wettbewerbspolitik an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg, das Blog „Think Ordo! – Ordnungspolitik neu denken“ im Rahmen seiner Lehrveranstaltung Economics Blog. Für sein Lehrkonzept wurde Prof. Dr. Tim Krieger bereits mit zwei Lehrpreisen ausgezeichnet, zuletzt mit dem Universitätslehrpreis 2017 der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg.
Herr Prof. Krieger, wie sind Sie auf die Idee gekommen, eine Lehrveranstaltung anzubieten, in der gebloggt wird?
Ursprünglich wollte ich selber einen ordnungspolitischen Blog mit eigenen Texten betreiben, weil ich immer schon gerne geschrieben habe, um meine Meinung zu äußern. Als damals neu berufener Professor in Freiburg habe ich aber schnell bemerkt, dass ich mit der Entwicklung meiner Lehrveranstaltungen zu viel zu tun hatte, um einen Blog regelmäßig mit Inhalten zu füllen. So kam mir die Idee, eine Lehrveranstaltung zu entwickeln, in der letztlich die Studierenden die Texte schreiben.
Welche Ziele und Zielgruppe hat das Blog?
Durch die Ordnungspolitik in der Tradition der Freiburger Schule haben wir ein spezifisches inhaltliches Profil, wie es kein anderer VWL-Standort in Deutschland aufweisen kann. Ziel des Blogs ist es, die Ideen der Freiburger Schule neu zu interpretieren und in die öffentliche Debatte einzubringen. Unsere Zielgruppe sind alle an Wirtschaftspolitik interessierten Bürger. Alle Texte müssen daher so geschrieben sein, dass sie zumindest der „gebildete Laie“, also eine Person, die ein wenig von Wirtschaft versteht, aber nicht notwendigerweise von dem konkreten Thema des Posts, die Texte leicht nachvollziehen kann.
Welche Leistungen müssen die Studierenden erbringen?
Die Lehrveranstaltung ist sowohl für Bachelor- als auch Master- und Lehramtsstudierende geöffnet, die jeweils unterschiedliche Leistungsanforderungen gemäß ihren Prüfungsordnungen erbringen müssen. Grundsätzlich gilt, dass pro 2 ECTS ein Blogbeitrag von 500 Wörtern zu schreiben ist. Darüber hinaus wird von jedem Teilnehmer eine aktive Diskussion der Beiträge der anderen Studierenden in unserer „Redaktionssitzung“ erwartet. Das mag nach einem überschaubaren Arbeitsaufwand klingen, ist es aber nicht, weil jeder Beitrag zunächst inhaltlich sauber recherchiert, dann in ansprechender Form aufgeschrieben und schließlich in mehreren Überarbeitungsrunden sprachlich und inhaltlich optimiert werden muss.
Wie ist die Lehrveranstaltung beziehungsweise die Zusammenarbeit für das Blog organisiert?
Die Teilnehmer der Lehrveranstaltung haben eine Doppelrolle als Autoren und Redakteure. Jeder Teilnehmer stellt mindestens einen eigenen Blogbeitrag im Rahmen der Veranstaltung vor und muss diesen gegenüber dem Rest der Gruppe inhaltlich verteidigen. Diese Diskussionen in unserer Redaktionssitzung sind zumeist sehr fruchtbar und bringen Ideen für zusätzliche, teilweise auch bessere Argumente und Textstrukturen. Obwohl ich der verantwortliche Dozent bin, agiere ich selber dabei nur als einfaches Redaktionsmitglied und bringe meine Ideen genauso ein wie jeder bzw. jede andere.
Nach dieser Diskussionsrunde muss der Autor oder die Autorin dann den Beitrag überarbeiten und wieder in die Runde schicken. An dieser Stelle beginnt nun in der Regel meine eigentliche Arbeit, denn ich schaue mir die Beiträge noch einmal sehr genau an, ob die Argumentationslinie und vor allem die Inhalte korrekt sind. Dieser Prozess geht oftmals über mehrere Runden, ehe ein fertiger Beitrag entstanden ist und die finale Zustimmung aller Teilnehmer eingeholt ist.
Inwiefern werden die Studierenden für das Blogging geschult?
Auf technische und rechtliche Fragen wird am Anfang der Veranstaltung kurz eingegangen. Sie sind aber hauptsächlich die Aufgabe meines Lehrstuhls. Dies hat vor allem den Hintergrund, dass unser Ziel nicht unbedingt ist, aus den Teilnehmern „Blogger“ mit eigenem Blog zu machen, sondern ihnen bestimmte Fähigkeiten zu vermitteln, die man anhand des Bloggings gut erlernen kann. Dies ist vor allem die Fähigkeit, interessant, pointiert und meinungsstark für ein bestimmtes Zielpublikum zu schreiben. Was gutes Blogging ausmacht, ist für die Studierenden eine echte Herausforderung, weil sie das Schreiben in unseren Seminaren normalerweise anders lernen: Es soll wissenschaftlich, breit und abwägend sein. Natürlich kann ich das „gute“ Schreiben selber nur begrenzt vermitteln, da ich selber keinen journalistischen Hintergrund habe. Daher lade ich regelmäßig Journalisten in die Veranstaltung ein; vor allem die Wirtschaftsredakteure der Badischen Zeitung sind immer wieder bei uns zu Gast.
Welche Vorteile bietet das Blogging für das Vermitteln wissenschaftlicher Inhalte?
Lassen Sie mich diese nicht ganz einfach zu beantwortende Frage, die ja eher allgemein auf das Blogging in der Wissenschaft bezogen ist, etwas konkreter mit Bezug auf meine Lehrveranstaltung und den Blog „Think Ordo!“ beantworten. In diesem engen Rahmen habe ich den hohen Anspruch des Erlernens und Vermittelns wissenschaftlicher Inhalte überhaupt nicht. Dies könnte eine einzelne Lehrveranstaltung auch gar nicht leisten und soll es auch nicht. Was man in der universitären Lehre im Zeitalter der Massenuniversität im Auge behalten muss, ist, dass die Berufsorientierung bei aller fachwissenschaftlichen Tiefe entscheidend ist.
In „Economics Blog“ ist die zentrale Fähigkeit, die ich den Studierenden für ihr späteres Berufsleben mit auf den Weg geben möchte, komplexe Sachverhalte herunterzubrechen und für bestimmte Zielgruppen in zugänglicher Weise aufzubereiten. Darüber hinaus sollen sie lernen, Theorien und empirische Evidenz abzuwägen, zu einer Meinung zu kommen und diese dann zu vertreten. Dies sind Fähigkeiten, die in Ministerien, Verbänden und Forschungsinstituten unabdingbar sind, aber im normalen VWL-Studium bedauerlicher eher zu kurz kommen.
Welche Unterschiede nehmen Sie im Vergleich zu anderen Lehrveranstaltungen wahr?
Vor allem die intensive Diskussion in unserer „Redaktionssitzung“ und der enge Kontakt im Prozess des Redigierens der Texte sind eine Besonderheit in meiner Lehrveranstaltung. Dies kommt bei den Teilnehmern sehr gut an, was allerdings ein Effekt ist, der zunächst einmal unabhängig vom Blogging ist. Das Blogging hat darüber hinaus den Vorteil, dass die Teilnehmer gezwungen sind, ihre Argumente wirklich zu Ende zu denken. Es gibt kein gedankliches „Durchlavieren“ und „Verstecken“ mehr, sondern es muss eine Meinung vertreten und notfalls auch verteidigt werden. Der Lerneffekt, der dadurch entsteht, ist enorm. Gerade in großen Vorlesungen lässt sich diese Wirkung kaum erzielen.
Welches Feedback bekommen Sie für die Lehrveranstaltung?
Generell werden die Veranstaltung und der Blog von den Studierenden sehr positiv aufgenommen. Die Veranstaltung bekommt durchweg sehr gute Bewertungen in der Lehrevaluation. Dies liegt sicherlich auch daran, dass bei uns wirklich kontrovers diskutiert wird über Themen, die den Teilnehmern sehr am Herzen liegen. Dass man später dann auch wirklich seinen Beitrag online sieht und dafür wiederum Feedback von Freunden und aus der Familie bekommt, ist für viele ein tolles Gefühl.
Von den Kolleginnen und Kollegen in Freiburg und auch an anderen Unis gibt es ebenfalls ausgesprochen positive Rückmeldungen und auch Interesse, wie man solch einen Blog betreibt. Ich stehe da gerne mit Rat und Tat zur Seite, aber bisher hat noch niemand angebissen und einen weiteren studentischen Wirtschaftsblog etabliert.
Glauben Sie, dass sich das Blogging in Lehrveranstaltungen weiter durchsetzen wird?
Obwohl das Interesse von Kolleginnen und Kollegen groß ist, halte ich das zumindest für die Wirtschaftswissenschaften für eher unwahrscheinlich. Der Grund ist, dass der Aufwand sehr hoch ist, wenn man den Blog seriös und auch einigermaßen erfolgreich betreiben will. Obwohl ich meine Lehrveranstaltung in einem kleinen Rahmen abhalte, ist sie die mit Abstand arbeitsaufwendigste Veranstaltung, die ich habe.
Welche Barrieren sehen Sie beim Blogging?
Blogging, so wie es bei uns betrieben wird, ist für alle Beteiligten aufwendig. Daraus ergibt sich zum einen ein Ressourcenproblem, denn man kann nicht alle Studierenden eines Jahrgangs mit derartigen Veranstaltungen versorgen. Hinzu kommt, dass gutes Blogging gewisse journalistische Fähigkeiten und Interessen voraussetzt, die sowohl auf Dozenten- als auch Studierendenseite nicht jeder mitbringt. Schließlich lohnen sich Blogs auch nur dann, wenn sie wirklich gelesen werden.
Würden Sie uns Beispiele für besonders gelungene Blogposts nennen?
Unser meistgeklickter Beitrag hat den schönen Titel “Super Mario vs. Bitcoin: Knock-out für die EZB?” und wurde bereits über 5.000 mal gelesen. Sehr gelungen ist unter anderem auch der Gewinnerbeitrag “Ordoliberalismus, wie Südeuropa ihn sieht: Autoritär und demokratiefeindlich” unseres Essaywettbewerbs.
Welche Verknüpfung besteht zwischen dem Blog und dem „Think Ordo!“-Essaywettbewerb?
Unsere Essaywettbewerbe dienen dazu, bestimmte Themenschwerpunkte zu setzen und den Blog auch für eine breitere Autorenschaft innerhalb der Uni Freiburg zu öffnen. Dazu suchen wir uns ein Thema, von dem wir glauben, dass es ausreichend aktuell und vor allem kontrovers ist, um eine Debatte anzufeuern. Alle Freiburger Studierenden sind zur Teilnahme eingeladen und die drei Gewinnerbeiträge sowie andere gelungene Beiträge, die es nicht unter die Top 3 geschafft haben, werden auf dem Blog präsentiert.
Wie sieht Ihre persönliche Open-Science-Praxis aus?
Meine ursprüngliche Motivation, Volkswirtschaftslehre zu studieren, war mein Interesse an Wirtschaftspolitik. Auch wenn es die zeitlichen Restriktionen meines Berufs nicht immer zulassen, bemühe ich mich, an wirtschaftspolitischen Debatten teilzunehmen. Das Blogging ist dabei ein wichtiger Baustein. Seit einigen Jahren bin ich fester Autor auf dem Blog “Wirtschaftliche Freiheit – Das ordnungspolitische Journal”, den Norbert Berthold von Würzburg aus betreibt. Auch für andere Blogs wie der Ökonomenstimme schreibe ich gelegentlich. Eine Übersicht meiner Beiträge befindet sich auf meiner Lehrstuhl-Homepage.
Was wird Ihr nächstes Projekt sein?
Die Lehrveranstaltung „Economics Blog“ ist in diesem Jahr mit dem Universitätslehrpreis der Universität Freiburg ausgezeichnet worden. Durch das Preisgeld stehen uns nun Ressourcen zur Verfügung, um unseren Blog weiterzuentwickeln. Wir möchten gerne verstärkt mit Grafiken, Animationen und vielleicht auch Videos arbeiten, die wir in die Beiträge einbinden wollen. Auf diese Weise können wir die Inhalte der Beiträge um eine visuelle Komponente erweitern, die den Zugang für die Betrachter weiter erleichtert und die es uns erlaubt, auch in den sozialen Medien aktiver zu werden.
Fotograf: Thomas Kunz
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