Unterwegs im Social Web: Kostenlos, aber nicht umsonst!
Ob beruflich oder privat, wir nutzen jeden Tag Anwendungen wie Facebook, Instagram, Twitter, WhatsApp, XING oder LinkedIn. Sie dienen der Vereinfachung der Kommunikation und Vernetzung. Für viele überwiegen die Vorteile, aber wie steht es um die Nachteile? Wie privat ist die Kommunikation auf den Plattformen und was ist öffentlich? Eine komplexe Fragestellung, auf die es keine einfache Antwort gibt, und der ich mich in meiner Masterarbeit gewidmet habe.
“Der Wandel von Privatsphäre und Öffentlichkeit im Social Web” lautete das Thema meiner Masterarbeit, die ich von Oktober 2015 bis Februar 2016 bei PD Dr. Stefan Münker und PD Dr. Eleonore Kalisch geschrieben habe. Die zentralen Fragestellungen befassten sich damit, wie sich der Wertewandel des Privaten und des Öffentlichen in der Gesellschaft vollzieht und welchen Einfluss das Social Web hat. Insbesondere fand ich die Frage spannend, welchen Einfluss Social Web-Plattformen wie Facebook auf den Umgang der Nutzer mit privaten Daten haben.
Alles nur für die Nutzer: Daten sammeln, erfassen und weiterverarbeiten
Zunächst ist es für die Beantwortung der Frage wichtig, sich über bestimmte Grundlagen bewusst zu sein. Auf sämtlichen Plattformen stehen sich verschiedene Öffentlichkeiten gegenüber. Während Freunde oder Follower als sichtbare Öffentlichkeiten genannt werden können, gibt es auch die Unternehmen im Hintergrund, die unsichtbar bleiben. Letztere sammeln Daten, werten sie aus, geben sie an Dritte weiter – und das ganz im Sinne der Verbesserung der auf das Individuum zugeschnittenen Angebote und mit der Zustimmung der Nutzerinnen und Nutzer.
So heißt es beispielsweise auf Facebook.com: “Facebook ist und bleibt kostenlos”. Auch Facebook ist ein Unternehmen, das Gewinne erzielt – und zwar durch die Weitergabe der Nutzerdaten. Mit der Bestätigung der Datenschutz- und Nutzungsbestimmungen akzeptiert jede Nutzerin und jeder Nutzer, dass diese Daten individuell erhoben werden. Aber ist es wirklich das Individuum, das zählt?
Digitale Abbildungen des Nutzungsverhaltens
In der Medientheorie haben diese virtuellen Duplikate, die durch die Vielzahl an gesammelten Inhalten mit Daten über das Nutzungsverhalten des Users bestückt werden, einen einprägsamen Namen: Digital Double. Bei jeder Google-Recherche, jeder Suche auf Facebook oder jedem Klick auf einen Link bei Twitter werden diese Daten gesammelt und zu einem digitalen Duplikat des Nutzungsverhaltens zusammengefügt. Das Resultat ist z.B. personenbezogene Werbung. Hier stellt sich die Frage, inwieweit wir als Nutzer des Social Webs überhaupt noch freie Entscheidungen treffen, wenn doch die Algorithmen die meisten Entscheidungen schon vorfertigen.
Danke, dass du mit deinen Daten bezahlst
Diese App ist kostenlos – wirklich? Geld musst nicht bezahlt werden, soweit stimmt es, aber umsonst ist es nicht. Allzu oft wird gesagt: “Ist mir doch egal, ob Facebook alles weiß, ich hab doch nichts zu verbergen.” Oftmals werden solche Aussagen von Nutzerinnen und Nutzer getroffen, denen die Privatsphäre sehr wichtig ist. Während sie im beruflichen Kontext z.B. penibel darauf achten welche Informationen sie wem mitteilen, verhalten sie sich bei der Nutzung von Facebook eher freigiebig mit ihren Daten. Dies stellt ein paradoxes Verhalten dar. Auf der einen Seite ist der Schutz der Privatsphäre sehr wichtig, auf der anderen geben sie gleichzeitig bereitwillig ihre Daten an. Dieses Phänomen wurde von Susan Barnes als Privacy Paradox beschrieben. Es besagt, dass das Verhalten der Nutzerinnen und Nutzer nicht mit ihren Einstellungen übereinstimmen.
Enge Freunde, flüchtige Bekannte, Arbeitskontakte – alle unter einem Hut?
Es sind aber nicht nur die gesammelten Daten, die großen Einfluss haben. Vor allem sind es auch die Daten selbst, die von den Nutzerinnen und Nutzern eingestellt werden, über die sie sich Gedanken machen sollten. Im Social Web wird oft vergessen, dass sich verschiedene Öffentlichkeiten gegenüberstehen.
Facebook nennt sie Freunde, bei Twitter sind es Follower und so weiter – so werden alle Personenkreise zusammengefasst, wenngleich sie eigentlich getrennt voneinander betrachtet werden sollten. Dadurch kommt es nur allzu oft zu einem Context Collapse, also einem Aufeinandertreffen verschiedener Bereiche, die nicht die gleichen Informationen erhalten sollten. Während man in engen Freundschaften einen privaten und sehr persönlichen Austausch hegt, besteht oftmals der Wunsch, das Arbeitsleben und berufliche Kontakte aus diesem Kontext auszuschließen. Wird jedoch darauf nicht genau geachtet und zum Beispiel die Reichweite des Posts nicht präzise eingeschränkt, verschmelzen die Öffentlichkeiten. Zusätzlich funktionieren Soziale Netzwerkplattformen auf Grundlage des Teilens und Kommentierens. Wird also ein Post von jemandem geteilt, sehen diesen Post auch dessen Freunde. Teilt ein weiterer Freund diesen Post, wird die Reichweite nochmals erhöht. Auch so kann es zu einem Context Collapse kommen.
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Der Schneeball rollt – und das Netzwerk wird größer
Wichtig ist vor allem, dass man sich dessen bewusst ist, dass es verschiedene Öffentlichkeiten auf sozialen Netzwerkplattformen gibt. Es sind profitorientierte Unternehmen einerseits und verschiedene Bekanntschaften auf der anderen Seite. Man wird auf Facebook direkt dazu aufgefordert, seine Daten preiszugeben, denn erst dann geht der Netzwerkansatz auf. Durch den Schneeballeffekt, dass man sich mit Freunden von Freunden befreundet und darüber weitere Freunde findet und diese hinzufügt, entsteht ein anwachsendes Netzwerk.
“You have zero privacy anyway, get over it” Scott McNealy (Sun Microsystems)
Pessimistisch betrachtet ist die Privatsphäre vielleicht gar nicht mehr vorhanden – aber soll man sich tatsächlich damit abfinden? Ist das Ende der Privatsphäre erreicht? Noch nicht, jedenfalls solange darüber gesprochen wird, dass Privatsphäre ein zu schützendes Gut ist und der Wert des Privaten immer noch geachtet wird. Oder ist es vielleicht einfach nur nötig umzudenken? Heutzutage ist es für viele nicht mehr zeitgemäß, ausschließlich im Vieraugengespräch private Informationen zu teilen. Vielmehr verlagert sich die Kommunikation zunehmend auf die digitale Sphäre. Wo auch immer wir sind, teilen viele von uns Informationen mit und verschicken Fotos z.B. per WhatsApp. Ja, so werden Daten weitergegeben, und ja, sie werden verwendet, um personenbezogene Werbung für uns anzeigen zu lassen. Aber wollen wir darauf verzichten? Dies muss jeder für sich selbst entscheiden – und vielleicht auch mit seinen „Freunden“ ausdiskutieren!
Interessante Links zum Thema
- danah boyd’s writing: Spannende Publikationen zum Spannungsfeld Gesellschaft und Technologie von Danah Boyd (Gastprofessur des Interactive Telecommunications Program der New York University),
- Zygmunt Baumanns (Prof. em. Soziologie und Philosophie, University of Leeds) Vortrag auf der re:publica 2015: From Privacy to Publicity: The Changing Mode of “Being-in-the-world”,
- Die Literaturhinweise und Arbeitsbereiche der interdisziplinären Privatheitsforschung an der Universität Passau
- 3Sat: Gert Scobel diskutiert mit seinen Gästen Sandra Seubert, Christian Alexander und Frank Rieger darüber, wie eine moderne Form der Privatheit gelebt werden kann
- Artikel (PDF) zur Frage Ende der Privatheit?
Eine Sicht der Medien- und Kommunikationswissenschaft von Prof. Dr. Petra Grimm (Hochschule der Medien Stuttgart) und Prof. Dr. Hans Krah (Universität Passau). - Boyd, Danah, Hargittai, Eszter: Facebook privacy settings: Who cares?. First Monday, [S.l.], jul. 2010. ISSN 13960466, doi:10.5210/fm.v15i8.3086. (PDF)
Literaturhinweise:
- Nissenbaum, Helen Fay: Privacy in context: Technology, policy, and the integrity of social life. Stanford: Stanford Law Books, 2010,
- Schrems, Max: Kämpf um deine Daten. Wien: edition a, 2014,
- Solove, Daniel J.: The End of Privacy? In: Scientific American, 299, 3 (2008). S. 100–106,
- Taddicken, Monika: The ›Privacy Paradox‹ in the Social Web: The Impact of Privacy Concerns, Individual Characteristics, and the Perceived Social Relevance on Different Forms of Self-Disclosure. In: Journal of Computer-Mediated Communication, 19, 2 (2014). S. 248–273.
→ Autorin: Johanna Kuhnert (Koordinationsassistentin des Leibniz-Forschungsverbund Science 2.0, ZBW – Leibniz-Informationszentrum Wirtschaft, Abteilung “Soziale Medien”)
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