Wissenschaft im Social Web: Elfenbeinturm oder Medialisierung?
Wissenschaftliche Arbeit ist häufig dem Vorwurf ausgesetzt, abgeschottet im Elfenbeinturm zu geschehen. Aber wird heutzutage im Kampf um Aufmerksamkeit nicht ohnehin bereits der kleinste Erkenntnisgewinn per Twitter mit der Öffentlichkeit geteilt? In welchem Spannungsfeld sich Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler bewegen, war Thema einer Session im Rahmen der Hamburger Social Media Week 2016.
In der Session „Adieu Elfenbeinturm! Wissenschaftler in sozialen Netzwerken“ im Rahmen der Social Media Week Hamburg am 26.02.2016 diskutierten
- Prof. Dr. Matthias Kohring, Professor für Medien- und Kommunikationswissenschaft, Universität Mannheim,
- Dr. Wiebke Loosen, Kommunikationswissenschaftlerin und Forscherin am Hans-Bredow-Institut,
- Dr. Joachim Schulz, Physiker und Blogger und
- Dr. Jakob Vicari, Wissenschaftsjournalist.
Eine Zusammenfassung zentraler Aussagen der Diskussion gibt einen Einblick in das Spannungsfeld:
Wer ist die “breite Öffentlichkeit”?
Durch soziale Medien und MOOCs verändert sich das Verhältnis von Studierenden und Lehrenden. Dies wird teilweise als Chance für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler gesehen, aus der Filterblase herauszukommen. Andererseits, so lautete ein Einwand, haben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zum Teil ohnehin bereits viel Kontakt zur Öffentlichkeit und befänden sich daher sowieso nicht im Elfenbeinturm.
Wenn Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mittels sozialer Medien die Öffentlichkeit erreichen möchten, so fangen die Schwierigkeiten schon damit an, dass Follower in sozialen Medien nicht die breite Öffentlichkeit repräsentieren. Die breite Öffentlichkeit nutzt Twitter nicht, aber Journalistinnen und Journalisten sowie Kolleginnen und Kollegen können darüber erreicht werden. Die breite Öffentlichkeit einerseits und Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler andererseits sind dabei aber nicht als zwei Blöcke zu betrachten, denn letztere stellen auch einen Teil der breiten Öffentlichkeit dar, wenn sie sich als Fachfremde über Forschung in anderen Disziplinen informieren. Eine Kehrseite der Möglichkeit, dank sozialer Medien selbst das Wissen an Journalistinnen und Journalisten weitergeben zu können, ist, dass es dessen verständliche Aufbereitung und Visualisierung trivialisiert.
Öffentlichkeit erwünscht – aber nur in Maßen
Ihre wissenschaftlichen Ergebnisse stehen für die meisten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler im Vordergrund, nicht sie selbst als Person. Der „Personal Touch“, der im Social Web üblich und „notwendig“ ist, harmoniert damit nicht. Medien funktionieren aber genau über Geschichten und Personen. Zudem ist zwar eine gewisse Medienpräsenz erwünscht, Kolleginnen und Kollegen könnten aber, wenn ein bestimmter Grat überschritten wird, unterstellen, dass die betreffende Person nicht genug zu forschen habe.
Des Weiteren besteht die Gefahr, dass Forscherinnen und Forscher ausschließlich an ihrer Bekanntheit gemessen werden, es daher nur noch um Selbstmarketing ginge und die eigentliche Forschung in den Hintergrund rücken würde. Allerdings brauchen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler gerade auch die Ruhe und Abgeschiedenheit, um gut forschen zu können.
Publikationen als Währung – eine Gefahr für den wissenschaftlichen Fortschritt?
Aufgrund der Publikationsflut sei es in manchen Fachgebieten schon schwierig, den Stand der Forschung herauszufinden, wurde in der Diskussion geäußert. Und mancher Nobelpreisträger, der vielleicht nur drei Publikationen nachweisen kann, sähe für sich im heutigen Wissenschaftssystem, in dem Publikationen als Währung dienen, keine Chance mehr. Angesprochen wurde darüber hinaus die Existenz von Zitationskartellen. Andererseits müsste man nur etwas sehr Provokantes schreiben, schon würde man zitiert. Dies sagt aber nichts über die Qualität des Zitierten aus. Altmetrics sind laut Kohring ein weiteres Instrument der Medialisierung und messen ebenso wie der Impact Factor als altes Messinstrument keine Qualität. Im Wunsch nach der Messbarkeit der wissenschaftlichen Arbeit käme das mangelnde Vertrauen der Politik zum Ausdruck.
Eine bislang nur ein Teilbereichen vorhandene Öffnung des wissenschaftlichen Prozesses begrenzt derweil den Erkenntnisgewinn: Einerseits sind Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler darauf angewiesen, ihre Karriere zu pushen, wofür es in ihrem Interesse ist, ihre Forschungserfolge zu publizieren. Andererseits würde eine größere Transparenz in Bezug auf den Forschungsprozess und gerade auch in Bezug auf gescheiterte Forschungsarbeit einen größeren Erkenntnisgewinn fördern. Das Publizieren in die Templates von Journals hinein verhindere die Veröffentlichung von manchem Erkenntnisgewinn der Gestalt “das hat funktioniert, das nicht so”. Eine weiterhin vorhandene Schließung und Abkapselung der Wissenschaft kommt dadurch zum Ausdruck, dass der Prozess der Forschung, inklusive des Scheiterns, nicht dargestellt wird.
Projektergebnisse aus dem Leibniz-Forschungsverbund Science 2.0 als ergänzende Information:
- Die Ergebnisse des Science 2.0-Survey geben Auskunft darüber, wie Social Media und webbasierte Anwendungen in der Wissenschaft genutzt werden.
- Guidelines für Wirtschaftswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler, die ihre Sichtbarkeit bei Twitter erhöhen möchten, wurden in dem Projekt “Sichtbarkeit für WiWis” entwickelt.
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