Intelligente Labels: Wie Bibliotheken von RFID (und NFC) profitieren können [Interview]
Diebstahlschutz, Ausleihhilfe und Unterstützung beim Service: RFID boomt in der Bibliothekszene und auch die ZBW ist derzeit mit der Implementierung von Labels und Lesegeräten beschäftigt. Dennoch scheinen viele Fragen offen: Wie sehen optimale Anwendungsszenarien aus? Welche Rolle spielt künftig NFC und macht die Technologie den Menschen überflüssig?
Um Dinge wie diese zu klären, habe ich ein Interview mit Kurt Bischof geführt, Marketing Manager bei NXP. Das niederländische Halbleiter-Unternehmen stellt unter anderem Chips her, die später die RFID-Kommunikation zwischen Label und System ermöglichen.
Herr Bischof, wie verbreitet ist heute RFID in Bibliotheken?
Es gibt keine konkreten Zahlen, aber einige Anhaltspunkte. Kürzlich hat ein großer Systemintegrator für RFID für Bibliotheken bekannt gegeben, dass bis heute rund 4.000 Bibliotheken weltweit sein Angebot nutzen. Die Gesamtzahl der teilnehmenden Einrichtungen liegt also noch wesentlich darüber.
Wir sind schon lange in dem Markt vertreten und haben darüber hinaus einmal versucht, die Anzahl der getaggten Bücher zu ermitteln und sind geschätzt auf etwa eine Milliarde Bücher gekommen – das kann variieren, aufgrund der Lieferketten und so weiter – doch dies ist die Größenordnung. Das entspricht weniger als zehn Prozent aller Bücher, die weltweit in Bibliotheken stehen. In manchen Ländern ist man hier aktiver, in anderen passiert derzeit noch wenig.
Wissen Sie, wer Vorreiter ist und wo Deutschland bei der Entwicklung steht?
Betrachtet man nur allein die Verbreitungsrate von RFID in Bibliotheken, dann sind England und Holland mit fast 100% Adaptionsrate am weitesten fortgeschritten. Unseren Schätzungen zufolge wird hingegen in Deutschland bei ca. zehn Prozent der Bibliotheken RFID-Technologie eingesetzt: Hier sind es vor allem die großen Einrichtungen, die mit der Einführung begonnen haben und diese sind zum Teil extrem zukunftsweisend.
Als Musterbeispiel gilt die Münchner Stadtbibliothek, welche fast schon als globaler Treffpunkt für RFID-interessierte Bibliothekare bezeichnet werden kann.
Weltweit gesehen gibt es starke Entwicklungen in China, wo die RFID-Einfühung durch die Regierung unterstützt wird. In Südamerika aber auch einigen Ländern Asiens wird oft noch gezögert. Die USA sind sehr aktiv – die ALA (American Library Association) veranstaltet jährlich eine große Konferenz inklusive Ausstellung, auf der die letzten Neuerungen im RFID Bereich präsentiert werden.
Häufig werden heute die Begriffe RFID und NFC synonym gebraucht. Worin besteht aber tatsächlich der Unterschied?
NFC heißt “Near Field Communication”. Die Technologie hat sich aus einem Standard heraus entwickelt, der zunächst im öffentlichen Transportwesen eingesetzt wurde: Abwicklung der Bezahlfunktion über kontaktlose Tickets. Der Hintergrund von NFC war jedoch die Idee, dass nicht nur das Lesegerät auf die Karte zugreifen kann, sondern dass beispielsweise zwei elektronische Geräte miteinander kommunizieren können; etwa zwei Mobiltelefone. Dazu muss der NFC-Chip wahlweise die Funktion von Reader oder Karte übernehmen können. Genau das leistet NFC. Ein wichtiges Kriterium bei NFC ist, dass die Kommunikation ausschließlich auf kurze Entfernung funktioniert und eine aktive und bewusste Handlung des Nutzers voraussetzt.
Wie groß ist eigentlich die Reichweite von NFC? Ein halber Meter?
Nein, viel geringer: Es beginnt bei einer Berührung, also null Zentimeter und kann bis zu fünf Zentimetern reichen. Der Gedanke bei der Entwicklung war “Touch & Go”: Das Handy auf ein Terminal legen und wieder wegnehmen. Auf diese Weise wird verhindert, dass es zu zufälligen Übertragungen kommt.
NFC scheint lange Zeit eine Nischentechnologie gewesen zu sein. Woran lag das?
NFC wurde erst 2002 von NXP und Sony entwickelt und anschließend in vielen Feldversuchen erprobt. Mittlerweile wurde das notwendige NFC-Ökosystem geschaffen. NXPs Zusammenarbeit mit Google hat der Technologie sicherlich einen Schub gegeben: Ende 2010 wurde der komplette NFC-Software Stack als Open Source-Lösung in Android (Gingerbread) integriert, so dass Gerätehersteller und die App Developer Community das Potenzial von NFC ausnutzen können. Smartphones können die Vorteile dieser Technik mit den passenden Apps jetzt nutzen und über NFC den Link zwischen realer und virtueller Welt herstellen.
Was für andere Anwendungsmodelle sehen Sie? Zum Beispiel, wenn ich das Stichwort “QR-Codes” in den Raum stelle.
NFC und QR-Codes sind beides Technologien, die heute zum Beispiel bei so genannten Smart Postern zum Einsatz kommen, doch es gibt Unterschiede in der Anwendung: Der QR-Code funktioniert auf rein optischer Basis – eine Kamera muss ihn also klar auf dem Poster erkennen können. Bei NFC kann das Smart Poster Label zum Beispiel auch hinter dem Poster platziert werden.
Sprechen wir ein wenig über Datenschutz, der nicht nur in Deutschland ein großes Thema ist. RFID-getaggte Bücher, die irgendwelche nutzerrelevanten Daten speichern – da werden einige nervös.
Eine gute Frage, das Thema begegnet uns oft. Was vielen dabei nicht bewusst ist: Im Chip selber werden keine konkreten inhaltlichen Daten über die Bücher oder gar Daten von Kunden gespeichert. Diese Informationen werden wie zuvor auch in Datenbanken der Bücherei gespeichert und zum Beispiel erst beim Ausleihvorgang abgerufen. Außerdem haben wir ja noch die beschränkte Reichweite: Die RFID-Gates an den Eingängen, die mit Antennen ausgestattet sind, können maximal 90 bis 100 Zentimeter auseinander stehen, um die Signale aufzufangen. Das ist das Maximum. Und diese Gates sind entsprechend groß und gut sichtbar.
Lassen Sie uns zum Schluss noch einmal ein wenig über die Trends der Branche sprechen. Welche Rolle wird RFID Ihrer Meinung nach in Zukunft in Bibliotheken spielen?
Was man schon jetzt als Trend erkennen kann, ist das verstärkte Aufkommen von sogenannten Street Libraries. Diese verfügen über Ausgabeautomaten, die wie ein Getränkeautomat für Bücher funktionieren. Sie werden von den jeweiligen Zentralbibliotheken eingerichtet. Die Automaten werden an gut frequentierten Orten aufgestellt, etwa in U-Bahnstationen usw. Man bestellt sich das Buch oder die DVD über das Internet zur Ausleihe und gibt den Abhol-Ort an. Man holt sich das Buch dann an einem gut erreichbaren Automaten ab (z.B. an der U-Bahn Station an der man jeden Tag vorbeikommt). Auch die Rückgabe funktioniert dann in gleicher Art.
…kennen Sie da ein Beispiel?
Ja, solche Library Vending Machines stehen beispielsweise in Shenzhen, China.
Dieses Automatensystem eignet sich auch für abgelegene Stellen, zum Beispiel auf dem Land, wo es keine oder kaum Bibliotheken gibt.
Ein weiterer Trend könnte die Miteinbeziehung der Smartphones in den Ausleihprozess sein. In fast allen Bibliotheken, die heute RFID einsetzen, gibt es Ausleih-Kiosks. Künftig könnten Kunden mit ihren Handys die Bücher direkt am Regal ausleihen und können sich den Gang zum Verbuchungsterminal sparen.
Diese Möglichkeit ist aus Kundenperspektive sicherlich begrüßenswert. Doch bedeutet das nicht auch im Umkehrschluss, dass im Bibliothekswesen einige Berufe überflüssig werden?
Es ist die Frage, wie man mit der Innovation umgeht. Nur weil RFID eingeführt wird, müssen keine Mitarbeiter entlassen werden. Im Gegenteil: Dank der Technologie kann man die Mitarbeiter entlasten, da der administrative Aufwand verringert wird und so mehr Zeit für die Beratung der Kunden bleibt. RFID soll dazu beitragen, dass der Service verbessert und die Ausleihfrequenz erhöht wird. Damit wird der Wert der Bibliothek für die Gemeinde erheblich erhöht und das notwendige Geld wird leichter zur Verfügung gestellt. RFID kann also dazu beitragen, dass Arbeitsplätze erhalten bleiben.
Herr Bischof, ich danke für das Interview.
Fotos:
1. Flickr, Fotograf: midnightcomm
2. Flickr, Fotograf: denverjeffrey
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