Alle für einen: Crowdsourcing-Projekt OldWeather ein voller Erfolg

Die Digitalisierung schreitet weltweit voran (wenn auch langsamer, als sich es viele wünschen) und mit jedem Scan, der auf der Platte landet, stellt sich die Frage: Was machen wir damit? Ein Bild oder PDF ist nicht crawlbar, das heißt, dass Nutzer große Probleme haben, in den Sammlungen von Digitalisaten zu navigieren – nicht selten umfassen die einzelnen Projekte zehn- oder hunderttausend Dokumente, bei denen OCR eben nicht greift. Setzt man dann die Bibliothekarin oder den Bibliothekar daran, um die Metatexte zu besorgen? Das würde ein Leben lang dauern und zudem Ressourcen binden, die an anderer Stelle dringend benötigt werden.

Nein, seit einigen Jahren hat das Crowdsourcing als geeignete Metatext-Strategie ordentlich an Bedeutung gewonnen. Es gibt bereits einige nette Projekte, etwa TROVE der National Library of Australia oder Distributed Proofreaders, bei dem es darum geht, vom Urheberrecht befreite Werke zu digitalisieren und mit Hilfe der Community zu transkribieren. Doch das Beste, was ich bisher in dieser Richtung gesehen habe, ist OldWeather.

Bei OldWeather geht es darum, einen Berg archivierter Logfiles von Schiffen der Royal Navy zu erfassen, die während des ersten Weltkriegs die Meere bereisten – und die Seemacht England kam zu dieser Zeit wirklich in der Welt herum! Die Aufgabe ist keine Banalität, Meteorologen greifen auf die Daten der Wetterangaben (Temperatur der Luft und des Wassers, Windstärken usw.) zurück, um die Entwicklung des Klimawandels nachzuzeichnen. Historiker und Soziologen profitieren wiederum von den Vermerken, welche die Kapitäne im direkten Bezug zur jeweiligen Reise verfassten.

Nun ist aber nicht jeder bereit, für den guten Zweck die private Freizeit zu opfern, weshalb OldWeather zusätzlich als raffiniertes Spiel konzipiert wurde: Der Nutzer heuert auf einem Schiff an und je mehr Protokolle er in der Folgezeit transkribiert, desto höher steigt sein Rang: die Karriereleiter reicht vom Leichtmatrosen bis zum Kapitän. Das alles geschieht in einem spannenden virtuellen Umfeld, in dem eben gespielt – und nicht gearbeitet wird.

Das Konzept ging auf, wie OldWeather gerade mitteilte, ist die Hälfte der Arbeit getan: über 400.000 Logbuch-Seiten wurden mit Hilfe der Community in maschinenlesbare Texte verwandelt, 80 Logbücher wurden auf diese Weise abgeschlossen.

Um sich bei der internationalen Gemeinschaft für die Hilfe zu bedanken, wurde kürzlich OldWeather Voyages gestartet, eine Seite, auf der sich die komplette Route eines Schiffs wie im Film auf Google Maps abspielen lässt. Die Nutzer merken also, dass mit ihren Daten tatsächlich gearbeitet wird. Am Beispiel der HMS Africa erfahren wir beispielsweise, dass am Abend des 3. Novembers 1917 der Atlantische Ozean vor Rio de Janeiro leicht erwärmt war – und kürzlich noch drei Männer der Besatzung seekrank und erbrechend über der Reling hingen. Wir sehen aber auch, wie stark die Temperatur des Wassers zunimmt, je näher man dem Äquator kommt.

Künftig werden wir Citizen Science-Projekten wie diesen noch häufiger und hoffentlich auch in noch größeren Maßstäben begegnen. Wer noch Hinweise zu anderen guten Crowdsourcing-Ansätzen im Netz hat (einige Beispiele gibt es noch bei Zooniverse) – seid so nett, und teilt sie uns in den Kommentaren mit.

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