Amazon – Seit 20 Jahren Disruption am Fließband

20 Jahre ist es her, dass Amazon auf seiner Online-Plattform das erste Buch verkauft hat. Doch sein Innovationshunger scheint ungebrochen. Der „Allesverkäufer“ ist längst mehr als der globale Marktführer im Buchhandel. Angesichts der Vielfalt und des Erfolgs von Amazons Aktivitäten dürfte es selbst Kritikern schwerfallen, nicht zwischen Bewunderung und Angst vor den Folgen dieser Marktmacht zu schwanken.

Der Allesverkäufer setzt auf ständige Innovation und exzellenten Kundenservice

Denn Amazon scheint die komplette Wertschöpfungskette perfekt zu beherrschen und übernimmt sie zum Teil auch für andere Unternehmen: Von eigenen Endgeräten, der Verkaufsplattform, dem Kundenservice, der Logistik. Amazon hat alles in eigener Hand, setzt Lieferanten und Wettbewerber durch ständige Innovationen unter Zugzwang und rüttelt eine Branche nach der anderen durch.

Amazon lockt mit niedrigen Preisen und gutem Kundenservice, was viele Kunden offenbar schätzen. Wer wenig Zeit hat, es bequem mag und umfangreiche Informationen vor dem Kauf wertschätzt – etwa die Bewertungen durch andere Kundinnen, die Möglichkeit früheren Käufern eines Produktes Fragen zu stellen oder den Blick ins Buch – für den hat Amazon einiges zu bieten. Aufgrund der Einkaufshistorie kann Amazon zudem relativ passgenau weitere Produkte vorschlagen.

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Eigene Endgeräte, eigene Plattform, eigener Content

Damit ist Amazon sicherlich auch für viele komfortabler, als den mühsamen Weg über die Bibliothek zu gehen. Wer es sich leisten kann, für den ist der Kauf so vielleicht oft einfacher und zeitsparend im Vergleich zur Ausleihe in der Bibliothek vor Ort. Statt Parkplatzsuche klingelt der Paketmann. Auch mit dem eigenen E-Book-Reader Kindle und der eBook-Flatrate Kindle Unlimited ist Amazon in jedem Fall ein mächtiger Wettbewerber, der immer wieder neue Maßstäbe setzt. So will er auf seiner Kindle Plattform nun beispielsweise das Social Sharing forcieren.

Auch was das Verlagswesen selbst betrifft, beschreitet Amazon wiederholt neue Wege: Auf der Plattform Kindle Direct Publishing können Autorinnen ihre unlektorierten E-Books hochladen und selbst einen Preis festlegen. Im Gegensatz zu üblicherweise eher geringen Autorenhonoraren erhalten sie 70 Prozent des Verkaufspreises jedes über Amazon abgesetzten Buches. Die Schwierigkeit, überhaupt einen Verlag zu finden, entfällt. Doch auch wer als Autor auf lektorierte, gedruckte Bücher setzt, wird bei Amazon fündig. Damit ist Amazon nicht mehr nur ein Vertriebskanal für Verlage, sondern deren direkter Konkurrent. Mit komplett neuen Verlagsmodellen wie der Vergütung von Autoren nach der Anzahl gelesener Seiten wirft Amazon die Regeln eines alten Marktes über den Haufen.

Wer bleibt von Amazons Innovationen verschont?

Auch in anderen Bereichen “überschwemmt” Amazon den Markt regelrecht mit neuen Angeboten, setzt Lieferanten unter Druck und Wettbewerber unter Zugzwang. Die vielfältige Palette beinhaltet etwa

Zu den neuesten Spielwiesen von Amazon gehört der Markt für Handgemachtes. Mit „Handmade at Amazon“ greift es etablierte Marktplätze wie Etsy und Dawanda an. Auch das große Thema „E-Commerce-Marketing“ möchte Amazon nun intensiv bearbeiten und hat sich zum Ziel gesetzt, die effektivste Marketing-Plattform der Welt zu werden. Dass Amazon sich keineswegs ausschließlich auf das Endkundengeschäft konzentriert, erleichtert dabei einen Überblick über seine Aktivitäten nicht gerade.

Stark im B2B-Bereich: Viele Unternehmen setzen auf Amazon

Amazon bietet seine Logistik-Dienstleistungen auch anderen an. Über die integrierten Verkaufsplattformen „Marketplace“ und „z-Shops“ können ebenso Privatpersonen oder andere Unternehmen neue und gebrauchte Produkte anbieten. Dafür kassiert Amazon Provisionen und Versandtransaktionsgebühren.

Dass Amazon viel mehr ist als ein Online-Warenhaus, fällt spätestens dann ins Auge, wenn man sich die Logistik-Innovationen anschaut, an denen es arbeitet. Augenscheinlich ist der Handelsriese nun dabei, eine eigene Post zu gründen.

Unter den Cloud-Dienstleistern ist Amazon ebenso eine Größe. Sein Business-to-Business (B2B)-Angebot, die Amazon Web Services (AWS), ist vom einstigen Nebenprodukt in wenigen Jahren zu einer gewinnträchtigen Säule geworden. Seine Infrastruktur wird von vielen anderen Online-Services genutzt, wie Dropbox und Spotify.

Innovationen wecken auch Ängste

Innovationen sind nicht per se gut und gehen mit möglicherweise berechtigten Befürchtungen einher, wie dies im Fall von Amazons Internet of Things-Vorzeigeprojekt dem Amazon DASH Button der Fall ist. Der Gedanke, dass ein zu neige gehendes Produkt automatisch Nachschub ordert kann genauso beängstigend sein wie Amazons „Anticipatory Shipping“-Ansatz, bei dem auf der Grundlage von Datenanalysen eine Lieferung ohne Bestellung erfolgt. Mindestens Datenschützer dürften sich bei dem Gedanken daran, was Amazon mit Big Data und vernetzen Gegenständen alles anstellen könnte, gruseln.

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Eine Gegenbewegung

Amazons Marktmacht und Innovationsproduktion am Fließband rufen vereinzelt Gegenbewegungen auf den Plan. Unternehmen und Personen, die sich oder die kulturelle und wirtschaftliche Vielfalt bedroht sehen oder mit manchen Praktiken des Schwergewichts nicht einverstanden sind, nehmen den Kampf auf. Aufgrund negativer Schlagzeilen, etwa über seine Arbeitsbedingungen oder Steuertricksereien, ist Amazon des Öfteren schon in Verruf geraten. Das Gebaren des Unternehmens analysieren eine Reihe von Publikationen, etwa „Amazon: das Buch als Beute“.

Bookindy ist ein Beispiel für den Kampf David gegen Goliath in der Praxis. Das Chrome-Plugin kapert sozusagen Amazons Website, um Kundinnen und Kunden zum lokalen Buchhandel umzulenken.

Oder Andreas Gauger: Er hat sich mit seiner Firma Profitbricks zum Ziel gesetzt, beim Cloud Computing doppelt so schnell wie Amazon zu sein und dabei nur halb so teuer. Dafür sind sie dabei, den Betrieb von Rechenzentren im Internet neu zu definieren.

Mit der Booodl App können sich Käuferinnen und Käufer einen intelligenten Einkaufszettel einrichten, der sie benachrichtigt, wenn ein gewünschtes Produkt in einem nahegelegenen Geschäft zu kaufen ist. Außerdem können sie via SMS kostenlos produktbezogene Fragen an lokale Geschäfte senden, die innerhalb von fünf Minuten beantwortet werden.

Das Kiezkaufhaus konzentriert sich hingegen auf Wiesbaden, wo es bequemes Online-Shopping im lokalen Einzelhandel ermöglicht, Lieferung mit dem E-Bike inklusive.

Symptom des Strukturwandels

Auch wenn es den Anschein haben könnte: Bislang ist Amazon kein Monopolist, wie der Volkswirt Prof. Dr. Justus Haucap schreibt. Bezogen auf den stationären Buchhandel sieht er das Problem im Strukturwandel begründet, der durch die Digitalisierung in Gang gekommen ist. Amazon stellt demnach lediglich ein Symptom für diesen Strukturwandel dar, für den er keinen Regulierungsbedarf sieht. Der Erfolg von Amazon bringe schließlich die Präferenzen von Kundinnen und Kunden zum Ausdruck, die maßgeschneiderte Informationen und den bequemen Online-Einkauf zu schätzen wissen. (vgl. Haucap, Justus; Amazon ist kein Monopolist; in: Wirtschaftsdienst, Kurz kommentiert, September 2014, Volume 94, Issue 9, Seite 608)

Was hat Amazon, das andere nicht haben?

Zwar wird nicht alles, was Amazon macht, automatisch zu Gold, wie jüngst der groß angekündigte Amazon Prime Day gezeigt hat. Dennoch lässt der unermüdliche Wille zur Innovation von Amazons Gründer Jeff Bezos offenbar nicht nach. Zumindest ein Teil seines Erfolgs scheint darin zu bestehen, dass er im Gegensatz zu vielen Konzernen gerade erfahrene Manager mit Zukunftsprojekten und neuen Geschäftsfeldern betraut: „Deine Bedeutung in diesem Unternehmen orientiert sich nicht daran, wie groß deine Abteilung ist, sondern wie groß das Problem ist, das du lösen sollst. Wir wollen auf diese Weise Menschen anziehen, die gerne innovativ sind.“

Möglicherweise ist dies ein Punkt, bei dem auch Bibliotheken von Amazon lernen können. Denn Ausruhen ist angesichts der schier unbändigen Innovationsflut keine Option. Den nächsten Trumpf hat Amazon möglicherweise schon im Ärmel: Ebenso wie weitere US-Internetkonzerne ist es dabei, seine Plattformen zu sogenannten Alpha-Apps oder Meta-Apps auszubauen. Damit könnte beispielsweise für Medienmarken und Bibliotheken das digitale Überleben noch anstrengender werden.

 

 

Autorin: Birgit Fingerle (ZBW – Leibniz-Informationszentrum Wirtschaft; Soziale Medien, Stabsstelle Innovationsmanagement)

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Birgit Fingerle ist Diplom-Ökonomin und beschäftigt sich in der ZBW unter anderem mit Innovationsmanagement, Open Innovation, Open Science und aktuell insbesondere mit dem "Open Economics Guide". (Porträt: Copyright

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