Report: Wie bekommen Forschende die Qualifikationen für Open Science?

Der kürzlich veröffentlichte Report “Providing researchers with the skills and competencies they need to practise Open Science – Report of the Working Group on Education and Skills under Open Science” adressiert die Fähigkeiten und Kenntnisse, die Forschende brauchen, wie diese erworben werden könnten, und was darüber hinaus notwendig ist, um die Open-Science-Praxis zu fördern.

Befragung zeigt, dass Open Science für Forschende kein geläufiges Konzept ist

Eine Umfrage, die zwischen März und Mai 2017 durchgeführt wurde, um die gegenwärtige Situation zu erheben, bildet die Basis des Reports. Die Umfrage, an der sich 1.277 Forscherinnen und Forscher aus ganz Europa beteiligt haben, zeigte, dass Open Science für eine Mehrheit von ihnen ein unbekanntes Konzept ist. Zugleich zeigte sich, dass das Veröffentlichen im Open Access die bekannteste Open-Science-Praxis darstellt (drei von vier Forschenden sagen, dass sie ‚viel‘ oder ‚ein wenig‘ darüber wissen). Außerdem zeigen sie ein sehr starkes Interesse an Open Data. Demgegenüber weiß nur ein deutlich kleinerer Anteil der Forschenden etwas über andere Open- Science-Praktiken wie Open Peer Review, Open Education, Citizen Science und Open Notebook.

Obwohl Open Access Publishing relativ bekannt ist, praktizieren es viele der Forschenden, die an der Befragung teilgenommen haben, nicht, oder sie wissen nicht, ob sie es tun. Wenn man die generell geringe Bekanntheit von Open Science bedenkt, die die Befragung gezeigt hat, ist dies allerdings wenig verwunderlich.

Die Befragung zeigte auch einen Mangel an Training und Bekanntheit in Bezug auf das Archivieren von Forschungsdaten. So wusste ein Viertel der befragten Forscherinnen und Forscher nicht, was mit ihren Daten passieren würde, wenn sie ihre Institution verlassen würden. Zudem gaben zwei Drittel der Befragten an, dass sie ihren Forschungsdaten keine begleitenden Metadaten mitgeben würden. Jene Forschenden, die Metadaten zu ihren Forschungsdaten verfassen, wenden mehrheitlich keine institutionellen oder disziplinären Standards an.

Da die Anwendung der FAIR-Data-Prinzipien einen wichtigen Pfeiler von Open Science darstellt, ist das geringe Bewusstsein von Forschenden für die Datenarchivierungspraxis eine Gefahr für den Fortschritt von Open Science. Daher sind Metadaten-Guidelines von grundlegender Bedeutung und sollten für Institutionen und Trainingsangebote verpflichtend sein.

Zu diesen Ergebnissen passt, dass Forschende internationale Open-Science-Initiativen wie das FOSTER-Projekt, Open Innovation, Open Science, Open to the World und die European Open Science Cloud (EOSC) kaum kennen.

Das wenig vorhandene Wissen umfasst auch Richtlinien der eigenen Forschungsinstitution und von Fördermittelgebern. Fast die Hälfte der Forschenden weiß nicht, ob ihre Institution Guidelines für das Veröffentlichen im Open Access hat. Auch in Bezug auf ihre Projektförderung weiß nur eine Minderheit der Forschenden von der Existenz von Guidelines für das Open-Access-Publizieren.

Die Antworten der Forschenden zeigen, dass entweder nicht genügend Trainingsangebote für Open Access und Open Data existieren oder dass sie keine Kenntnis von vorhandenen Trainingsangeboten haben. Davon abgesehen würden die meisten Forschenden, die dies noch nicht gemacht haben, gerne an Open-Access- oder Open-Data-Kursen teilnehmen.

Der Report zeigt auf, dass es generell einen Mangel an geeigneten Trainingsmöglichkeiten und Anleitung für Forschende gibt. Aus diesem Grunde sollte sichergestellt werden, dass Forscherinnen und Forschern auf jedem Karrierelevel maßgeschneiderte Lernangebote gemacht werden, die es ihnen ermöglichen, Open Science voll zu leben.

Für Open Science notwendige Fähigkeiten definieren

Laut des Reports können die Fähigkeiten und Kenntnisse, die Forschende und andere Mitglieder des Wissenschaftssystems für Open Science benötigen, in vier Kategorien mit unterschiedlich starker Relevanz für die einzelnen Berufsgruppen gruppiert werden. Fähigkeiten und Kenntnisse

  • für das Publizieren im Open Access (Bibliotheks- und Forschungsinformationskenntnisse einerseits und Fähigkeiten für das offene Publizieren (Benutzerlevel) andererseits,
  • in Bezug auf das Forschungsdatenmangement, Open Data und Datenmanagement,
  • um in und auch außerhalb der eigenen akademischen und disziplinären Community erfolgreich zu handeln (auf der einen Seite Forschungsmanagementfähigkeiten (insbesondere Führung, Management und Soft Skills) und juristische Kenntnisse auf der anderen Seite).
  • für Citizen Science und um mit der allgemeinem Öffentlichkeit zu interagieren (wie mit Bürgerinnen und Bürgern umgehen, wie mit Stakeholdern von außerhalb der akademischen Community kommunizieren, um eine bessere Nutzereinbindung und Verbreitung von Forschungsergebnissen zu erreichen).

Wie könnten Open-Science-Fähigkeiten trainiert werden?

Im Report wird unterstrichen, dass die Mehrheit der Forschenden gerne an Open-Science-Trainingskursen teilnehmen würde. Mehr Kurse und andererseits eine höhere Bekanntheit bestehender Kursangebote sind demnach erforderlich. Daher lautet eine Empfehlung im Report “Forschende für Open Science trainieren”. Beispielsweise sollte für Universitäten und Forschungsorganisationen, Open-Science-Trainingsangebote verpflichtend werden.

Der Report verdeutlicht, dass es bereits eine große Anzahl an Stakeholdern in Europa gibt, die das Training von Open-Science-Fähigkeiten anbieten. Diese Aktivitäten sind gegenwärtig nicht gut koordiniert. Zersplitterung und Doppelarbeit könnten daher wichtige Themen sein und sollten durch stärkere Koordinationsbemühungen aufgefangen werden. Die Europäische Kommission könnte die Führung dabei übernehmen, die Standardisierung eines anerkannten Sets von Fähigkeiten, Kenntnissen und Unterstützung voranzutreiben.

In Bezug auf die Schulungsformate sollten individuelle Lernstile und verschiedene Disziplinen berücksichtigt werden. Die Befragten bevorzugten Möglichkeiten des ‚Learning by doings‘ gegenüber Trainingskursen. Insbesondere was die Themen Collaboration und Networking, Forschungspublikationen und Dissemination, Lehre und Supervision, Forschung und Datenmanagement, Forschungsintegrität und das verständlich machen von Forschung für die allgemeine Öffentlichkeit betrifft, scheint ‚Learning by doing‘ passende Lernmöglichkeiten zu bieten.

Strukturen schaffen, die Open Science fördern

Aus der Forscherperspektive fehlt es in ihren Institutionen an Unterstützung für Open Science. “Unterstützung für Open Science anbieten” lautet daher eine andere Empfehlung im Report. Diese Empfehlung beinhaltet unter anderem Unterstützung durch Institutionen in infrastrukturellen, technischen und rechtlichen Aspekten. Insbesondere das Angebot einer physischen Infrastruktur für das Speichern und Kuratieren von Publikationen und Daten ist von elementarer Bedeutung, um die Verbreitung von Open Science zu fördern. Daher heißt es in dem Report, dass die Entwicklung der European Open Science Cloud unabdingbar ist. Darüber hinaus werden technische Tools, die Forschende bei Open Science unterstützen, und ein rechtlicher Rahmen für das sichere, legale und ethische Teilen von Daten gebraucht.

Gegenwärtig, so zeigt es die Befragung, gibt es nicht genügend Unterstützung und Infrastruktur für die Datenarchivierung auf institutioneller Ebene. Wie in dem Report angeführt, sollte daher der sich entwickelnden und wachsenden Kohorte der Informationsfachleute (die Bibliothekare und Datenwissenschaftlerinnen beinhaltet) besonderes Augenmerk gewidmet werden. Des Weiteren wird Unterstützungspersonal mit detailliertem Wissen über Daten- und Software-Management gebraucht, und Institutionen benötigen Personal mit den passenden Qualifikationen, um als Datenmanager (‚Data Stewards‘) zu agieren. Diese neue Berufsgruppe unterstützt Forschende. Dies führt zu neuen Berufsmöglichkeiten für Forschende. Um ihre Aufgaben zu erfüllen, benötigen sie selbst angemessenes Training und Unterstützung. Zum Beispiel wäre die Unterstützung in Form eines zu gründenden nationalen Instituts für Datenmanagement denkbar. Auf ähnliche Weise sollten die Qualifikationen und Trainingserfordernisse für spezialisierte Open-Science-Bibliothekare definiert werden. Finanzielle Mittel für die Entwicklung und Rekrutierung dieser Informationsprofis sollten daher zur Verfügung gestellt werden.

Bekanntheit und Karrieremöglichkeiten schaffen, damit Forschende Open Science leben

Über Trainingsmöglichkeiten und unterstützende Strukturen hinaus erscheint es sinnvoll, Open Science durch zusätzliche Anreize und Belohnungsmechanismen zu stärken. Zunächst muss die Bekanntheit von Open Science verbessert werden. In der Empfehlung Nr. 3 im Report steht die Schaffung von Bewusstsein für den Wert von Open Science sowohl auf persönlicher Ebene als auch auf gesellschaftlicher Ebene im Zentrum, um einen fruchtbaren Boden für das Erlernen passender Fähigkeiten zu schaffen. Dazu gehört auch das Wissen über Initiativen der Open-Science-Politik, über existierende Guidelines ebenso wie über vorhandene Trainingsangebote.

Als zweites sollte das Erlernen und Praktizieren von Open-Science-Fähigkeiten ein integraler Bestandteil des professionellen Trainings und der Karriereentwicklung von Forschenden werden, wie eine weitere Empfehlung im Report verdeutlicht. Daher sollte es von Forschungsförderern ebenso belohnt werden wie von Institutionen bei der Karriereevaluierung von Forschenden.

Wissenschaftspolitik und Open Science

Der Wissenschaftspolitik rund um Open Science widmet sich die erste Empfehlung im Report, mit der Forderung Open-Science-Fähigkeiten zu etablieren. Es sollten Richtlinien aktualisiert werden, um sicherzustellen, dass die bereits vorhandenen Tools zueinander kompatibel sind und um vorhandene Open Science bezogene Elemente explizit zu machen. Dadurch ist eine klare politische Ausrichtung auf Open Science zu erwarten, die auch für Entscheidungsträger und Forschende selbst mehr Klarheit bringt. Open-Science-Fähigkeiten sollten einen zentralen Bestandteil des Arbeitsprogramms 2018 – 2020 und auch des nächsten Forschungsrahmenprogramms (FP9) mit dezidierter Förderung bilden. Auch sollte ein Call for Proposals Teil des H2020 Programms “Science with and for Society” (SWAFS) um RIA (Research and Innovation Actions) und CSA (Coordination and Support Action) Aktivitäten zu finanzieren, die sich der Entwicklung von Open-Science-Qualifikationen widmen. Zusätzlich sollten Fördermittelgeber auf europäischer Ebene ebenso wie auf regionaler und nationaler Ebene und von privaten Stiftungen den Zugang von allen geförderten Forschenden zu Open-Science- Trainingsmöglichkeiten verlangen.

Guidelines für die Implementierung von Open Science

“Guidelines für die Implementierung von Open Science” sind Gegenstand einer weiteren Empfehlung. Zu den empfohlenen Schritten gehören: existierende Guidelines für Forschungskarrieren und –training auf europäischer Ebene anzupassen, um Open Science zu integrieren. Die Entwicklung integrierter Open Science Roadmaps auf nationaler, regionaler und institutioneller Ebene, die für alle Mitglieder des Wissenschaftssystems zugänglich sind und die Anforderungen an eine wirksame Open-Science-Praxis darstellen, wird ermutigt. Die Entwicklung von FAIRen institutionellen Guidelines, insbesondere für Open Access und Open Data, wird als ein Teil davon erwähnt.

Unwissen und Bereitschaft – vielfältige Maßnahmen für Wandel zu Open Science erforderlich

Die zitierten Befragungsergebnisse machen deutlich, dass viele Forschende wenig über Open-Science- Politik und -Praxis wissen, mehr Trainings- und Unterstützungsmöglichkeiten brauchen, ebenso wie Anreize, um mit Open Science zu beginnen und sie kontinuierlich zu praktizieren. Dies hindert Open Science bislang daran, zu einer alltäglichen Aufgabe für Forschende zu werden. Im Report werden verschiedene Optionen sehr gut ausgearbeitet, aber der Fokus liegt dabei zu sehr auf den Forschenden selbst, anstatt auf einem unterstützenden Umfeld für Open Science. Neue Berufe wie Datenwissenschaftler werden genannt, aber der Report wäre von noch größerem Nutzen, wenn detaillierter dargelegt werden würde, welche Fähigkeiten ganz genau im ganzen Forschungszyklus benötigt werden.

Darüber hinaus unterstreicht der Report verschiedene Trainingsoptionen (Angebot), aber widmet sich zu wenig der Beziehung von Fähigkeiten und Reputationssystem (Nachfrage). So lange das Reputationssystem nicht parallel dazu reformiert wird, werden das Interesse und die Bereitschaft für Trainingsoptionen moderat bleiben. Die Ergebnisse des Reports zum Beispiel mit den Ergebnissen der European Commission Expert Group on Altmetrics und ihrer Publikation „Next-generation metrics: Responsible metrics and evaluation for open science” abzugleichen, wird hilfreich sein, um die geplanten Maßnahmen zu priorisieren.

Die Ziele der Working Group, europäische Standards für das Open-Science-Training zu formulieren, erscheinen uns begrüßenswert. Jedoch würden wir unterstreichen, dass dabei vorsichtig vorgegangen werden sollte. Die Open-Science-Bewegung wird bottom-up angetrieben, und zu viel top-down-Einmischung könnte unerwünschte Konsequenzen haben. Des weiteren gibt es bislang wenig Anhaltspunkte dafür, welche der vorhandenen Optionen die besten sind, um Open Science zu trainieren. Detailliertere Analysen sollten bezüglich der Wirksamkeit der verschiedenen Trainingsoptionen durchgeführt werden, um basierend auf Best Practices, europäische Standards zu definieren.

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Birgit Fingerle ist Diplom-Ökonomin und beschäftigt sich in der ZBW unter anderem mit Innovationsmanagement, Open Innovation, Open Science und aktuell insbesondere mit dem "Open Economics Guide". (Porträt: Copyright

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