Zu den BibCharts: Das Feedback auf das Feedback
Wow, hätte ich gewusst, dass wir auf dieses vergleichweise doch kleine Feature soviel Reaktion bekommen würden, hätte ich mir heute nicht freigenommen. Es geht um die BibCharts (Hintergründe), die von der ZBW am vergangenen Freitag in einer ersten schüchternen Beta ins Netz gestellt wurden. Die Liste ist noch stark begrenzt, die Funktionen weiterhin ausbaufähig. Dennoch wollte ich mich schon an dieser Stelle bei allen Ideengebern im Netz bedanken und kurz das öffentliche Feedback sondieren, das viele Färbungen aufweist:
VÖB-Blog: BIBCHARTS beta – Bibliotheken und Informationszentren im Social Web
Ähnliche Rankings gibt es etwa für den Verlagsbereich (Leander Wattig). Auch österreichische Bibliotheken sind – momentan noch in kleinen Dosen (ich fand die UB Klagenfurt und die UBMed Wien) – in BIBCHARTS enthalten. Da gibt es aber wirklich mehr davon. ☺
NetBib Weblog: Schon wieder ein Ranking!
Man könnte jetzt diskutieren, ob die richtigen Kennzahlen gewählt wurden, ob denn die Follower-Zahlen überhaupt aussagekräftig sind, ob es nicht eher ein Koeffizient aus Follower-Zahlen, Veröffentlichungs- und Reaktionsrate sein müßte. (…) Wie alles andere: Es ist ein Ranking, es gibt ein Bild, man kann vergleichen und Überlegungen anstellen, wie man es selbst umsetzen könnte und ob der Aufwand sich lohnt. Nicht mehr und nicht weniger.
Infobib: BibCharts der ZBW
Dass die Visualisierung von Followerzahlen Aufmerksamkeit für Social Media erregen könnte, ist richtig. Dass diese Aufmerksamkeit auf wesentliche Aspekte des Social Web – also zum Beispiel Transparenz, Interaktion oder Kommunikation – gelenkt wird, ist dagegen eher nicht zu vermuten. Statt dessen wird hier suggeriert: “Size matters! Ohne Followerzahlen im höheren dreistelligen Bereich sind wir gescheitert!” Sollten die Bibcharts eine breitere Aufmerksamkeit erfahren, ist eher von einer erneuten Zahlenfixierung der “Entscheider” auszugehen.
Weitere Reaktionen bei Twitter sind per Twitter-Suche zu finden. Auch unter dem ursprünglichen Blog-Post zur Ankündigung gibt es eine interessante Diksussion in den Kommentaren.
Ich habe in all den Reaktionen jetzt einige Hauptkritikpunkte ausgemacht, auf die ich im Folgenden gerne näher eingehen möchte.
Allgemeines und Zielgruppen
Der Begriff “Charts” impliziert einen Wettbewerbsgedanken – das ist völlig richtig. Aber das ist nicht unser Hauptziel. Mit der Übersicht wollen wir drei Zielgruppen erreichen: Das sind zum einen all diejenigen, die sich nun schon zu Wort gemeldet haben, die Social Media-Verantwortlichen in den Häusern, die progressiv Experimentierenden. Die zweite Zielgruppe besteht aus der breiten Öffentlichkeit, die vielleicht bislang nicht einmal Notiz davon genommen hat, dass viele Bibliotheken bei Facebook und Twitter und in Blogs angekommen sind. Dass es die BibCharts mit der kleinen Ansage bereits zu Rivva geschafft haben, sagt uns, dass sich hier tatsächlich noch viel bewegen lässt. Und die dritte Zielgruppe besteht aus den Zweiflern. Damit meine ich Entscheider in den Einrichtungen, die ihr Relevanzprogramm für das Jahr 2011 noch nicht komplett überdacht haben – die Chefs, Direktoren, Leiter, Budgetgeber.
Wenn ich mich mit einigen Kollegen aus der Branche unterhalte, merkt man schnell, dass viele von ihnen einen Kampf an drei Fronten bestreiten: Man kämpft um die Aufmerksamkeit der Nutzer. Man ringt aber auch in den eigenen Häusern um die Anerkennung der Möglichkeiten. Als ich die Deutsche Bahn in Sachen Twitter-Einstieg begleitete, sagte mir der verantwortliche Projektleiter, dass 80 Prozent seiner kompletten Tätigkeit aus interner Lobbyarbeit bestehe. Das betreffe sowohl die Kollegen als auch diejenigen, die von oben grünes Licht geben müssen. Man braucht nicht viel Fantasie, um sich zu überlegen, wie viel Lobbyarbeit dann im öffentlichen Sektor der Bibliotheken zu leisten ist. Die BibCharts sollen einigen Zweiflern die Augen öffnen: “Oh, dann sollten wir ja jetzt auch etwas tun, wenn wir der Entwicklung nicht hinterherlaufen möchten, oder?” Wenn diese Frage von oben einmal ausgesprochen wurde, dürfte die Arbeit an der Nutzerfront leichter von der Hand gehen.
Ranking als Förderer von Resignation?
Ein weiterer Kritikpunkt am Ranking impliziert die Befürchtung, dass die Zahlen die Resignation bei einigen Teilnehmern steigern könnte. Dazu: Ich komme aus der Blogosphäre und ich kenne keinen einzigen Blogger, der mit seiner Arbeit aufgehört hätte, weil er es nicht in die Deutschen Blogcharts geschafft hat. Dazu kommt, dass unsere Konkurrenz – anders als draußen in der freien Wirtschaft – nur simuliert ist. Die Bibliotheksszene ist in dieser Hinsicht ein Paradoxon: Wir müssen alle beisammen stehen und uns gegenseitig helfen, um die Zukunft zu wuppen. Wenn aber der Wettbewerbsgedanke komplett fehlt, fehlt auch jegliche Grundlage für Innovation. Und wenn einige das Wort “Google” hören, klinken sich ebenfalls bereits viele aus. Ich denke, dass ein kleiner Seitenblick nach rechts und links auch Bibliotheken gut stehen könnte, da er dazu beiträgt, die Innovationsfrequenz zu erhöhen und das Ohr zum Kunden hin weiter zu öffnen. Die BibCharts sollen zeigen, wie und wo noch Platz nach oben für Verbesserungen ist. Das ist besser für die Einrichtungen aber in erster Linie auch für die Kunden, die vom neuen Engagement der Bibliotheken profitieren.
Zahlen sagen nichts aus
Follower- und Fan-Zahlen sind eine ziemlich platte Bemessungsgrundlage für den Erfolg einer Einrichtung. Da gibt es eingekaufte Fans, Twitter-Bots – und dann gibt es auch noch Unterschiede in der Art der jeweiligen Einrichtung: Eine Universitätsbibliothek hat per se mehr Zulauf, als eine Stadtteilbibliothek. Leider ist es der ganzen Social Media-Branche bis heute noch nicht gelungen, den ROI eines Fans konkret zu bemessen. Es handelt sich dabei eben um Empfehlungsmarketing, das nicht nach klassischem Reiz-Reaktions-Impulskauf-Schema abläuft. Dementsprechend müssen sich alle aktuellen Web-Rankings den Vorwurf gefallen lassen, dass sie nicht gerade akkurat sind. Und die BibCharts machen da keine Ausnahme. Sie sollen aber auch nur eine grobe Orientierung bieten (daher haben wir auch auf Platznummern ganz bewusst verzichtet): “Wow, die haben eine ziemlich gute Reichweite. Wie haben die das angestellt?” Diese Fragen zu provozieren, das war einer der Anlässe für das Ranking. Wir sehen auf einen Blick, wo in der Branche gerade viel Bewegung ist und können schneller lernen.
Wir belassen es auch nicht bei dem Zahlenwerk, sondern flankieren (zum Beispiel hier auf dem Blog) die Entwicklungen, geben praktische Tipps und reisen herum, um Anleitungen für den Einstieg und den Ausbau der Aktivitäten zu geben.
LISWiki
Die BibCharts sind nicht das erste Social Media-Ranking der Branche und sie werden auch nicht das letzte sein. Bis heute ist beispielsweise LISWiki die erste Anlaufstelle für diese Informationen (wo wir gerade dabei sind: Gab es bei der Einführung ähnliche Bedenken?). Die Seite ist nach wie vor ein respektables Projekt und hat zweifelsohne die wohl vollständigste Datenbank – doch hat sie mir bei jedem Besuch den Eindruck gemacht, als haben Bibliotheken etwas zu verstecken. Nutzer, die nicht über einen Direktlink verfügen, müssen sich zu ihr vorklicken, dazu kommt die manuelle Auswertung, die von jeder Einrichtung selbst übernommen wird (oder werden sollte). Wie oben schon erwähnt, soll das Ranking auch PR für die ganze Branche sein. Und LISWiki – noch einmal, ich mag das Projekt! – schien mir vor diesem Hintergrund Öffentlichkeitsarbeit unter Ausschluss der Öffentlichkeit zu sein. Vielleicht war es aber auch gar nicht die Absicht der Seite. Lesenswert dazu ist auch der Kommentar von Silvia, der Seitenurheberin.
Funktionsumfang der BibCharts
Wie eingangs erwähnt, halte ich das Ranking bislang für ein “vergleichsweise kleines Feature”. Es ist aber Politik bei der ZBW, Produkte, sofern sie funktionieren, alsbald an den Start zu bringen. Das geschieht nicht nur im Social Media-Bereich, sondern umfasst alle Tätigkeiten der ZBW. So wurden beispielsweise die Labs eingerichtet, um Nutzern die Produkte im Anfangsstadium zur Verfügung zu stellen und ihnen direkt erstes Feedback zu ermöglichen (dazu auch unser Audio-Interview bezüglich Open Innovation).
Daher sind die BibCharts auch noch recht rudimentär. Bevor wir aber die nächsten Schritte unternehmen, wollten wir genau das tun, was gerade passiert: uns Feedback einholen. Leichtere Methoden, um sich einzutragen, Exportfunktionen, grafische Auswertungen – das alles steht auf der Liste. Wir wollen aber nicht ins Blaue hinein (und damit am Bedarf vorbei) entwickeln. Ich überlege gerade, ob wir es vielleicht nächste Woche hinbekommen, bei Google Plus einen Hangout dazu einzurichten. Vielleicht können wir ja dann mit einigen, die sich nun mit dem Thema beschäftigt haben, näher über die weiteren Schritte diskutieren. Wie wäre das?
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