9. Wildauer Bibliothekssymposium – ein Rückblick
Innovationen und die Offenheit dafür in Bibliotheken wurden am 13. und 14. September 2016 beim 9. Wildauer Bibliothekssymposium thematisiert. Besprochen wurden auch der Berufsethos von Bibliothekarinnen und Bibliothekaren, Chaosverwaltung, Übergangsrituale und Unternehmensplanspielen.
Das kurzlebige Moment von Strandburgen aus kleckerndem Sand wohnt auch Konferenzen inne. Auffällig markieren sie den Küstenweg, aber ein kurzer Augenblick reicht schon, und man muss sich ihrer mühsam erinnern. Um dem Klassiker unter den Historikern und Archivaren gerecht zu werden (quod non est in actis non est in mundo), sei hiermit nicht nur auf die pdf-Version der Folien verwiesen, sondern zudem ein knapper Rückblick gewagt:
Gezielt Perspektivwechsel fördern
Rollen- und Blickwechsel, die erste Klappe: Ein Dutzend FachkollegInnen finden sich in kleinen Gruppen wieder und grübeln, wie man gewinnbringend ein Outdoorzelt mit einer kleinen Firma auf den Markt bringen kann. Wo spart man, worin investiert man, wo liegen Schwerpunkte des eigenen Handelns, beim Personal, Entwicklung, Marketing, Stückzahlen etc. Diese virtuellen Unternehmensplanspiele gehören zur Grundbesohlung künftiger Wirtschaftsfachleute. Für den Wildauer Kontext zeigte sich überraschend, dass die Symposiumsteilnehmenden anders vorgingen (langfristigere Planung, mehr Investitionen in Marketing) als Studierende und daher zu anderen Ergebnisse kamen. Sie haben schlichtweg bessere Gewinne eingefahren, als üblicherweise Seminargruppen der BWL-Studiengänge.
Man staune über das olympische Abschneiden, aber Tatsache ist, das zeigte sich auch in der Podiumsdiskussion unter reger Anteilnahme des Publikums, dass gute Ideen aus bibliothekarischen Reihen und projektorientierte wie drittmittelgeförderte Innovationen ihr jähes Ende finden, da ihnen ein tragendes Geschäftsmodell fehlt. Damit ist der erste Ball an das folgende Symposium gespielt. Wie lässt sich der lange Atem nach Projektende erzeugen, der nachhaltige? Erfolgreiche Beispiele wie inetbib, KVK, ELTAB, BASE, STW gibt es zur Genüge.
Familiärer Austausch bringt interessante Zwischentöne
Mit den ca. 60 Teilnehmenden war ein familiärer Rahmen auch für Zwischentöne off-the-record gesteckt. Da gibt es z.B. Bibliotheksleiter, die auch einmal das Kleinkind der Mitarbeiterin übernehmen und ihr somit die Chance zur konzentrierten Arbeit bieten. Dies spricht auch für den Weg der flachen Hierarchien. Es gibt aber auch die Erfahrung eines anderen Bibliotheksleiters, der in 30-jähriger Berufszeit noch nie erlebt hat, dass das Personal bei Neuerungen nicht mitgespielt hätte, vorausgesetzt, die Kolleginnen und Kollegen kennen ihre Rolle dabei.
Fügt man sich dem dynamischen und temporeichen Zeitgeist, ist der Wille zur Veränderung mindestens ins Leitbild gemeißelt. Hierzu stellen sich Fragen, wie Institutionen aufgestellt sind. Eine Berliner Kollegin schaute dabei genauer bei großen deutschen und britischen IT-Abteilungen von Informationseinrichtungen hin und fand große Unterschiede in der Organisation, auch im Selbstverständnis.
Veränderungen mit Ritualen begleiten
Wie wirken Veränderungen im Kleinen? Bedarf es zur Vorbereitung von Innovationen einer Kulturentwicklung, der Verortung des Selbstverständnisses und einer Firmenphilosophie wie in Basel?
Einen organisationsethnologischen Blick warf eine andere Referentin, welche am Beispiel der Übergangsrituale mit ihren Phasen der Trennung, des Übergangs, gegebenenfalls auch des Scheiterns, bis hin zur Integration das Eindringen von Neuem in Gewohntes als eine realistische Option beschrieb. Stellt man den sozialisierten Menschen in die Mitte, weiß man, dass gerade Phasen der Veränderung und Umbrüche kulturelle Formen benötigen, Hochzeit, Verlobung, Ruhestand seien genannt.
Die langanhaltende Diskussion versuchte den Punkt zu finden, wo zum Beispiel die schon Jahre währende Digitalisierung als Innovation abgeschlossen ist, also der Stufe des Überganges die der Integration folgt. Denn die Anforderung an die Führung von Teams ändert sich stark in den jeweiligen Phasen. Herausgestellt wurde weiterhin, dass in unserer Zunft Erfahrung und lange Zugehörigkeit viel positiver besetzt sind, als in anderen Berufszweigen.
Reflektion durch Rollentausch
Wie kann man am besten sein eigenes Tun reflektieren, außer, es für sich selbst stetig zu hinterfragen? Ein Weg bietet das job shadowing bzw. der Rollentausch (2. Klappe), wie in verschiedenen Branchen immer wieder vollzogen. In diesem Fall trat die Gelehrsamkeit in den Berufsalltag und lief im Tandem mit dem eigentlichen Leiter eine Arbeitswoche ab. Die Einsichten lagen auf mindestens zwei Seiten, weswegen eine Empfehlung für diesen Ansatz ausgesprochen wurde.
Vielfältige Expertenperspektiven
Man spürte, wie wohltuend es war, dass nicht immer nur Nabelschau gehalten wurde, sondern viele Referentinnen und Referenten mit anderem beruflichen Hintergrund (Ordinarius in Innovationsmanagement, SAPler, Organisationsethnologin, Kulturwissenschaftler, Telematiker) und ohne “zuviel” Einblick in diese unsere Welt mutig in den Themen voranschritten. Aus Hildesheim berichtete ein Kulturwissenschaftler und Nichtbesuchsforscher über seine Erfahrungen im Kulturbetrieb von Theater bis Museum, für die jährlich neun Milliarden Euro ausgegeben werden. Er bezog sich auf Bibliotheken, obwohl letztere eine deutlich bessere Marktdurchdringung aufweisen. Man erinnert sich dabei gewiss an die vom dbv initiierte Nichtnutzungsstudie oder denke an die eine oder andere Studie zu Sinus-Milieus.
Wer kommt eigentlich nicht und woran könnte es liegen, was sind die Teilhabevoraussetzungen? Über die Beschreibung von Barrieren und Motivation präsentierte er den angelsächsischen Ansatz des Audience Development und stellte ihre fünf Strategien vor, welche Outreach, Partizipation, Ambassador, Kooperation und Vermittlung sind. Mit der Umsetzung kann die Förderung der kulturellen Teilhabe in größerem Umfang als bislang gelingen.
Coffee Lectures, Menüs und Schülerseminare
Mit Blick auf den Ideenreichtum an schmackhaften und spielerisch angelegten Informationsveranstaltungen unter anderem in Zürich liegt im bibliothekarischen Umfeld gewiss die Förderung der bildungsbezogenen Teilhabe am Herzen. Dass sich Bibliotheken einen Bildungsauftrag auf die Fahnen schreiben, ist unstrittig. An einem Züricher Informationszentrum wirbt man um seine Klientel mit coffee lectures, Menükarten und einem individualisierten Newsletter.
In Wildau sollen die vielen Schulkinder im Rahmen ihrer Seminarkurse zur Erlangung wissenschaftspropädeutischer Kompetenz spielerisch mittels Mitmachexperimente gewonnen werden. Zur Belohnung leuchtet eine handtellergroße im 3D-Druck hergestellte Kugel in verschiedenen Farben. Für das Auditorium des Symposiums gab es in diesem Zusammenhang ebenfalls ein interaktives Element, ein Life-Quiz namens kahoot. Fielen die Antworten im Plenum darüber, ob Informationseinrichtungen einen Bildungsauftrag haben, eindeutig mit ja aus waren die Rückmeldungen sehr unterschiedlich, ob sich dieser Bildungsauftrag appetitlich verpacken lässt (siehe Screenshots). Ein spontaner Stimmungstest mit keinesfalls nur erwartetem Ausgang.
Informationen überall – von der digitalen Litfaßsäule bis zum Roboter
Leider kam der erste humanoide Roboter in einer Bibliothek erst zwei Tage nach der Konferenz in Wildau an; ein 1,2 m hoher Mr Pepper. Aber das Konzept, wie er oder sie eingebunden werden soll, gerade im Rahmen der sogenannten unbemannten Bibliothek während der 24/7 Servicezeit, konnte überzeugend von einem Wildauer Telematiker als Teil seiner Masterarbeit beschrieben werden. Für ähnliche Interaktionen dienen in der neuen UB Freiburg digitale Litfaßsäulen, auch unter dem Aspekt, dort komplett auf Papieraushänge zu verzichten.
Informationen überall an passenden Orten innerhalb der Bibliothek verfügbar zu machen, betrifft auch ihren Kern, den physischen Bestand. Aus diesem Grund wurden die Ideen der fluiden Bibliothek, floating collection und Chaosverwaltung abermals auf dem Symposium thematisiert. Für das Kölner Kollegium zeichnet sich eine sehr konkrete und spannende Umsetzung ab.
Mut und Beharrlichkeit bei Bibliotheksmanagementsystemen
Erfahrungen und Handreichungen findet eine Bibliothekarin beziehungsweise ein Bibliothekar schnell, soll sie oder er allen Dienstleistungen ein neues Gehäuse geben. Planungsgrundlagen wie DIN-Fachberichte legen den roten Faden. Aber wie geht man vor, soll man nach den vielen freien und kommerziellen integrierten Bibliotheksmanagementsystemen auf dem Markt noch einmal einen Neuaufschlag wagen?
Die global von vielen Entwicklerinnen und Entwicklern und Einrichtungen getragene koha-Entwicklung, die nun selbst an den Bibliotheken der Goethe-Institute Einzug halten wird, reicht nicht den Ansprüchen eines umfassenden Wurfs. Also bildeten die großen Verbünde hbz und GBV seit 2012 eine Task-Force und versuchen sich am Quantensprung von LBS hin zu Folio, einer Lösung, die auch Forschungsdaten, Learning Management Systeme etc. aufnehmen soll. Der Ausgang ist offen, den Weg zu beschreiten mutig. Mit diesem letzten Beitrag ist auch das Versprechen des Eröffnungsvortrags eingelöst, wo genau diese beiden Tugenden, Mut und Beharrlichkeit, für den Berufsethos der Bibliothekarin beziehungsweise des Bibliothekars für das 21. Jahrhundert eingefordert wurden.
Wendige Sportschiffe, abgesehen vom Mangel an Zeit, Geld und Personal
Summa summarum klappte es ganz gut, einmal die Totschlagargumente wie Mangel an Zeit, Geld und Personal prima facie außen vor zu lassen, damit es nicht nur im Filmklassiker damit klappt, dass das oft in der Szene zitierte Schiff oder der Tanker – ob groß oder als Binnenschiff im Sportdesign – den Berg hinauf fährt.
Mit dem Rückenwind sei der Blick zur 10. Auflage dieses Konferenztyps gewagt, die am 12./13. September 2017 geplant ist, abermals im familiären Rahmen. Save the date! Erste Themen sind bereits gesetzt, so wird eine Bielefelder Kollegin zu dem Thema referieren: Wenn die Chefin Theater macht – Unternehmenstheater als Teambildungsmaßnahme in der Bibliothek.
→ Autor: Frank Seeliger (Leiter der Hochschulbibliothek, TH Wildau)
→ Korrektorat: Janna Brechmacher, Elke Greifeneder, Jens Ilg, Oliver Renn
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