Citizen Science und Datenmanagement –  ein Workshop-Bericht

Datenqualität, Datenmanagement und rechtliche Aspekte in Citizen Science. Dies waren die Themen beim Citizen Science Dialogforum am 04. und 05. Mai 2015 in Hamburg. Ein Workshop-Bericht von Klaus Tochtermann, Guido Scherp und Willi Scholz.

Citizen Science, im Deutschen als “bürgerbeteiligte Forschung” bezeichnet, ist prinzipiell nicht neu, bekommt derzeit aber eine immer größere Bedeutung und Beachtung in der Wissenschaftscommunity, bei den Förderern und auch bei den Bürgerinnen und Bürgern selbst. Dies zeigt nicht zuletzt das Positionspapier des Wissenschaftsrates „Zum wissenschaftspolitischen Diskurs über Große gesellschaftliche Herausforderungen“.

Citizen Science hat bereits eine gewisse Tradition in der Biodiversität, wo Bürgerinnen und Bürger Pflanzen und Tiere bestimmen und zusammen mit Fundort und anderen Informationen in eine Datenbank eintragen. Bei entsprechender Beteiligung erhält man einen guten Überblick über die Artenvielfalt sowie Bewegungsprofile und kann somit zum Naturschutz beitragen. Mittlerweile hat sich Citizen Science auch auf andere Forschungsfelder wie etwa die Astronomie ausgeweitet.

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Generell ist Citizen Science in Deutschland aber eher noch gering ausgeprägt. Es fehlt insbesondere eine Übersicht und eine zentrale Anlaufstelle für Citizen Science Projekte und interessierte Bürger. Diese Lücke soll mit dem vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderten Projekt GEWISS (Bürger schaffen Wissen) geschlossen werden, das vor gut einem Jahr die Plattform gestartet hat.

Das Projekt hat das Ziel, Projekte und Akteure im Bereich Citizen Science zusammenzubringen und besser zu vernetzen, unter anderem mit Hilfe von Workshops. Dazu fand am 04. und 05. Mai 2015 in der ZBW – Leibniz-Informationszentrum Wirtschaft in Hamburg das Citizen Science Dialogforum zum Thema Datenqualität, Datenmanagement und rechtliche Aspekte in Citizen Science statt, an dem etwa 50 Personen teilgenommen haben. Insbesondere sollte hierüber auch die Verbindung zum Thema Science 2.0 hergestellt werden, also zu der Frage, wie Bürgerbeteiligung im sozialen Web aussehen kann. Neben fachlichen Vorträgen gab es Arbeitsgruppen sowie eine Podiumsdiskussion.

Organisiert wurde der Workshop von der ZBW – Leibniz-Informationszentrum Wirtschaft, dem Verein für Computergenealogie, dem Leibniz-Zentrum für Agrarlandschaftsforschung (ZALF) und GEWISS.
Prof. Aletta Bonn (GEWISS Projektleiterin, UFZ/iDiv) führte durch das Programm.

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von links: Prof. Dr. Alena Buyx , Medizinethik, Universität Kiel, Dr. Oliver Röller, POLLICHIA, Dr. Jesper Zedlitz, Universität Kiel und Verein für Computergenealogie

Was ist Citizen Science?

Sowohl in den Vorträgen als auch in den Gesprächen und der Podiumsdiskussion wurde deutlich, dass der Begriff Citizen Science durchaus unterschiedlich definiert und verstanden wird. Dies ist oft auch verknüpft mit der Frage, ob die Bürgerinnen bzw. Bürger in dem Kontext überhaupt als „Wissenschaftler“ zu bezeichnen sind bzw. „wissenschaftlich arbeiten“. Eine Perspektive sieht die „Citizens“ als Ausgangpunkt für Citizen Science und stellt die Frage, wie Bürgerinnen und Bürger wissenschaftlich aktiv werden können. Eine andere Perspektive geht von der Wissenschaft (Science) aus und versteht unter Citizen Science eine Bereicherung der Wissenschaft, die durch die Beteiligung zusätzlicher Akteure (den Citizens) zu einem Erkenntnisgewinn führt, der ohne diese Akteure nicht erzielbar wäre.

Unabhängig von Begrifflichkeiten sollte aber als wesentliches Merkmal von Citizen Science hervorgehoben werden, dass entsprechende wissenschaftliche Projekte ohne die Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern erst gar nicht möglich wären. Wichtig ist zudem, dass dieses Engagement wertgeschätzt wird und die Bürgerinnen und Bürger einbezogen werden. Ob man diese dann Citizen Scientists, Scientific Citizen oder anders nennt, erscheint eher zweitrangig.

Darüber hinaus wird bei Citizen Science Projekten auch zwischen top down und bottom up unterschieden. Top down bedeutet, dass die Initiative von der Wissenschaft ausgeht und den wissenschaftlichen Rahmen wie die Forschungsfrage vorgibt. Bei bottom up sind Bürgerinnen und Bürger die treibende Kraft, beispielsweise haben sich Patienten zusammengetan und mit Erfolg eine eigene wissenschaftliche Studie in der Medizin durchgeführt.

Derzeit ist es aber eher so, dass bei vielen Projekten Bürgerinnen und Bürger lediglich an der Datenerhebung und ggf. Datenanalyse mitwirken. In diesem Modell wären die Bürgerinnen und Bürger in einer unterstützenden Rolle des „Hiwi 2.0“ nur in die Co-Produktion, nicht aber in das gemeinsame Design von Forschungsvorhaben eingebunden.

Daher wurde auch in der Podiumsdiskussion gefordert, dass Wissenschaft und Öffentlichkeit bzw. Bürgerinnen und Bürger im Bereich Citizen Science noch näher zusammengebracht werden müssen. Von einigen ging diese Forderung sogar so weit, dass Citizen Science auch losgelöst vom traditionellen Wissenschaftssystem möglich sein sollte. Um dies zu erreichen, ist es allerdings erforderlich, dass deutliche Veränderungen im strukturkonservativen Wissenschaftssystem in Deutschland stattfinden.

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Datenarchivierung

Ein Thema, das insbesondere für Informationsinfrastrukturen eine Rolle spielt, wurde nur am Rande diskutiert –  nämlich die Frage, welche Daten dauerhaft und nachhaltig archiviert werden sollten. Im Kreise der Teilnehmerinnen und Teilnehmer war man sich schnell einig, dass dies natürlich am besten alle wären, seien doch die technischen Fortschritte so groß, dass dies möglich sein müsste. Vertreterinnen und Vertreter von Informationsinfrastrukturen verwiesen allerdings auf die ökonomische Dimension einer solchen Forderung und empfahlen der Citizen Science Community, sich auch über das Thema Nachhaltigkeit und Langzeitarchivierung von Daten frühzeitig Gedanken zu machen. Es ist zu erwarten, dass aus dem Rat für Informationsinfrastrukturen zu diesem Themenkomplex zukünftig Empfehlungen ausgesprochen werden.

Citizen Science und das Recht

Forschungsdaten waren natürlich ein zentrales Thema auf dem Workshop, denn in jedem Citizen Science Projekt werden Daten erhoben. Es wurde aus Projekten berichtet und Erfahrungen ausgetauscht, wie eine Datenbank aufgebaut und Datenmanagement betrieben werden kann. Dabei ist auch das Thema Datenqualität zu berücksichtigen, ein häufiger Kritikpunkt bei Citizen Science Projekten. Es hat sich gezeigt, dass es durchaus solide Ansätze gibt und diese auch angewendet werden, um die Validität der von Bürgerinnen und Bürgern erfassten Daten zu überprüfen. Das Spektrum reicht von (semi-)automatischen Plausibilitätsverfahren, bei denen im Zweifel nochmal ein Experte die Daten verifiziert bis hin zu Verfahren zur redundanten Mehrfacherfassung durch zwei oder mehrere Personen. Als wichtig für die Datenqualität stellt sich heraus, dass Beteiligte bei Fehlern eine Rückmeldung bekommen, um sich so verbessern zu können. Aus bestehenden Projekten wurde berichtet, dass in der Regel eine gute Lernkurve zu erkennen ist. Den dadurch erreichten „Experten“-Status kann man auch bei der Aufgabenverteilung berücksichtigen.

Ein weiteres wichtiges – aufgrund seiner Komplexität gerne etwas in den Hintergrund gestelltes Thema – ist das Recht. Bezogen auf Forschungsdaten sind viele Fragen noch ungeklärt, beispielsweise: Wem gehören die von Bürgerinnen und Bürgern erfassten Daten überhaupt und wer darf diese nutzen? In einem entsprechenden Vortrag hat sich gezeigt, dass die derzeitige rechtliche Situation sehr komplex ist und die bestehende Rechtsprechung nicht ausreicht oder schwammig formuliert ist. Wissenschaftliche Rohdaten unterliegen beispielsweise nicht dem Urheberrecht (dazu könnte man auch die von Bürgerinnen und Bürgern erfassten Daten zählen). Erst eine Datenbank wäre schützenswert, wenn unabhängige Elemente systematisch oder methodisch angeordnet und einzeln zugänglich sind. Wissenschaftliche Datenbanken fallen aber dennoch häufig nicht unter das Urheberrecht, da eine gewisse “Schöpfungshöhe” fehlt. Wenn eine Datenbank aber durch eine “wesentliche” finanzielle Investition aufgebaut wurde, kann diese rechtlich gesehen unter das Datenbankherstellerrecht fallen. Hierbei handelt es sich um ein Leistungsschutzrecht, welches im Urheberrechtsgesetz verankert ist. Die rechtliche Situation zu verallgemeinern ist dabei schwierig und jedes Projekt muss letztlich als Einzelfall betrachtet werden.

Hinzu kommen noch Fragen des Datenschutzes etwa in Projekten mit medizinischem Bezug, die das Thema Datenrecht weiter verkomplizieren und rasch eine große Hürde für Citizen Science Projekte darstellen können. Ein Leitfaden soll in Zukunft auch für diese Themen Hilfe bieten.

Leitfaden Citizen Science

Im Rahmen des GEWISS-Projekts wird ein Leitfaden für Citizen Science Projekte erstellt, bei dessen Erstellung auch die Öffentlichkeit und die Wissenschaftsgemeinschaft eingebunden werden sollen.

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Daher gab es auf dem Workshop drei Arbeitsgruppen, die sich mit den Themen Datenmanagement, Datenqualität und Datenrechte auseinandergesetzt haben, um Material für diesen Leitfaden zu sammeln. Die Dokumentation dieser Arbeitsgruppen erfolgte über sogenannte Pads, die öffentlich einsehbar sind und auch gerne noch nachträglich bearbeitet werden dürfen.

In der Abschlussrunde des Workshops gab es noch eine offene Diskussion, welche Bestandteile in so einen Leitfaden gehören und was dabei zu beachten ist. Dabei ist zentral, welche Zielgruppen mit dem Leitfaden angesprochen werden sollen. Der Leitfaden wird unter einer offenen Lizenz (CC-BY) veröffentlicht und ist somit nachnutzbar und erweiterbar. Der fertige Leitfaden wird auf der Citizen Science Plattform veröffentlicht. Dort sind auch weitere Informationen zum GEWISS-Projekt sowie zu laufenden Citizen Science Projekten zu finden.

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Dr. Guido Scherp ist Leiter der Abteilung “Open-Science-Transfer“ der ZBW – Leibniz-Informationszentrum Wirtschaft und Koordinator des Leibniz-Forschungsverbunds Open Science. (Porträt: Photographer Sven Wied, ZBW©)

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