Vienna Principles for Scholarly Communication: Visionen für Open Science

Open Science besitzt das Potential, die offensichtlichen Defizite im System der Wissenschaftskommunikation zum Positiven zu verändern. Es fehlt aber noch eine in der Open Science-Community allgemein geteilte Vision, wie das zukünftige System aussehen sollte. Stattdessen gibt es bislang eine Menge impliziter Annahmen. Um diese explizit zu machen und die wünschenswerten Grundsätze des zukünftigen Wissenschaftssystems zu diskutieren, haben sich die Mitglieder des Open Access Network Austria (OANA) wiederholt in Wien getroffen. Das Ergebnis sind 12 Prinzipien als Eckpfeiler für die Zukunft des Systems der Wissenschaftskommunikation, die am 15. Juni veröffentlicht wurden, die “Vienna Principles: A Vision for Scholarly Communication in the 21st Century”.

Sie sollen als Diskussionsrahmen und Inspiration für die Entwicklung einer geteilten Vision für die Wissenschaftskommunikation dienen. Daher laden die Autorinnen und Autoren zur Diskussion und Ergänzung der Vienna Principles ein, die für weitere Versionen weiterentwickelt werden sollen. Mit der Entwicklung der Vision sollen zudem die Bedeutung von Offenheit für Wissenschaft und Gesellschaft unterstrichen und das Konzept der Open Science verständlicher werden.

Defizite im jetzigen Wissenschaftssystem

Wissenschaftskommunikation im Sinne der Autorinnen und Autoren umfasst den Prozess der Produktion, des Reviews, der Organisation, der Verbreitung und der Aufbewahrung von wissenschaftlichen Erkenntnissen und ist nicht ausschließlich für die Forschenden von Bedeutung, sondern auch für große Teile der Gesellschaft.

In dem Dokument listen die Autorinnen und Autoren zunächst die Defizite auf, die sie im gegenwärtigen System der Wissenschaftskommunikation sehen. Dazu zählen

  • der eingeschränkte Zugang zu wissenschaftlichen Ergebnissen, oft abstrakte, fachspezifische Formulierungen und eingeschränkte Collaboration, die den Wissenstransfer und somit wissenschaftlichen Fortschritt und Innovationen einschränken,
  • ineffiziente Prozesse und hohe Kosten unter anderem durch das immense Wachstum an Forschungsoutput und dadurch, dass das Potential der digitalen Technologien derzeit nicht ausgeschöpft wird, sondern in vielen Wissenschaftsdisziplinen nach wie vor traditionelle Methoden der Wissenschaftskommunikation dominieren,
  • der Mangel an Reproduzierbarkeit und Transparenz, die eine Bewertung der Qualität von Forschungsergebnissen erschweren,
  • technische und juristische Barrieren, die oft eine Nachnutzung von Forschungsoutput und so den Wissenstransfer behindern,
  • Fehlanreize im Wissenschaftssystem, die etwa zu einer höheren Bewertung von Quantität im Vergleich zur Qualität von Forschungsergebnissen führen.

 

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Die 12 Grundsätze des “Vienna Principles for Scholarly Communication” adressieren diese Kritikpunkte:

  1. Zugänglichkeit

Wissenschaftliche Ergebnisse sollten sofort, offen und langfristig für alle Menschen zugänglich sein, da sie den Wohlstand der Gesellschaft erhöhen können. Der freie Fluss von Wissen, innerhalb der wissenschaftlichen Community und darüber hinaus, erleichtert den Austausch, die Zusammenarbeit und die Anwendung von Forschungsergebnissen und sollte nicht durch technische, finanzielle oder juristische Hürden eingeschränkt werden.

  1. Auffindbarkeit

Niemals zuvor gab es so viele Forschende und niemals waren sie aufgrund neuer Technologien und Kommunikationsmöglichkeiten so produktiv wie heute. Da sie einen beträchtlichen Teil ihrer Zeit damit beschäftigt sind, ihre eigene Forschung zu kommunizieren und über den Stand der Forschung auf dem Laufenden zu bleiben, sollten wissenschaftliche Erkenntnisse so organisiert werden, dass die für das Individuum relevante Forschung effizient und effektiv zu identifizieren ist. Zudem sollten Forschende einfach Feedback und Aktivitäten, die in Zusammenhang mit ihrer Forschung stehen, finden können.

  1. Wiederverwendbarkeit

Wissenschaftskommunikation sollte jede und jeden in die Lage versetzen, effektiv an der Forschungsarbeit von anderen anzuknüpfen, denn Ideen entstehen nicht in einem Vakuum und moderne Forschung basiert auf Kooperation. Die Weiterverwendung von Forschungsergebnissen ermöglicht es, voneinander zu lernen und die Produktion neuen Wissens zu beschleunigen. Solange die Urheberschaft angemessen kenntlich gemacht wird, sollte daher ein Maximum an Wiederverwertung und Weiterverarbeitung zulässig sein.

  1. Reproduzierbarkeit

Wissenschaftliche Ergebnisse sollten reproduzierbar sein, wobei die Nachvollziehbarkeit des Forschungsprozesses als Mindestanforderung anzusehen ist. Rohdaten und eine Dokumentation des Forschungsprozesses sollten ebenso mitgeliefert werden wie die (Zwischen-)Ergebnisse. So werden das Methodenverständnis und die Qualitätsbewertung vereinfacht und ebenfalls versehentliche Fehler oder bewusste Täuschungen aufdeckbar gemacht.

  1. Transparenz

Neues Wissen baut auf Erkenntnissen aus der Vergangenheit auf. Daher sollten entsprechende Kontextinformationen zur Verfügung stehen, die eine einfache Einschätzung der Glaubwürdigkeit ermöglichen. Dazu gehören Informationen von Autorinnen und Autoren, aus dem Peer Review oder aus anderen Feedback-Formen, ebenso wie Antworten auf die folgenden Fragen: Wer, was, wann, wo und warum, ebenso wie “Wer hat dafür bezahlt?” und “Wie ist es rezipiert worden?”.

  1. Verständlichkeit

Der Dialog unter Forschenden oder zwischen Forschenden und ihren Anspruchsgruppen ist wechselseitig gewinnbringend für Forschung und Gesellschaft. Möglichst klare und prägnante Kommunikation sollte verwendet und an die Adressaten und die Situation angepasst werden, um den Wissenstransfer innerhalb der Forschung und darüber hinaus, ebenso wie die Einbindung von Interessierten, zu fördern.

  1. Collaboration

Die Zusammenarbeit von Forschenden und ihren Anspruchsgruppen sollte unterstützt werden, da beide Seiten von der Zusammenarbeit profitieren können, etwa bei der Mitarbeit von Citizen Scientists in Forschungsprojekten. So kann ein besseres Verständnis von Forschung geschaffen werden und Forschende können Feedback und relevante Forschungsfragen und in manchen Fällen sogar direkte Unterstützung erhalten.

  1. Qualitätssicherung

Transparente und kompetente Reviews stellen sicher, dass Forschungsergebnissen vertraut und auf ihnen weiter aufgebaut werden kann. Daher sollten Anreize für das Erstellen von Reviews geboten werden, die sie auf eine Stufe mit der Durchführung von Forschung stellen, um so ein ausgewogenes Verhältnis zwischen der Produktion und der Sicherung von Wissen herzustellen. Transparente Kommunikation und Open Peer Reviews können zudem die Qualität von Reviews steigern.

  1. Evaluierung

Die Evaluierung wirkt sich auf den wahrgenommenen Einfluss von Forschungsergebnissen, Forschenden, Journals oder Institutionen aus und daher auf die Art und Weise, wie Forschungserkenntnisse produziert werden. Faire und angemessene Evaluierungsprozesse sind somit notwendig. Um eine gute Basis für zukünftige Forschung zu errichten, sollten die Anreizstrukturen verändert und Forschungsqualität gegenüber -quantität bevorzugt werden.

  1. Validierter Fortschritt

Forschungslücken sollten identifiziert, Unsicherheiten und Risiken akzeptiert werden, um zum Testen ungewöhnlicher Methoden und Theorien zu ermutigen. Ebenso wichtig ist die Bestätigung vorhandener Forschungsergebnisse, um für zukünftige Forschung eine belastbare Basis zu haben. Aus diesem Grund sollte die Reproduktion und Überprüfung vorhandenen Wissens gefördert werden.

  1. Innovation

Von Seiten der Wissenschaft selbst sollten die Potentiale neuer Technologien für die Forschung und Zusammenarbeit bereitwillig genutzt werden. Insbesondere das Web hat die Art, wie Informationen kreiert, weitergegeben, entdeckt und konsumiert werden, revolutioniert, ohne dass diese Potentiale bislang vollkommen für die Wissenschaftskommunikation ausgeschöpft werden.

  1. Wohl der Allgemeinheit

Wissenschaftliche Erkenntnisse sind zentral für die Entwicklung der Gesellschaft. Da Wissen eher wächst, wenn es geteilt wird, sollten keine Barrieren die Nutzung und Wiederverwendung von Forschungsergebnissen einschränken. Wissenschaftliche Erkenntnisse sollten jedem Menschen zur Verfügung stehen, um davon zu profitieren und zum Gemeinwohl beizutragen.

 

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Birgit Fingerle ist Diplom-Ökonomin und beschäftigt sich in der ZBW unter anderem mit Innovationsmanagement, Open Innovation, Open Science und aktuell insbesondere mit dem "Open Economics Guide". (Porträt: Copyright

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