Arbeit 4.0: Was bedeuten die Megatrends Digitaler Arbeit für Bibliotheken?

Wenn unsere Welt zunehmend digital geprägt wird, hat dies Auswirkungen auf unsere Arbeitsorganisation. Bibliotheken  müssen sich einerseits als Arbeitsumgebungen für ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter darauf einstellen und andererseits ihre Dienstleistungen entsprechend anpassen. Anhaltspunkte liefert die kürzlich veröffentlichte Expertenbefragung mit 25 Thesen zur Arbeit 4.0.

Anfang September 2015 wurden die Ergebnisse einer Expertenbefragung von der Telekom und der Universität St. Gallen veröffentlicht: „Arbeit 4.0: Megatrends Digitaler Arbeit der Zukunft – 25 Thesen”. Die Ergebnisse werfen ein Schlaglicht auf die Auswirkungen der Digitalisierung auf die Arbeitswelt. Laut der Studie befinden wir uns an der Schwelle zur 4. Industriellen Revolution – mit tiefgreifenden Umwälzungen für die Art und Weise wie wir zusammenarbeiten. Treiber der Veränderungen zur Industrie 4.0 sind die Fortschritte auf dem Gebiet der künstlichen Intelligenz bzw. dem Maschinenlernen sowie die stark zunehmende Verbreitung von intelligenten Endgeräten, Robotern und der Kommunikation über soziale Medien.

Zentrale Ergebnisse der Befragung zu Arbeit 4.0 sind:

  1. „Maschinen ersetzen Mitarbeiter.“
  2. „Kunden kooperieren mit Computern“.
  3. „Unternehmen lösen sich auf.“
  4. „Arbeitnehmer verweigern die Hierarchien.“

Sowohl als Anbieter, die ihr Serviceprofil an sich ändernde Anforderungen ihrer Nutzerinnen und Nutzer anpassen möchten, als auch als Organisationen, in denen gearbeitet wird, müssen Bibliotheken prüfen, wie sie mit den vorhergesagten Veränderungen umgehen. Auf welche in der Studie genannten Veränderungen sollten Bibliotheken sich besonders einstellen?

Flüssige Organisationsgrenzen

Organisationsgrenzen werden  in Zukunft  durchlässiger. Zum einen werden zunehmend mehrere Organisationen zu Produkten und Dienstleistungen beitragen und die einzelnen Anbieter dahinter weniger sichtbar sein. Dies kann für Bibliotheken eine Herausforderung bedeuten, da es schwieriger wird, nachzuweisen, welchen wichtigen Beitrag sie beispielsweise mit ihren hochwertigen Daten liefern. Den Möglichkeiten und den Anforderungen zum organisationsübergreifenden Zusammenarbeiten stehen zudem nach heutigen Maßstäben oft die Strukturen des öffentlichen Dienstes im Wege. Zum anderen liegt in der konsequenten Öffnung die Chance für Bibliotheken, von Open Innovation nachhaltig zu profitieren und gestiegenen Transparenzanforderungen der Öffentlichkeit nachzukommen.

Flexible Arbeitsorganisation, lose Zusammenarbeit

Hierarchien und organisatorische Zugehörigkeit verlieren an Bedeutung, fachliche Expertise und die Selbstorganisation in Communities bestimmen die Arbeitsorganisation 4.0. Organisationen werden sich laut der Studie anhand von Software strukturieren, nicht anhand von Organigrammen. Zudem löst sich die Arbeitnehmer-Arbeitgeber-Bindung auf. Es wird weniger in festen Arbeitsverhältnissen und mehr auftragsbezogen gearbeitet. Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer stehen ständig mit einem Bein im Arbeitsmarkt. Gleichzeitig haben sie höhere Erwartungen an die Arbeitgeber in Bezug auf ihre persönliche Entwicklung. Dies wird auch vor den Erwartungen an die Arbeit in Bibliotheken nicht Halt machen; es gilt dies mit den Gewohnheiten und Regelungen des heutigen öffentlichen Dienstes in Einklang zu bringen.

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Arbeitskräfte werden noch mehr global verteilt sein. Ort und Zeit der Arbeitserbringung entkoppeln sich von den traditionellen Gegebenheiten und bieten mehr Gestaltungsfreiheit. Damit einher geht ein Wandel von der Präsenz- zur Ergebniskultur. Führungskräfte müssen sich von der Idee, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter kontrollieren zu können, komplett lösen, und ihre Fähigkeiten im Führen auf Distanz – auch über unpersönliche technische Kanäle – stärken.

Crowdsourcing als Übergangsphänomen zur vollkommenen Digitalisierung

Maschinen übernehmen immer mehr der eigentlichen Arbeitsleistungen, insbesondere Routinetätigkeiten, und werden so zunehmend zu „Kollegen“. Die Rolle der Menschen wandelt sich immer mehr zu Kontrolleuren der Maschinen. Cloud- und Crowdworking werden in diesem Zusammenhang als Übergangsphänomene gesehen, bis die betroffenen Tätigkeiten voll digitalisiert sind und keine Clickworker für die Akkordarbeit mehr benötigt werden. Dies wird vermutlich ebenso auf alle standardisierbaren Routinetätigkeiten in Bibliotheken angewendet werden, beziehungsweise wird es einen entsprechenden Druck erzeugen.

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Soweit Menschen noch standardisierten Tätigkeiten nachgehen, sollen diese unterhaltsam gestaltet sein und Belohnung versprechen. Gamification und intuitive Bedienbarkeit werden von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern für standardisierte Arbeitsumgebungen zunehmend gefordert; vermutlich ebenso von Nutzerinnen und Nutzern.

Aus Daten Sinn machen und Kreativität als Schlüsselqualifikation

Für manche Tätigkeiten werden Maschinen aber auch in Zukunft die Fähigkeiten fehlen. Diese gewinnen daher als Schlüsselqualifikationen für menschliche Arbeitskräfte eine größere Bedeutung. Dazu zählt die Fähigkeit,  aus der kaum überschaubaren Big Data sinnvolle Kombinationen und Interpretationen zu erstellen. Es ist zu vermuten, dass in Bibliotheken neue Berufsbilder rund um Big Data entstehen werden. Auch kreative und unternehmerische Fähigkeiten lassen sich auf absehbare Zeit nicht maschinell subsituieren und werden damit wohl auch in Bibliotheken einen größeren Raum einnehmen.

Personenbezogene Dienstleistungen werden aufgewertet

Im Unterschied zu allen Tätigkeiten, die standardisierbar sind beziehungsweise anonym durchgeführt werden und dem Digitalisierungsdruck unterliegen, werden Tätigkeiten mit direkter menschlicher Interaktion aufgewertet und nehmen zu, so ein Ergebnis der Studie. Vielleicht finden sich am Ende der Umwälzungen in Bibliotheken mehr Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter für den persönlichen Service und die Beratung?

Technisches Können statt formaler Qualifikation

Nicht mehr die formale Qualifikation ebnet in Zukunft den Weg in die Arbeit, sondern das technische Können. So können technische „Wunderkinder“ in die obersten Unternehmensetagen aufsteigen. Sie tragen zusätzlich zum disruptiven Wandel von Unternehmenskulturen bei. Fraglich ist, inwiefern Bibliotheken in einem auf formalen Qualifikationen aufbauenden öffentlichen Dienst hier „mitspielen“ können. Zudem sollten sie sich fragen, inwiefern sie Nutzerinnen und Nutzer verstärkt beim Aneignen technischen Könnens unterstützen könnten. Die bereits begonnene Einrichtung von Makerspaces in Bibliotheken dürfte vermutlich einen Aspekt zur Antwort beitragen.

Arbeitsorte im öffentlichen Raum

Menschen, die zunehmend in flexiblen Arbeitsverhältnissen beschäftigt sind, breiten ihre Arbeitsorte im öffentlichen Raum aus. Physische Büros dienen als temporäre Ankerpunkte für menschliche Interaktion und das Netzwerken. Gearbeitet wird quasi überall – solange es nicht der eigene Schreibtisch ist. Auch Bibliotheken könnten im Zuge dessen weiter als Arbeitsorte an Beliebtheit gewinnen, möglicherweise auch selbst als Anbieter von CoWorking-Space auftreten. Gleichzeitig werden ihre eigenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auch flexibel überall arbeiten können wollen.

Arbeitsumgebungen und -prozesse ständig überwacht

Technisch wird es möglich sein, mit Sensoren und vernetzten Maschinen Arbeit fortlaufend zu überwachen. Umgebungseigenschaften, Prozesse, Arbeitsergebnisse und die Arbeitenden selbst können laufend aufgezeichnet werden. So können alle Beteiligte Informationen über Qualität und Verbesserungspotenziale der Arbeit bekommen. Dies könnte auch auf Räumlichkeiten und Online-Umgebungen von Bibliotheken angewendet werden, um immer ein möglichst optimales Nutzungsergebnis zu liefern, sofern dies nutzbringend erscheint und ethischen wie rechtlichen Bedenken, etwa im Datenschutz, Stand hält.

Autorin: Birgit Fingerle (ZBW – Leibniz-Informationszentrum Wirtschaft; Soziale Medien, Stabsstelle Innovationsmanagement)

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Birgit Fingerle ist Diplom-Ökonomin und beschäftigt sich in der ZBW unter anderem mit Innovationsmanagement, Open Innovation, Open Science und aktuell insbesondere mit dem "Open Economics Guide". (Porträt: Copyright

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