„Long live the open Internet“ oder ein Update für das Cluetrain Manifest
Eine Art „Update“ des Cluetrain Manifests stellen die nun veröffentlichten „New Clues“ von Doc Searls und David Weinberger, zwei der ursprünglichen Autoren des Klassikers der Online-Kommunikation dar. Ihre Motivation: Die Sorge, dass aktuelle Entwicklungen die Grundpfeiler des Internet zerstören könnten. Sie sehen die Errungenschaften des Internet durch zwei weitere „Horden“ bedroht. „Plünderer“, die uns im Internet unser Geld und unsere Daten abknöpfen wollen, und vor allem durch uns selbst.
Gemeinsam mit Rick Levine und Christopher Locke hatten Doc Searls und David Weinberger 1999 mit dem Cluetrain Manifest ein Grundlagenwerk für die Kommunikation im Internet-Zeitalter geschaffen. Dort haben zwei der Autoren nun angeknüpft und am 8. Januar 2015 ihre „New Clues“ mit 121 Thesen veröffentlicht. Mit gewohnt launigen Formulierungen erinnern sie daran, dass das Internet uns allen gehört und dass wir alle dort gemeinsam in den letzten 20 Jahren Großartiges geschaffen haben.
Das Internet ist das, was wir daraus machen
Im Vergleich zum Cluetrain Manifest, in dessen Zentrum es um die Online-Kommunikation von Unternehmen ging, setzen Searls und Weinberger in den New Clues einen anderen Schwerpunkt. Sie sehen ihre Aussage aus dem Cluetrain Manifest, „Märkte sind Gespräche“ bestätigt und plädieren für eine persönliche, menschliche und authentische Kommunikation. Für den Part der Organisationskommunikation lohnt sich weiterhin, das “alte” Cluetrain Manifest zu Rate zu ziehen. In den „New Clues“ geht es um noch grundsätzlichere Themen.
Die größte Stärke des Internet ist, dass es uns einzigartigen Individuen ermöglicht, uns miteinander zu verbinden und dort zu machen, was wir wollen. Durch das, was wir dort entwickeln, bekommt das Internet seinen Nutzen. Daher gerät es in Gefahr, wenn wir uns zurücklehnen und ausschließlich konsumieren. Ohne das, was wir gestalten, ist es nichts weiter als eine Ansammlung technischer Protokolle. Das Internet ist gleichzeitig nichts und alles. So wie die Sprache wurde es nicht für einen speziellen Zweck geschaffen.
Apps vs. Links, Sharing vs. Urheberrecht, Hass vs. Privatsphäre
Laut Searls und Weinberger stellen die vielen im Internet miteinander verbundenen Elemente ein Remake unserer Welt dar, so wie wir gemeinsam sie sehen. Sozial, mitfühlend mit anderen und von Bedeutung zu sein sind die Antriebskräfte des Internet. Aber im Internet gibt es Hass genauso wie in der „echten“ Welt, nur hier kann er leichter sichtbar gemacht werden und es begegnen sich „Stämme“, die sich sonst vermutlich kaum begegnet wären.
Die Autoren beschäftigen sich mit weiteren grundlegenden Themen, wenn sie fragen, wie Regierungen mit den über die Bürger gewonnenen Daten verantwortungsvoll umgehen können. Wie kann sicher gestellt werden, dass sie sie gegen die richtigen Personen verwenden und nicht gegen “uns”? Aber sie weisen auch darauf hin, dass wir uns später nicht über mangelnde Überwachung beschweren dürfen, wenn wir wollen, dass die Regierungen sich aus unseren Daten zurückziehen.
Searls und Weinberger warnen, dass es bei abgekapselten Apps um Kontrolle geht. Damit stünden sie im Gegensatz zu unserem zusammen aufgebauten Gemeingut, das auf endlos miteinander verbundenen Webseiten beruht. Letztendlich würde der abgeschlossene Raum von Apps die Entstehung von Verbindungen und die Zirkulation von Ideen einschränken.
Als weiteres Problem weisen sie darauf hin, dass wir eine Kultur haben, die auf das Teilen angelegt ist, dagegen stehen Gesetze, die den Urheberschutz betonen. Daher plädieren sie dafür, den Urheberschutz im Zweifel zu öffnen.
Und bei ihrer allgemein gehaltenen Aufforderung „Support the businesses that truly „get“ the Web. You’ll recognize them not just because they sound like us, but because they’re on our side.” könnte man sich die Frage stellen, ob hiermit nicht eigentlich gerade auch Bibliotheken gemeint sein müssten.
Wir stehen noch ganz am Anfang einer langen Entwicklungsphase
Alles in allem legen Searls und Weinberger eher den Finger in die Wunde und werfen Fragen auf. Allerdings merken sie richtig an, dass das Web gerade erst seine Teenagerzeit hinter sich gelassen hat. Folglich stehen wir mit der Entwicklung entsprechender neuer Kultur- und Arbeitstechniken noch ganz am Anfang. Sie meinen, dass wir erst dann verstehen können, was „Privatsphäre“ bedeutet, wenn wir wissen, was es bedeutet „sozial“ zu sein. Und genau das haben wir erst begonnen, neu zu erfinden. Die New Clues führen uns vor Augen, dass wir selbst es sind, die für ein Fortbestehen der Errungenschaften des Internet sorgen müssen – und dies können. Damit können wir beginnen, indem wir die Werte leben, die wir durch das Internet gefördert wissen wollen.
Autorin: Autorin: Birgit Fingerle (ZBW – Leibniz-Informationszentrum Wirtschaft; Soziale Medien, Stabsstelle Innovationsmanagement)
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